Plädoyer für die Einfachheit

23.06.2009 | Stand 03.12.2020, 4:52 Uhr

"Erstrebe vom Einfachen das Beste": Architekt Meinhard von Gerkan sprach im Lechner Museum über seine weltweiten Projekte. - Foto: aw

Ingolstadt (DK) Das "Herzbüro", also die Keimzelle seiner Büros, steht an der Hamburger Elbchaussee mit Blick auf den Hafen. "Das ist das Erlebnis der Globalität par excellence", sagt Meinhard von Gerkan (73).

Hier verkehren Schiff aus aller Welt. Und auch die Bauten seines Büros stehen mittlerweile über den ganzen Globus verteilt. 1965 hatte er mit Volkwin Marg eine Architektensozietät gegründet, die mittlerweile auf 650 Mitarbeiter angewachsen ist und im In- und Ausland aktiv ist. Ihre Projekte reichen von Einfamilienhäusern, Hotels und Museen bis hin zu Fußballstadien für die WM in Südafrika und dem Masterplan für die Satellitenstadt Lingang New City bei Shanghai für 800 000 Einwohner. 2002 hatte gmp den Wettbewerb für die Pionierschule Ingolstadt gewonnen. Der markante Mäanderbau an der Manchinger Straße wurde gestern eingeweiht. Am Vorabend war Meinhard von Gerkan zu Gast beim Architekturforum des Kunstvereins, präsentierte erste Bilder der Anlage ("Ziel war eine Symbiose von Alt und Neu") und stellte in einem höchst spannenden Vortrag im Lechner Museum die Arbeit und Philosophie von gmp vor.

"Unser Ideal ist es, die Dinge so einfach zu gestalten, dass sie inhaltlich und zeitlich Bestand haben", lautet das Credo des Architekten, der die vier Parameter seiner Philosophie, "Einfachheit", "Strukturelle Ordnung", "Vielfalt und Einheit", "Unverwechselbarkeit", an zahl- reichen Beispielen erläuterte.

Einfachheit heißt dabei nicht nur die Reduktion auf wesentliche Elemente, sondern auch die Einfachheit der Materialien, etwa die Konzentration auf Holz bei einem feudalen Anwesen in Riga oder auf Ziegel bei dem Parkhaus in Wilhelmshaven. Eine ungewöhnliche Aussichtsplattform (eine Dreieckskonstruktion aus Holz) in einem Vogelschutzgebiet im Norden Deutschlands und ein Messebau in Rimini (der die architektonische Tradition der Region reflektiert) belegten die Forderung nach struktureller Ordnung. Und mit Fotos einer Hotelanlage in der Türkei verdeutlichte von Gerkan die schwierige Aufgabe, "Natur und Architektur zu versöhnen".

Ein wichtiges Ziel sei auch, der Architektur ein individuelles Antlitz zu geben, ohne dass sie dabei exaltiert wirke. "Viele meinen nämlich, sie müssten aus ihren Häusern Karnevalskostüme machen", erklärte von Gerkan. Und demonstrierte diesen Aspekt an chinesischen Hochhäusern, die allesamt von merkwürdigen Dekorationsstücken gekrönt wurden. "Hier wurde versucht, Individualität durch eine Art Kopfbedeckung zu schaffen", so der Architekt. Sein Gegenbeispiel: Der gmp-Bau eines Verwaltungsgebäudes in Peking: klar strukturiert, elegant, mit einem gebäudehohen Atrium. "Innerhalb kürzester Zeit hat dieser Bau eine Vorbildfunktion gewonnen", berichtete er nicht ohne Stolz. "Mittlerweile hat sich in China eine neue Welle des einfachen und rationalen Bauens etabliert."

Nach beeindruckenden Bildern der gerade entstehenden Retorten-Großstadt Lingang – eine Stadt mit Businessdistrict, Grüngürtel, Kulturbauten und Wohnbebauung, die in Ringen um einen künstlichen See geplant sind und bis zum Jahr 2020 fertiggestellt werden sollen – und Fotos der neuen Fußballstadien für die WM in Südafrika schloss Meinhard von Gerkan seinen Vortrag mit Erläuterungen zu einem Bauvorhaben in Ingolstadt: der Pionierschule. "Bauen mit Minibudget": 2002 hatte gmp den Wettbewerb gewonnen, 2006 fand der erste Spatenstich statt, gestern wurde der Komplex offiziell seiner Bestimmung übergeben. Eine klare Architektursprache mit wiederkehrenden Motiven und Materialien, die eine harmonische Einheit von Alt und Neu erzeugen. Und das etwa 600 Meter lange Unterkunftsgebäude, das sich wie ein Band über das Gelände schlängelt, ist nicht nur ungewöhnlich, sondern folgt auch ökonomischen Überlegungen: Ganze sechs Treppenhäuser konnten so eingespart werden.