München
Poetische Performance

Heinz Rudolf Kunze im Münchner Backstage

23.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:45 Uhr
Intellektueller Rocker: Heinz Rudolf Kunze. −Foto: Buchenberger

München (DK) Ich wusste, München kann es", meint Heinz Rudolf Kunze, nachdem ihn das Publikum im mager gefüllten Backstage-Werk nach über zwei Stunden mit Gesang und Geklatsche für eine weitere Zugabe auf die Bühne holt.

Aber auch Kunze und seine Band, Verstärkung genannt, können es und liefern nicht nur musikalisch, sondern auch literarisch auf hohem Niveau ab.

Wobei das Backstage vielleicht nicht der passende Rahmen für den intellektuellen Rocker und Lyriker aus Espelkamp-Mittwald ist. Da hilft auch die Bestuhlung auf den Stufen an den Seiten der Arena nicht viel, um das passende Ambiente herzustellen. Könnte ein Grund sein, dass gerade mal 300 Karten im Vorfeld verkauft wurden und an der Abendkasse nicht mehr viele dazu kamen. Etwas mau für eine Halle, in die weit über 1000 Besucher passen.

Doch die, die gekommen sind - darunter offensichtlich einige der großen Fans, die alles betanzen, beklatschen und gesanglich begleiten, was der wortgewaltige Kunze auf der Bühne bietet - kommen auf ihre Kosten. Sowohl neue rockige Songs wie "Raus auf die Straße" und "Schorsch genannt die Schere" als auch ältere Titel wie "Aller Herren Länder" und Stücke aus den 80ern zeigen die kompositorische und schriftstellerische Brill(e)anz des 62-Jährigen. Der Hit "Brille" aus dem Jahr 1991 kommt zwar nicht zum Vortrag, aber Kunze trägt natürlich eine, genauso wie der Totenschädel auf den T-Shirts am Merchandising. Dort gehören auch Sonnenbrillen zum Repertoire.

Kunze selbst hat nicht nur den Durchblick, sondern auch einen scharfen Blick auf das Zeitgeschehen. Gesellschaftliche Auswüchse, Politik und Religion kommentiert er zwischen den Songs. Und das mitunter ganz schön böse in kurzen Texten und Gedichten. Von ironisch über sarkastisch und zynisch bis hin zu poetisch und romantisch beherrscht der Schriftsteller, Dichter, Kinderbuchautor, Übersetzer von Musicaltexten und natürlich Musiker die komplette Palette der Ausdrucksformen.

"Das Ultimatum" von Anfang der 90er-Jahre zeigt besonders gut die "finstere Seite" wie Kunze seine damalige Phase nennt. Laut eigener Aussage überlegte die Plattenfirma seinerzeit, "die dazugehörige Scheibe mit Strick und Pistole auszuliefern". Ob ernst gemeint oder morbide Koketterie, lassen wir mal dahingestellt.

Bei allen harten, skurrilen und fantasievollen Formulierungen musiziert Kunze am Klavier oder mit der Akustikgitarre gemeinsam mit seinen formidablen Musikern, darunter "die Grand Dame des deutschen Chorgesangs", wie er die Background-Kollegin Natalie Pütz nennt, melodisch und famos. Mal geht es in Richtung Rock, mal ist es Country und Folk und dann wieder Liedermacherei der Marke Konstantin Wecker. Gut ist es immer.

Kurz vor halb elf erklingt dann endlich Kunzes größter Hit "Dein ist mein ganzes Herz", womit er nach zweieinhalb Stunden poetischer Power-Performance das höchst zufriedene Publikum in die Nacht entlässt.

Martin Buchenberger