Pfaffenhofen
Große Kunst aus dem Depot

Der Neue Pfaffenhofener Kunstverein zeigt Markus Lüpertz

21.09.2014 | Stand 02.12.2020, 22:13 Uhr

 

Pfaffenhofen (DK) Herkules, der Blaubärtige, Blauhaarige, Einarmige, hat sein Gesicht leicht erhoben, die Keule lehnt an seinem Bein. In Gelsenkirchen prunkt der griechische Held – mit 18 Metern Höhe Markus Lüpertz’ größte Skulptur – auf dem Förderturm der einstigen Zeche Nordstern; in der Pfaffenhofener Kulturhalle zeigt er sich aus bemalter Bronze und 45 Zentimeter groß unter einem Sturz aus Glas.

Lässt sich plötzlich ganz intim und nah betrachten. Und bedenken. Was ist der Mensch? Was Schicksal? Was eigene Schuld? Was Resilienz, was Kraft? Eines der anrührendsten Exponate der Ausstellung des Neuen Pfaffenhofener Kunstvereins mit Arbeiten von Markus Lüpertz (und womöglich eines der erhellendsten, was des Künstlers Verhaftung in mythologischen Motiven betrifft) ist dieser kleine Zwillingsbruder des großen Herkules.

Freilich, am Vernissagenabend ist der für die meisten zweite Wahl. Denn die erste, die eigentliche Sensation, stellt ja der oft so genannte „Malerfürst“ persönlich. Ja, Markus Lüpertz, einer der wichtigsten Künstler der Gegenwart, zweifacher documenta-Teilnehmer und langjähriger, bedeutsam wirkender Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie, ist da zur Eröffnung seiner Schau, improvisiert als Pianist mit der Jazzband TTT, trinkt Bier, lauscht wohlwollend der Eröffnungsrede. Das in erwartet elegant-stilvoller Erscheinung – schwarzer Anzug, schwarzer Hut, Goldring und Schlangenkrawattennadel blitzen – und so einschüchternd wie huldvoll wirkend. Er möge den Raum, die Gegend, die Ausstellung, sagt Lüpertz zu Begrüßung freundlich. Letztere sieht er, wie die unzähligen Gäste auch, im Moment zum ersten Mal. Der Kunstverein, der diesen Prominenten-Akt stemmte, ist kein Museum; die beiden Galerien Roy und Breckner und die Korff-Stiftung haben die Schau selbstständig aus ihren Depots bestückt. Haben 120 Arbeiten (selbstverständlich zum Verkauf) geliefert: Eine berstende, wenngleich gut sortierte Fülle an Farbseriegrafien, Radierungen, Lithografien, Holzschnitte, die die Wände rundum bedecken – nur das eine oder andere Unikat darunter –, dazu zwei Handvoll kleiner, bemalter Bronzeskulpturen, die meist in Groß, wie Herkules, und manchmal dabei in anderer Version ihren aufsehenerregenden Platz im öffentlichen Raum gefunden haben. „Beethoven“ zum Beispiel – in Bonn erregte das 2,70 Meter hohe Bronzedenkmal in der typischen, wunderbar grob-expressiven Figurensprache Lüpertz’ als „Verunglimpfung“ die Gemüter, in Pfaffenhofen zeigen die kleine Variation und ein Siebdruck dazu die ganze einfühlsame Meisterschaft des großen Künstlers.

Und die gilt es ganz individuell zu entdecken in der Galerienschau. Da sind diese zwei titellosen Gouachen, die diesmal keine mythologische Figur zum Ausgangspunkt nehmen, sondern schräge, so romantische wie morbide Gebäude zeigen. Da sind leichthändige, krakelig pointierte, ganz abstrakte Kugelschreiber- und Bleistiftzeichnungen. Ist eine wundersame Serie feiner Radierungen in Schwarz-Rot, betitelt auf Französisch, Momentaufnahmen von Ereignissen und Stimmungen. Wie beiläufig zeigt all das, Fingerübungen quasi im gesamten Werk, das tiefste Zuhausesein des Künstlers in der Kunst.

Und da sind natürlich die großen Lüpertz’schen Themen, die archaisch, mythologisch, biblisch figurativen. Mit blutrotem Körper und dabei doch im wahrsten Sinne des Wortes umgeben von Struktur „Judith“, als Holz- und Linolschnitt ausgestellt. Machtvoll die zwei quadratischen scheint’s Tafelbilder, wirklich aber bemalte Bronzereliefs „Männer ohne Frauen“ – wie oft muss man bei Lüpertz aus unbewegten Gesichtern exemplarisches So-Sein (hier vielleicht von Kriegern, Rohheit) lesen; dass man das kann, macht immer wieder staunen. Bei der neu aufgelegten Holzschnitt-Serie „Mykenisches Lächeln“, die der Ausstellung ihren Namen gab, interessierte den Künstler, wie er knapp im Gespräch erzählt, dagegen das stets stereotype Lächeln, das die Alten gleichbleibend im Leben wie im Sterben, in Freude wie im Unglück bildhaft zeigten. „Ein Nimbus“, den Lüpertz in Rot-Orange aufgreift und in Gesichtern, die wohl Königen, Cäsaren, Bettlern oder Dienstmägden gehören – was ist die Antike? Was der Mensch?

Fragen, die dann zwangsläufig wieder hinführen zu den zierlichen Skulpturen. Zu Herkules, der diesmal mit dem Stier zu kämpfen hat, zu Atlas, der die Welt auf seinen Schultern trägt, zu Daphne, die sich zum Schutz vor Apollos Nachstellungen in einen Lorbeerbaum verwandeln ließ – jede für sich eine Geschichte, ein Mythos, eine Idee, überzeugende Kunst.

In der Lüpertz-Ausstellung in Regensburg 2011 war Daphne übrigens wie viele andere Figuren in Groß zu sehen. Dass man in Pfaffenhofen auf einen solchen echten Lüpertz verzichten muss, ist ein kleiner Wermutstropfen. Doch 6000 Euro hätte der Transport allein einer einzigen Skulptur gekostet, und das konnte der ehrgeizige Kunstverein dann wirklich nicht mehr stemmen.

Kulturhalle Pfaffenhofen, bis 12. Oktober, Do. bis Fr. 16 bis 19 Uhr, Sa., So., Fei. 15 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet drei, am Sonntag einen Euro.