Kultur - regional und digital

18.12.2020 | Stand 27.12.2020, 3:33 Uhr
Ein großer Wurf: Mitten im ersten Lockdown im April dieses Jahres präsentierte Audi ein Werkhallenkonzert mit Lisa Batiashvili. Leider zeigt die Audi-Homepage kaum etwas von dem Ereignis oder den Sommerkonzerten, die heuer online stattfanden. −Foto: Audi Art Experience

Die Pandemie hat der Digitalisierung einen Schub versetzt - auch in der Kulturbranche. Dort ist 2020 das Jahr der Not, aber ebenso das der neuen Online-Formate. Wie steht es damit in der Region? Ein Blick auf Highlights, Vorbilder und Nachholbedarf.

 

Videobotschaften von Schauspielerinnen des Stadttheaters, eine Online-Ausstellung, Interviews mit Orchestermusikern auf Youtube, Jazzkonzert-Mitschnitte für zu Hause, ein Klassik- und ein Kurzfilm-Festival zum Streamen. Oder vielleicht Hörspiele zum Herunterladen, ein digitaler 3-D-Rundgang durchs Museum, ein Blog, Podcasts, eine App, Social-Media-Auftritte? All das sind plötzlich übliche Formate. In Zeiten des Lockdowns ersetzen sie den Besuch im Konzert, Museum, Theater oder in der Galerie.

Oft wird eingeworfen, diese Angebote seien nur eine Krücke, kein Ersatz für die Atmosphäre, das Selbst-Hören und Selbst-Sehen, das gemeinsame Erleben mit anderen Menschen. Das mag stimmen. Und trotzdem sind in der Region einige digitale Formate entstanden, die aus Publikumssicht Qualität, Unterhaltung, Erbauung und Anregungen zum Nachdenken bringen. Sie zeigen, dass die Corona-Pandemie ein kreatives Ausprobieren mit technologischen Mitteln befördert hat.

Für diese Analyse haben wir rund 50 Kulturinstitutionen aus der Region 10 betrachtet. Die Theater, die Museen, Konzertorte und Galerien - aber auch Vereine und andere Akteure, die als Institution zählen. Darunter sind einige Vorbilder der Online-Präsenz: Das Lechner-Museum hat mit seinen jüngsten zwei digitalen Ausstellungen Hochglanz-Produkte geschaffen. Auch das Deutsche Medizinhistorische Museum zeigt mit vielen kleinen Online-Bausteinen seinen Mut zum Ausprobieren. Das Museum für Konkrete Kunst hat Veranstaltungsreihen durch Live-Streams und Video-Anleitungen zum Mitmachen ersetzt. Und das Kurzfilmfestival 20minmax hat seine diesjährige Ausgabe mit guter Resonanz komplett digital bestritten. Solche digitalen Highlights, die kreativ, innovativ und aus Sicht des Publikums lohnend sind, beleuchten wir in den kleinen Texten. Daneben gibt es in der Region einige gute Ansätze, für die es mehr Konsequenz in der Umsetzung oder mehr Sichtbarkeit bräuchte. Das Georgische Kammerorchester zum Beispiel hat mit aufwändiger Technik einen musikalischen Gruß im Home-Office eingespielt. Auf dem Youtube-Kanal des Klangkörpers gibt es außerdem ein Dutzend Konzert-Ausschnitte und Interviews - das ist ein guter Anfang, unterscheidet sich aber sehr von der Online-Präsenz anderer deutscher Orchester. Mehr Sichtbarkeit bräuchten beispielsweise die großartige Festungs-App und die Story Map, die unter Mitwirkung des Stadtmuseums und des Stadtarchivs entstanden sind - beides interaktive Online-Schätze, mit der man die Festungsgeschichte Ingolstadts nachvollziehen kann. Die App ist beim Stadtmuseum gut sichtbar und beim Bayerischen Armeemuseum einigermaßen sichtbar auf der Homepage platziert - die Story Map aber erreicht man nur über Umwege. Ein Fall mit Potenzial sind ebenfalls die Audi-Sommerkonzerte, die in diesem Jahr mit einem digitalen Programm Neuland betreten haben. Inzwischen gibt es auf der Website des Festivals aber nur noch einen mageren 20-minütigen Zusammenschnitt zu sehen - und die Website selbst ist nur eine gut versteckte Unterseite von audi.com - der Online-Auftritt eines Festivals, das sich als digitaler Vorreiter stilisieren will, sollte anders aussehen. Abgesehen von der Sommerkonzerte-Gruppe auf Facebook ist da wenig professionelle digitale Kommunikation zu entdecken

