Bayreuth
Patriarch und Vater der Festspiele

Wolfgang Wagner zum 100. Geburtstag: Ein bewegender Festakt und ein Rückblick in Bayreuth

25.07.2019 | Stand 02.12.2020, 13:25 Uhr
Waltraud Maier sang beim Festakt zu Ehren Wolfgang Wagners (kleines Foto) Isoldes Liebestod. −Foto: Nawrath/Bayreuther Festspiele/dpa

Bayreuth (DK) "Mein Vater war unverwechselbar, ein impulsiver Sturkopf, aber auch ein Chef vom alten Schlag", sagt Katharina Wagner, die 2008 in Wolfgang Wagners Fußstapfen trat und die Bayreuther Festspiele zunächst gemeinsam mit ihrer Halbschwester Eva Wagner-Pasquier, seit 2015 allein leitet: "Er ist viele Risiken eingegangen, aber nie blind, denn er war letztendlich ein großer Realist."

Von Barbara Angerer-Winterstetter
Nach seinem Tod vor neun Jahren ging er als dienstältester Intendant in die Geschichte ein. Ganze 57 Jahre lang hatte er die Bayreuther Festspiele geleitet. Wer Wolfgang Wagner selbst gekannt hat, weiß: Er war ein Patriarch, aber auch eine Vaterfigur. Einer, für den es lohnte, zu arbeiten. Wolfgang Wagner war für alle da, für Techniker und Beleuchter wie für Sängerstars. Er machte für alle Überstunden, deshalb machte man sie auch für ihn. Er war der Vater der Festspielfamilie, freilich immer fränkisch nuschelnd und mit oft bärbeißigem Humor. Doch sein Wort hatte nicht nur Gewicht, sondern auch Bestand.

2019 wäre Wolfgang Wagner (1919-2010) 100 Jahre alt geworden. Das gab den Bayreuther Festspielen Anlass, ihn am Vorabend der diesjährigen Festspieleröffnung mit einem großen Festakt zu ehren. Ein bewegender Abend in sommerlicher Atmosphäre, zu dem viele Wegbereiter und Mitstreiter gekommen waren - und mit Bundeskanzlerin Angela Merkel ein großer Fan. Ein Abend ohne Eröffnungs- und Promi-Stress, ganz im Zeichen der Festspiele in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Tief berührend und selbst berührt sang Waltraud Meier für ihren einstigen Entdecker Wolfgang Wagner noch einmal Isoldes Liebestod, Stephen Gould gab einen souveränen Tannhäuser und Günther Groissböck sang mit "Wotans Abschied" aus der "Walküre" einen (vielversprechenden) Ausblick auf den neuen "Ring" 2020. Am Pult - natürlich - der Musikdirektor der Festspiele, Christian Thielemann, der launig erzählte, wie Wolfgang Wagner ihm das Dirigieren in den schwierigen Akustik-Verhältnissen des Festspielhauses erleichtert hat: "Dirigieren Sie flüssiger!" Und dazu noch Ioan Holender (ehemals Direktor der Wiener Staatsoper), der Wolfgang Wagner als "wirklich großen Theatervater" und "fränkischen Sokrates" bezeichnete.

Als Sohn von Siegfried und Winifred war Wolfgang Wagner gleichzeitig Enkel von Richard Wagner. Gemeinsam mit seinem Bruder Wieland gebührt ihm das Verdienst, die durch die Nähe zu Adolf Hitler in Misskredit geratenen Festspiele nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen und rundum erneuert zu haben. Der schier unglaubliche Neuanfang 1951 in Bayreuth ging als "Neu Bayreuth" in die Festspielgeschichte ein - mit großen Stimmen, starker Regie und einer "entrümpelten" Bühne. Als Wieland, neben dem er künstlerisch immer verblassen musste, 1966 früh starb, begann Wolfgangs alleinige Festspiel-Ära. "Kinder, macht Neues!", war schon des Großvaters Parole. Und Wolfang machte Neues: Er öffnete die Festspiele für neue Sichtweisen, holte erstmals nach den bislang familieninternen Regiearbeiten "auswärtige" Regisseure ans Haus und setzte mit ihnen weltweit Maßstäbe in der Wagner-Rezeption. Was waren das für Sternstunden: Patrice Chéreaus genialer "Jahrhundert-Ring" (1976), den Wolfgang Wagner gegen heftigste Proteste mit stoischer Gelassenheit durchsetzte. Bis er zur Bayreuther Modellaufführung avancierte. Tatsächlich war das Wolfgang Wagners größtes Verdienst: Selbst konservativ in seinen Regiearbeiten, wusste er sehr wohl, was die Zukunft verlangte. Und fand dafür stets die richtigen Regisseure. Erwähnt seien Götz Friedrichs moderner "Tannhäuser" (1972) und Heiner Müllers ästhetischer "Tristan" (1993). Letztlich hatte Wagner sogar den Mut, Christoph Schlingensief für einen umstrittenen "Parsifal" (2004) zu holen.

Seine Sammlung persönlich bewegender Momente mit dem großen Festspielleiter hat wohl jeder, der ihn kannte. Bewundernswert war seine Loyalität: Als den großen Siegfried Jerusalem im zweiten "Tristan"-Akt einmal die Kraft verließ und ihn böse Buhs vor dem Vorhang empfingen, trat der Festspielleiter selbst vors Publikum: "Sie sollten sich schämen!" Und vielleicht haben auch andere (außer mir) leicht genervt die Zeitlupenschritte der Gralsritter im "Parsifal" gezählt, sich diese Wolfgang-Wagner-Inszenierung aber dennoch unzählige Male angesehen.

Mehr zum Thema gibt's im Richard-Wagner-Museum (Villa Wahnfried) mit der Sonderausstellung "Der Prinzipal, Wolfgang Wagner und die ?Werkstatt Bayreuth'".