München
Meist nur läppisch und banal

Kleists "Die Verlobung in St. Domingo" im Münchner Cuvilliéstheater

01.10.2018 | Stand 02.12.2020, 15:33 Uhr
Horst Seehofers Konterfei schwebt als Luftballon im Raum: Szene aus Kleists "Die Verlobung in St. Domingo". −Foto: Pedrotti

München (DK) So publikumswirksame Schauspiele wie "Der zerbrochene Krug" und so packende Dramen voller Gefühlsverwirrungen wie "Penthesilea" oder "Das Käthchen von Heilbronn" hat er ebenso geschrieben wie viele spannende und gefühlvolle Erzählungen. Doch bevor Heinrich von Kleist (1777-1811) seine Geliebte Henriette Vogel am Berliner Wannsee erschossen hat und anschließend Selbstmord beging, vollendete er noch seine Erzählung "Die Verlobung in San Domingo".

Hier nahm er bereits die Tragik von Mord und Selbstmord vorweg, deren Handlung Kleist freilich nach Haiti verlegte: Der Schweizer Gustav von der Ried sucht während des Aufstands der Sklaven gegen die kolonialen Ausbeuter Zuflucht gerade im Haus des Congo Hoango, des Anführers der Rebellion, der jeden Weißen massakrieren möchte. Doch Toni, Hoangos Ziehtochter, verliebt sich in den Fremden und weigert sich ihn zu verraten. Durch Intrigen im Glauben bestärkt, dass Toni ihm untreu geworden ist, erschießt Gustav seine Geliebte, der Kleist noch die Abschiedsworte in den Mund legt, mit denen "sie ihre schöne Seele aushaucht": "Ach, du hättest mir nicht mißtrauen sollen." Als Gustav seinen Irrtum erkennt, setzt auch er seinem Leben ein Ende.

Was aber destillierte der 38-jährige Regisseur Robert Borgmann aus dieser so empfindsamen Erzählung mit dem Hintergrund der brutalen Ausbeutung der Inseln der Karibik durch die Kolonialmächte Spanien und Frankreich? Eine höchst seltsame und restlos verfranste Mischung aus fader Farce und kasperlhafter Comedy, ergänzt mit wenig aussagekräftigen Einblendungen von Straßenszenen aus dem heutigen Haiti. Dazu zahlreiche ach so witzige Regieeinfälle mit geradezu läppischen aktuellen Bezügen. Ein angekündigter Zusammenhang mit "Marat/Sade" und "Ur", den beiden anderen Eröffnungsvorstellungen des Bayerischen Staatsschauspiels mit der Problematik von Asyl und Humanität, ist hier leider kaum zu erkennen. Und wie ein Seehofer-Konterfei auf einem der über der Szene schwebenden Luftballon mit Kleists Erzählung in Verbindung zu bringen ist, erschließt sich in dieser Inszenierung ebenso wenig wie das ständige Perücken- und Hütewechseln.

Dazu knallte der Regisseur zu den ohne jegliches Gespür für Kleists sensible Erzählung auch noch seine eigene nervig-monotone Begleitmusik viel zu laut dazwischen, dass Mathilde Bundschuh und der zum tollpatschigen Spiel angehaltene Marcel Heuperman in ihren jeweils verschmolzenen Figuren von Henriette Vogel und Toni sowie von Kleist und von der Ried über weite Strecken hinweg kaum zu verstehen waren. Einzig Thomas Schmauser faszinierte mit seinem beinahe halbstündigen, virtuos vorgetragenen Monolog von Heiner Müller über Heinrich von Kleist.

Wenigstens erinnerten Marie-Christiane Nishimwe mit ihren ergreifend vorgetragenen Liedern und Songs ebenso an die Ausbeutung und Unterdrückung der Bevölkerung Haitis durch die Kolonialmächte wie die auf den Kostümen abgebildeten Männer und Frauen an die von der französischen Besatzungsmacht ermordeten Freiheitskämpferinnen und -kämpfer Haitis. Und als Symbol der Versklavung durch die Kolonialherren und der Befreiung von den Besatzern hat der Bühnenbildner Rocco Peuker Leuchtröhren über der Szene installiert, die sich wie ein Riesenkrake ständig öffnen und schließen.
Doch wenn am Ende die aus Ruanda stammende Marie-Christiane Nishimwe mit dem Konterfei des Dichters auf ihrem T-Shirt und mit dem Seehofer-Luftballon in den Händen in den Bühnenhimmel entschwebt, ist's wieder mal nur ein alberner Regiegag.

Die nächsten Aufführungen im Cuvilliéstheater in München sind am 4., 11. und 16. Oktober. Kartentelefon: (089) 2185-1940.