Man kann deutlich sehen, dass viele Institutionen zuletzt ihre Internet-Präsenz ausgebaut haben, zum Beispiel das Kelten Römer Museum Manching mit einem Youtube-Kanal, der bisher drei interessante Webvorträge enthält - gerne mehr davon. Mit gutem Beispiel gehen auch gemeinnützige Vereine voran: Das KAP94 und die Kunst- und Kulturbastei sind beide schon länger auf Youtube aktiv und haben ihre bisherigen Projekte in Videos oder Online-Kunst-Galerien dokumentiert. Diese Beispiele zeigen: Digitale Präsenz ist kein Hexenwerk, braucht aber Zeit und Engagement. Unverständlich bleibt es da, wenn eine bedeutende Kulturinstitution wie die Museen im Neuburger Schloss bei der digitalen Präsenz mangelhaft abschneiden. Die Staatsgalerie für Flämische Barockmalerei und das Schloss Neuburg verfügen beide nur über eine Unterseite auf der Homepage der Bayerischen Schlösserverwaltung. Ausführlichere Informationen zum Archäologischen Museum auf dem Schloss Neuburg findet man ebenfalls nur woanders: auf der Homepage der Archäologischen Staatssammlung in München. Hier gibt es Nachbesserungsbedarf in Sachen Online-Sichtbarkeit, von weitergehenden digitalen Angeboten gar nicht zu reden.

Bei solcher Kritik ist ein Punkt entscheidend: Um innovative Online-Formate entwickeln und regelmäßig produzieren zu können, braucht es die entsprechenden Ressourcen - Geld, Personal und Know-how. All das ist in der teils prekär ausgestatteten Kulturbranche oft nicht da. Auch deswegen sind wohl einige der digitalen Highlights (kleine Texte) mit Hilfe von Fördermitteln, Medienpartnern oder Sponsoren entstanden. Nicht nur Geld, auch Sichtbarkeit ist wichtig, damit digitale Kulturangebote ihr Publikum auch erreichen. Deswegen muss man die Frage nach geeigneten Multiplikatoren stellen. Viele Großstädte in Deutschland machen das schon vor: Auf muenchen.de, auf nuernberg.de oder auf hamburg.de gibt es eigene Online-Dossiers mit digitalen Kulturangeboten aus der Stadt. In der Region 10 findet man zumindest ähnliche Ansätze: Die Stadt Eichstätt hatte im Frühjahr und Sommer ein Kultur-Dossier auf der Stadtseite von www.eichstaett.de platziert. Aktuell bieten Ingolstadt, Eichstätt und Neuburg Online-Adventskalender mit Kultur-Inhalten an.

Es entwickelt sich also durchaus etwas in Sachen digitale Kulturangebote in der Region - zumindest aus Sicht des Publikums, auf die wir uns hier konzentriert haben. Eine ganz andere Frage ist, wie Kulturschaffende mit solchen Online-Formaten tatsächlich Geld verdienen können.

Geschichte to go

Stadtgeschichte erleben ohne Museum - möglich machen es Festungs-App und Story Map, beide entstanden in Zusammenarbeit von Uwe Arauner und Stadtmuseums-Archäologe Gerd Riedel. Fürs Spazierengehen ist die Festungs-App gut geeignet: Dank Standorterkennung bekommt man Infos zu Bauten vom Frühmittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Für zu Hause auf dem Sofa ist die Story Map (Link in der Festungs-App), eine animierte Karte mit Geschichten dazu, eine lehrreiche Unterhaltung. Zugänglich ist die Festungs-App über die Homepage des Stadtmuseums unter www.ingolstadt.de/stadtmuseum und die Homepage des Bayerischen Armeemuseums - bei Letzterem gibt es unter 1914-1918.armeemuseum.de auch ein virtuelles Museum zum Ersten Weltkrieg.

