Mäuschen spielen beim ersten Date

Fünf deutsche Theater produzieren eine unterhaltsam improvisierte Web-Soap

03.05.2020 | Stand 02.12.2020, 11:26 Uhr
Camill Jammal als Tobias Weinberger: Der Schauspieler ist einer der Köpfe hinter dem Streamingprojekt. −Foto: zeitfuereinander

München - Es ist ein echtes Schlüsselloch-Format: Zugucken beim Speed-Dating.

Welche Neugierige, welcher Voyeur würde davon nicht träumen?

Nürnbergs Hausregisseurin Anne Lenk hat mit dem Münchner Schauspieler und Musiker Camill Jammal bei einem Telefonat die Idee zu dieser szenischen Exposition ersonnen, eine spontane Idee der Corona-Zeit. Am Freitag war die erste Folge als Streaming des Deutschen Theaters zu sehen. "Zeitfüreinander" ist der Titel der Mini-Serie und zugleich Name einer fiktiven Partnervermittlungsagentur in Corona-Zeiten. Denn wo physische Distanz gefordert ist, bleibt man als Single entweder allein oder startet Kamera und App. Jeweils fünf Schauspielerinnen und Schauspieler haben die beiden Theaterleute für ihre Idee gewonnen. Zusammen mit der Regisseurin haben alle eine Biografie ihrer Rolle entwickelt - der Rest ist Improvisation.

Nur fünfmal fünf Minuten dauerte es am Freitag, bis man alle Teilnehmenden in einer atemlosen ersten Runde kennengelernt hat - und da waren wirklich Typen dabei, die man vielleicht nicht gerade zu Hause auf dem heimischen Sofa haben möchte, aber bei denen man gerne Mäuschen spielen möchte, wie es weitergeht: Die Frau, die keinen Sex mag, der Sportfanatiker, der Arzt mit dem Scheidungstrauma - sie und alle anderen haben gekonnt Duftmarken gesetzt. Weil sich Schauspielerfreunde aus verschiedenen Ecken Deutschlands zusammengetan haben, wird die Webserie an jedem Abend von einer anderen Theaterhomepage aus gestartet. Nach Berlin und Düsseldorf sind Hannover, München und zuletzt Nürnberg dran. Wem das alles zu kompliziert ist, der klickt auf die Homepage, wo man nach der Erstsendung jede Folge wiederfindet. Alles auf einmal anzuschauen ist dabei durchaus verlockend, denn wie bei jeder Serie möchte man am liebsten gleich die nächste Folge starten.

Dabei ist schon die Überschrift "Zeitfüreinander" ein Witz, denn warum sollte man ausgerechnet jetzt ein Kennenlernen auf fünf Minuten begrenzen? Allein in Corona-Isolation hat man doch sowieso nichts zu tun als zu chatten, zu telefonieren oder spazieren zu gehen. So läuft aber die Uhr mit, während die Kaschmir-Designerin (Franziska Machens vom Deutschen Theater) ihre Partner-Checkliste abarbeitet, der verpeilte Jung-Akademiker (Philippe Goos vom Schauspiel Hannover) versucht, möglichst schnell seine Aufreißer-Frage - "Wiedersehen oder wieder (nur) trinken? " - anzubringen oder die junge Frau, die keinen Sex mag (Judith Bohle vom Düsseldorfer Schauspielhaus) den idealen Partner sucht. Reizvoll ist zu beobachten, wie die Treffen sich ähneln und wo sich Gesprächsverläufe plötzlich unterscheiden. Es gilt das Stenz-Motto "Ein bissel was geht immer".

Camill Jammal, engagiert am Münchner Residenztheater, und einer der Köpfe hinter dem Projekt, ist überrascht, welch Rummel sich im Vorfeld um das Projekt entwickelt hat: "Die PR-Maschinerie, die jetzt anläuft, haben wir nicht forciert. Webserie klingt wahrscheinlich so nach Hochglanz? Ich schneide die Filme oder den Trailer dafür auf meinem elf Jahre alten Laptop mit einem simplen Programm. Wenn das dann hochglanzig wirkt, freut mich das, aber ich muss auch zugeben: Es täuscht", resümiert der 34-Jährige, der eigentlich letzte Woche mit einem "Lola Montez"-Projekt unter Georg Ringsgwandls Regie herausgekommen wäre. "Wir sind aus dem Probenbetrieb rausgeworfen worden. Das war schrecklich, ich hab das lang nicht kapiert, dachte immer, ich träume oder rattere in eine Psychose rein. Ich konnte nicht glauben, was uns da passiert. Wir sind ja auch ganz frisch gestartet mit einer neuen Intendanz. " Dass er bei einem Staatsbetrieb angestellt ist und daher weich fällt im Vergleich mit anderen Kollegen, ist Jammal klar. "Ich bin da privilegiert. " So hat er nun neben den Aktivitäten seines Stammhauses die Miniserie entwickelt, geschnitten und eine Homepage gebaut, alles mit eigenen Mitteln. "Das war aber nicht sonderlich viel", lacht er. "Es ist ein Projekt, das entstanden ist, weil wir Muße hatten. Die Stationen kamen über die Schauspieler zustande. Es gibt keine Außenaufnahmen, nur jeweils den Ausschnitt mit dem Chattenden. " Und so sehr die Optik der Laptopkamera im Home-Office inzwischen langweilt und ermüdet - als Soap Format macht sie Spaß, wirkt authentisch. Ein Blick ins Schlüsselloch des paarungsbereiten Menschen in Corona-Zeiten.

DK


In den beteiligten Theatern ist jede Folge um 19.30 bis 12 Uhr am Folgetag zu sehen, danach bleiben alle Folgen auf der Homepage www. zeitfuereinander. com zum Abruf.