München
Putins Nasen

Bayerische Staatsoper startet mit Schostakowitsch-Frühwerk - Regie führt Regimekritiker Serebrennikov

25.10.2021 | Stand 23.09.2023, 21:31 Uhr
Schnüffelregime: Die Anzahl der Nasen ist Ausdruck der sozialen Stellung. −Foto: Hösl

München - Es fällt schwer, diese Inszenierung von Dmitri Schostakowitschs Oper "Die Nase" nicht als eine Art Generalangriff auf die politische Situation im Russland der Putin-Ära zu verstehen. Nicht nur, weil der Regimekritiker Kirill Serebrennikov die Regie führt, sondern vor allem wegen der überwältigenden Bilder dieser Spielzeiteröffnung der Bayerischen Staatsoper. Serebrennikov hat die Handlung nicht nur aktualisiert, sondern radikalisiert und vor allem politisiert.

Es geht nicht mehr wie noch bei Nikolai Gogols Erzählung um eine existenzielle Irritation, sondern um die Diagnose von verrückten Missständen.

Es herrscht Eiszeit in St. Petersburg. Die Straßen versinken im Schneechaos, die schweren Räumfahrzeuge kommen kaum hinterher. Gleichzeitig wimmelt es von Polizisten, die ständig Absperrgitter über die Bühne choreographieren. Reihenweise werden Demonstranten abgeführt. Wer seine Nase in etwas steckt, wo sie nicht hingehört, dem wird sie abgeschnitten - genauso geschieht es den Gefängnisinhaftierten zu Anfang der Oper. Wer sie zu hoch trägt, wer herumschnüffelt, läuft Gefahr sie zu verlieren. Andere Leute tragen gleich mehrere Nasen im Gesicht. Denn im Land der Nasen bestimmt allein dieses Organ die gesellschaftliche Stellung. Manchmal geschieht es sogar, dass eine abgeschnittene Nase unversehens in einem Zwiebelsandwich wieder auftaucht und kurze Zeit später als Staatsrat durch die Säle stolziert, um patriotische Reden zu schwingen. So widerfährt es dem Helden der Geschichte, Major Kovaljov. Serebrennikov zeigt ein düsteres, autoritäres Regime, Menschen, die jede Gelegenheit wahrnehmen, ihre soziale Situation auf Kosten anderer zu verbessern und die Andersdenkende grausam unterdrücken.

Serebrennikov musste die Inszenierung in München unter erschwerten Bedingungen durchführen. Seit 2017 wird er von der Putin-Justiz drangsaliert, angeblich, weil er staatliche Gelder veruntreut habe. Lange stand er unter Hausarrest, inzwischen darf er wieder arbeiten, nicht allerdings das Land verlassen. So war er während der Probenarbeit über Videokonferenz zugeschaltet. Die Umsetzung seiner Regieideen musste er dabei seinem Co-Regisseur Evgeny Kulagin überlassen. Beim Schlussapplaus war Serebrennikov kurz über Video zugeschaltet und sandte einen Kussmund an das Publikum im Nationaltheater.

"Die Nase" ist eigentlich eine rasante Groteske, ein knapp zweistündiges Scherzo mit fast schon einem Übermaß an grandiosen musikalischen Ideen: dem ersten langen Schlagzeugsolo der Musikgeschichte, einer singenden Säge, schrägen Walzern, überhaupt wunderbaren Anspielungen auf Zirkusmusik, Kirchenmusik und vielem anderem: ein polystilistisches Meisterwerk.

Eine Musik vor allem auf der Schwelle zwischen Schrecken und Slapstick. Der neue GMD der Staatsoper Vladimir Jurowski allerdings hat sich eindeutig für die düstere Seite der Oper in seiner Darstellung entschieden. Da klingen die Streicher manchmal bedrohlich samtig, da fehlt es den Bläserpassagen ein wenig an jazziger Würze und rhythmischer Prägnanz, dafür herrscht auch im Orchestergraben oft traurige Eiseskälte, die auf die Bühne zu den Sängern überschwappt. Wirklich schön singen vor allem Boris Pinkhasovich in der Hauptrolle des Kovaljov und Sergey Skorokhodov als dessen Nase. Fast alle anderen Rollen - es sind mehr als 35 - haben meist satirischen Charakter, sie schreien, stöhnen, kreischen und singen bewusst falsch. Und sind in all dem fantastisch. Ganz am Ende zitiert die Inszenierung noch das viel später entstandene tiefpessimistische 8. Streichquartett von Schostakowitsch. Während die vier Musiker die Noten D, Es, C und H spielen, die Initialen des Komponisten, erscheinen heruntergekommen Plattenbauten auf der Bühne, hinter den Fenstern herrscht trister Alltag, nur rechts oben nimmt sich vereinsamt ein Mann das Leben. Kovaljov hat seine Nase zurück, aber in dem Elend muss er einfach nur weinen. Bis ein Mädchen auftritt. Er spricht sie an, möchte sie in seine Wohnung locken. Aber dann platzt auch diese Hoffnung mit einem Knall ihres roten Luftballons. Und die Oper ist aus.

Ein bedrückendes Ende eines winterlich-düsteren Abgesangs auf ein politisch tiefgefrorenes Russland. Heftiger Jubel für eine nachdenklich stimmende Eröffnung des neuen Leitungsteams der Staatsoper.

DK

ZUR PRODUKTION

Theater:

Nationaltheater München

Musikalische Leitung:

Vladimir Jurowski

Regie, Bühne, Kostüme:

Kirill Serebrennikov

Dauer:

2 Stunden, ohne Pause

Vorstellungen:

27., 30. Oktober; 2., 5. November

Videoübertragung:

Am 27. Oktober wird ab 19 Uhr die Aufführung live auf BR-Klassik Concert und Staatsoper.tv übertragen. Ab Anfang November steht die Produktion 30 Tage als Video-on-Demand auf Staatsoper.tv zur Verfügung

Kartentelefon:

(089) 21 85 19 20.

Jesko Schulze-Reimpell