Marieluise Fleißer-Museum
Raffiniert komponierte Schau

Zurzeit wird in Ingolstadt das neue Fleißer-Museum eingerichtet - Eröffnung Anfang Oktober

09.08.2020 | Stand 23.09.2023, 13:25 Uhr
  −Foto: Rössle, Stadtmuseum Ingolstadt

Ingolstadt - "Marieluise Fleißer ist eine absolut bedeutende Autorin, sie ist der namhafte Beitrag Ingolstadts zur neueren deutschen Literatur. Das wird immer noch nicht genügend gewürdigt.

 

Deshalb ist es so wichtig, diese Autorin mit ihrem Eltern-, Geburts- und Wohnhaus in Ingolstadt erlebbar zu machen. Ich denke, das wird mit dem Museumskonzept in dem durch den Fleißer-Neffen, Hermann Widmann, vorzüglich sanierten Haus gelingen", sagt Ingolstadts Kulturreferent Gabriel Engert. Mit Vorfreude blickt er auf den 4. Oktober. Dann soll das Fleißer-Museum in der Ingolstädter Kupferstraße 18 eröffnet werden. Mit der Wandlung der bisherigen Dokumentationsstätte im Erdgeschoss zum veritablen Museum über alle Stockwerke wird ein weiterer Baustein seiner am 8. Januar 2009 dem Stadtrat vorgestellten Beschlussvorlage zur Entwicklung der Museen in Ingolstadt Wirklichkeit. Engert ist sich sicher, dass dort in der Kupferstraße dank der hervorragenden Renovierung und Sanierung und dank des Ausstellungskonzeptes ein kleines Juwel für ein vielfältiges Publikum entsteht.

"Kein elitärer Tempel wird es sein", sagt die Germanistin und Journalistin Sylvia Weber, die vor zweieinhalb Jahren begonnen hat, das inhaltliche Konzept zu entwickeln. Umgesetzt wird es durch das Münchner Gestaltungsbüro Tido Brussig Szenerien, bekannt unter anderem durch die Wanderausstellung "Gut gebrüllt" der Bayerischen Schlösserverwaltung.

Das Fleißer-Museum umfasst die Stadtgeschichte, die Geschichte des Handwerks und des Bürgertums ebenso wie die Geschichte des Hauses selbst und der Autorin, deren Werk stets verknüpft ist mit Ingolstadt, wo sie 60 Jahre ihres Lebens verbrachte, sagt Beatrix Schönewald, Leiterin des Stadtmuseums. Zu diesem wird das neue Museum ebenso gehören wie bislang die Fleißer-Dokumentationsstätte. "Marieluise Fleißer war Teil der besseren Gesellschaft Ingolstadts, ihr Vater Heinrich hatte einen Bildungsanspruch und förderte seine Tochter. Ihr Faible fürs Theater kam nicht von ungefähr. Theaterbesuche gehörten in Ingolstadt schon immer zum guten Ton des Bürgertums."

 

Die Umsetzung des Konzeptes erwies sich als besondere Aufgabe. Zwar verfügt das Museum über drei Stockwerke. Doch ist das Haus entsprechend seiner Entstehung um 1401 - das ergab die Untersuchung der Holzbalken hinsichtlich ihres Alters - nicht mit Räumen gesegnet, die eine Präsentation der kompletten Fülle des Nachlasses zulassen. Deshalb erfolgte die Konzentration auf sechs inhaltliche Themenbereiche für die Autorin mit jeweils wenigen zentralen Originalobjekten. Daneben werden mit moderner Technik die Inhalte zugänglich gemacht - mit Fotos, mit Filmen wie dem Kurzspielfilm "Über die deutsche Frau" der Ingolstädter Filmemacher Kevin und Toby Schmutzler. Dieser gibt durch die Verschränkung von historisch-biografischen und fiktionalen Elementen - die Autorin trifft hier auf ihre Romanfigur Frieda Geier - Einblicke in ihr Leben und Werk. Ein weiterer Film erzählt vom Leben in Ingolstadt in den 20er Jahren. Jeder Raum werde mit seiner eigenen Geschichte vorgestellt und was er einst beherbergte. Diesen Part hat Fleißer-Neffe und Hausbesitzer Hermann Widmann übernommen, auch, weil er Kindheitserinnerungen an das Haus hat.

Der Eingangsbereich im Erdgeschoss zeigt neben der Schmiede, der Werkstatt, dem Raum des Vaters sogleich die Archäologie, die Funde, die während der Renovierung aufgetaucht sind und zur Neudatierung des Hauses geführt haben. Sowie die Filme zur ersten Orientierung. "Die Besucher werden das Museum nach ihren eigenen Interessen durchwandern - stadtgeschichtlich, zeitgeschichtlich, literarisch", betont Museumsleiterin Schönewald die vielfältigen Aspekte, die hier wissenschaftlich fundiert angesprochen werden.

