Ingolstadt
Macht und Manipulation

Thomas Darchinger gastierte mit seinem Solo "Seite Eins" in Ingolstadt

13.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:13 Uhr
"Finden Sie mich schlimm?" Marco (Thomas Darchinger) ist Boulevardjournalist aus Überzeugung. −Foto: Foto: TDVision

Ingolstadt (DK) "Finden Sie mich schlimm.Ich meine: Bin ich jemand, den man mag, wenn man ihn so sieht. Schauen Sie mich ruhig an. Was meinen Sie. Nur zu." Im schwarzen Anzug ist er auf die Bühne gestürmt, die Fliege ungebunden um den Hals. Vermutlich kommt er gerade von irgendeinem gesellschaftlichen Event. Und sofort wirbt er um Sympathien.

Für sich, Marco. Aber in erster Linie für das, was er tut. Er ist Boulevardjournalist. Sein Blatt hat eine Millionenauflage und vier große Buchstaben im Titel: "TRUE" (wahr). "Seien Sie ehrlich. Sie finden das irgendwie interessant, aber auch verwegen, halbseiden, schlimm. Oder Sie haben Mitleid. Oder vielleicht beides. "

Marco steht im Zentrum von Johannes Krams Stück "Seite Eins", in dem die Maschinerie des Boulevardgewerbes unter die Lupe genommen, die Frage gestellt wird, warum 1,5 Millionen Menschen täglich etwa zur "BILD"-Zeitung greifen und die Methoden aufgedeckt werden, wie "Storys" gemacht werden. "Ein Stück für einen Mann und ein Smartphone" lautet der Untertitel. Thomas Darchinger ist der Mann, der das Solo im Ingolstädter Altstadttheater zeigt. Und das Smartphone ist sein wichtigstes Arbeitsgerät, seine Verbindung zur Welt. Zur Redaktion sowieso. Aber auch zu Leuten, die etwas wissen könnten, die jemand kennen, der jemand kennt, der etwas bestätigen könnte, die ihm noch einen Gefallen schulden.

Jetzt geht es gerade um Lea, eine junge Sängerin, die ihr erstes Album herausgebracht hat. Eigentlich hat sie große Vorbehalte gegen die "TRUE", aber dann lässt sie sich doch von Marco zu einer Geschichte bequatschen. Denn der wittert eine "Seite Eins"-Story - und bekommt sie mit allerlei fragwürdigen Methoden auch. Samt Foto. Eine Affäre mit dem Spross einer Stahl-Dynastie soll Lea haben: "Der Industrie-Erbe und das Partygirl. " Marco wähnt sich am Ziel seiner Träume. Doch das ist noch lange nicht das Ende.

Johannes Krams Stück ist bitterböse, kurzweilig und spannend, weil es sich nicht in der altbekannten Kritik an der Yellow Press mit ihrem Hang zur Skandalisierung und Emotionalisierung erschöpft, sondern den Zuschauer mit seiner eigenen Rolle im Umgang mit den Medien konfrontiert. Denn während er Marco an seiner Story arbeiten lässt, philosophiert der munter drauflos über Wahrheit und Menschlichkeit, über Voyeurismus und Verantwortung, über Macht und Manipulation, Respekt und Moral, Abhängigkeit und Einflussnahme.

Thomas Darchinger lässt es dabei kräftig menscheln, ruhelos tigert er über die nahezu leere Bühne, das Handy immer als Ohr zur Welt der Subalternen, die er nach Belieben dirigiert, verführt, indoktriniert, korrumpiert. Und dabei legt er ein System der verschiedensten Verflechtungen offen. Man nimmt Darchinger diesen Marco ab, diesen Wichtigtuer und Wortverdreher, der schnell denken und schnell sprechen kann - und selbst aus dem eigenen Versagen Nutzen zieht.

Ein interessantes Stück. Gerade in Zeiten von "fake news" und einer unkontrollierten Informationsflut in den sozialen Netzwerken sollte die Auseinandersetzung mit Medienkritik und Medienskepsis alle Beteiligten ein Stück wacher, vielleicht sogar ein Stück klüger machen.

Weitere Vorstellungen in der Drehleier München: 17., 18., 19. Mai, 14., 15. Juni, 17. Juli.

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Anja Witzke