Im ersten Stockwerk stehen Leben und Werk Fleißers im Mittelpunkt, im zweiten ist Raum für Sonderausstellungen, bei denen auch in der Dauerausstellung nicht gezeigte Objekte präsentiert werden können. Überdies ist hier Raum für die künstlerische Auseinandersetzung mit der berühmten Ingolstädterin. Im benachbarten Veranstaltungsraum "sollen auch Lesungen stattfinden", sagt Museumsleiterin Beatrix Schönewald, "zum Beispiel die Corona-bedingt abgesagte Matinee ,Dichter und ihre Heimatstädte - Thomas Mann und Marieluise Fleißer' der Literaturwissenschaftlerin Martina Neumeyer." Wohl im November. Für Leben und Werk Fleißers hat die Kulturjournalistin Sylvia Weber die Schwerpunkte Talent, Erfolg, Isolation, Männer, Anerkennung und Sprache erarbeitet. Sie wurde damit beauftragt, das Konzept zu erarbeiten, da die Ingolstädterin in ihrer Magisterarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München zu Raumsemantik und Raumverhalten in Fleißers Roman "Mehlreisende Frieda Geier" gearbeitet hat. Alle ehemaligen Wohnräume sind entsprechend dieser Schwerpunkte gestaltet. Kindheit und Schreibimpuls im Raum "Talent". Über den Raum "Erfolg" hätte genauso gut "Skandal" stehen können, sagt Weber, doch habe sich die Fleißer mit ihren Stücken einen Namen gemacht. Die Stücke werden in Auszügen medial erlebbar sein - als Trailer von Inszenierungen der "Pioniere", von "Fegefeuer" und "Der starke Stamm". Ein sehr kleiner Raum stehe für die Isolation, den Rückzug nach Ingolstadt und die Zeit im Tabakwarenladen ihres Mannes Josef Haindl. Dies wird mit Fotos dokumentiert.

 

Im "Männer"-Raum will Weber damit aufräumen, Marieluise Fleißer nur als Opfer zu sehen. "Ihre schwierigen Beziehungen hat sie in Literatur verwandelt. Die Männer wurden zu Literaturfiguren. Sogar der Vater." Dazu werden Zitate in den Raum projiziert, Männerfiguren aus Pappe von der Decke hängen.

Die literarische Anerkennung in den 60er und 70er Jahren, unter anderem durch ihre "Söhne" Martin Sperr, Rainer Werner Fassbinder und Franz Xaver Kroetz, wird mit einem Film versinnbildlicht, mit den Gesammelten Werken im Suhrkamp-Verlag und an einem Monitor mit Beispielen der fremdsprachigen Rezeption.

Der letzte Raum ist der Sprache gewidmet. "Hier wird es auch ein Quiz geben. Viele Wörter der Ingolstädter und der bayerischen Sprache sind heute nicht mehr bekannt wie wepsig oder Stiege." Über moderne Medien - Ausschnitte aus einem Interview, in dem sich die Fleißer zu ihrer Sprache äußert - werde es Anregungen geben. Hier zeichnet eine Arbeitsgruppe um Mitglieder der Fleißer-Gesellschaft für die Umsetzung verantwortlich (siehe Kasten).

Verbunden hat das Büro Brussig alle Räume durch eine Banderole, die an jene von Zigarren erinnere. Jeder Winkel des Hauses wird thematisch genutzt; im Flur wandeln die Besucher durch Fleißers Kleiderwelt mit Originalstücken und Accessoires wie Brillen und Hüten. Alle Erzählstränge sind zusammengeführt zu einem raffiniert komponierten, intellektuell wie sinnlich erlebbaren Dichterhaus. Das Warten auf den 4. Oktober fällt daher schwer.

DK

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DIE SPRACHE DER FLEIßER IST NICHT ABLEITBAR"

Der Zugang zur Sprache Marieluise Fleißers wird im Museum in sechs Modulen angeboten. Das hat eine Gruppe erarbeitet, der neben Mitgliedern der Fleißer-Gesellschaft aus unterschiedlichen Kultursparten auch Regisseur Falco Blome angehört, sagt Andreas Betz, Vorsitzender der Fleißer-Gesellschaft Ingolstadt: "Wir erwarten ein sehr differenziertes Publikum, von Touristen über Fleißer-Fans hin zu Schulklassen, Studierenden, Theaterleuten, Schriftstellern, Wissenschaftlern. Natürlich die Ingolstädter selbst." Für alle werde es passende Zugänge geben. Fünf Module bieten einen interaktiven Teil.

"Fleißer-Texte sind nicht einfach zu lesen. Sie hat eine anspruchsvolle Kunstsprache", sagt Betz. Oder, um es mit der Fleißer-Preisträgerin von 2001, der Schriftstellerin Petra Morsbach, zu formulieren: "Die Sprache der Fleißer ist nicht ableitbar." So geht es in der ersten Station, im ersten Modul, um Leseerfahrungen. Die Schauspielerin Ingrid Cannonier und ihr Kollege Jan Gebauer, die Kulturjournalistin Isabella Kreim und der Ingolstädter SPD-Stadtrat Manfred Schuhmann lesen hier Texte der Fleißer. "Die Besucher können sich dies anhören, selbst einen Text einlesen und speichern. So kann ein digitales Gästebuch entstehen", sagt Betz. Dazu werden die Texte immer wieder ausgewechselt. Auch das zweite Modul, erarbeitet von Falco Blome, lädt zur Kreativität, zum Erstellen eines eigenen Fleißer-Hörstücks ein. Hier können die Besucher aus vorgegebenen Sätzen Neues entwickeln.

Ein Quiz zur Bedeutung von Wörtern und Sätzen, ein Vertiefungsmodul mit Aussagen zu Fleißers Sprache, mit wissenschaftlichen Aufsätzen und ihrem Briefwechsel sowie ein eigenes Modul allein zur Sexualität, zum Verhältnis der Geschlechter, runden die Beschäftigung mit der Sprache ab. "Das Eintauchen in Fleißers Sprache wird optisch dadurch unterstützt, dass an den Wänden Sätze und Kurzdialoge die Besucher umgeben", sagt Andreas Betz. Und wer vermag sich wohl Sätzen wie "Eine Liebe wird nicht dabei sein." (Dialog Berta und Karl aus "Pioniere in Ingolstadt") entziehen.

Barbara Fröhlich