Do-it-Yourself-Kunst

Mut zu digitalen Lösungen beweist das Museum für Konkrete Kunst. Die familienfreundliche Veranstaltungsreihe Sonntags?Kunst! ist jetzt eine Serie von Video-Anleitungen - unterstützt durch Audi Art Experience. Kreative können so zu Hause Collagen nach Matisse kleben oder malen wie Mondrian. Erwachsene Kunstinteressierte können per Live-Stream der Gesprächsreihe "Ansichtssache digital" beiwohnen - eine Kooperation mit dem Rotary Club. Die Reihe soll dazu ermutigen, als Nicht-Experte seine Meinung über Kunst zu äußern: In der nächsten Folge am 18. Dezember, 18 Uhr, spricht Direktorin Simone Schimpf mit Kaufmann Frank Wendler über die Schau "Mind the Gap!" www.mkk-ingolstadt.de.

Wissen in Häppchen

Ein Vorbild in Sachen gelungene Online-Präsenz ist das Deutsche Medizinhistorische Museum. Auf der Homepage findet man einen virtuellen Rundgang durch die neue Ausstellung "Die Ingolstädter Maskentonne" und unter "DMMI Digital" die "Objektgeschichten" mit Fotos und kurzen Texten - allein 60 davon zu "Covid-19 & History". Sie zeigen, dass viele für uns ungewohnte Seuchen-Phänomene bereits früher in der Geschichte aufgetreten sind: Verschwörungstheorien, Impfgegner, Social Distancing. Im Frühjahr sind in Zusammenarbeit mit dem Kulturkanal außerdem drei Podcasts mit Blicken hinter die Kulissen entstanden. Mehr solcher Einblicke gewähren die gut gepflegten Social-Media-Profile auf Facebook und Instagram. www.dmm-ingolstadt.de.

Zeitreise im Hörspiel

Das Jura-Museum in Eichstätt ist gerade bei Kindern beliebt - Dinosaurier und andere Lebewesen früherer Erdzeitalter faszinieren viele Menschen. Etwas versteckt unter dem Menüpunkt "Museumspädagogik" bietet die Homepage des Museums auch Inhalte für zu Hause an: Das Hörspiel "Zeitreise ins Jura-Meer: Eine Hörexpedition mit dem Jura-Museum" entführt 38 Minuten lang in die Welt der Forscherinnen und Forscher. Eine Expeditionsleiterin, ein Zeitmaschinenmechaniker oder eine Expertin für Unterwasserlebewesen erklären etwas zu Tintenfischen, Riffen oder dem Ichtyosaurier - detailverliebt produziert mit professionellen Sprechern und vielen Geräuschen. Das Hörspiel ist auch für die Nutzung in der Schule gedacht. www.jura-museum.de

Lokale Szene-Plattform

Den Auftrag als städtischer Kulturveranstalter nimmt Inkult auch in Krisenzeiten wahr: Kernstück ist der Blog #Trotzdemjetzt - eine Online-Plattform für die lokale Kulturszene. Liebevoll produzierte Musik gibt es im Videoformat als Kanal neun Sessions (auch auf Youtube). Dort spielen regionale Ensembles jeweils mehrere Stücke: Von Bands wie Kapuze, Max Rogue, The Komets oder Rosvita Radikal bis hin zu Musik mit selteneren Instrumenten wie der türkischen Baglama oder der japanischen Bambusflöte Shakuhachi. Zu entdecken gibt es auch die Interview-Reihe "Kunstentzug", die Szene-Talk-Reihe "The Young, the Old & the Club" und gefeaturte Inhalte aus der Szene - von Märchenerzählerin bis Fotografen. www.trotzdemjetzt.de.

Jazz für zu Hause

Prominent auf der Startseite seiner Homepage präsentiert der Neuburger Jazzclub Birdland sein Angebot für Lockdown-Zeiten: Aufgelistet sind alle Sendetermine der Mitschnitte vom Birdland Radio Jazz Festival 2020 - sie werden von Dezember bis Februar in der BR-Klassik-Sendung Jazztime (ab 23 Uhr) übertragen. Außerdem verlinkt ist der Youtube-Kanal des Birdland: Dort findet man weitere 20 Mitschnitte von Konzerten, diesmal mit Videos. Dabei sind Jazz-Ensembles aus der Region, aber auch bekannte Musikerinnen und Musiker wie Lee Konitz, Cécile Verny oder Marc Copland. Jazzkeller-Atmosphäre gibt es gleich mit dazu, denn die Videos sind Aufzeichnungen der kompletten Konzerte aus der Perspektive Zuschauerraum. www.birdland.de.

Online-Türchen

Das Ingolstädter Stadttheater hat schon im Frühjahr auf digitale Angebote gesetzt und mit Videos kleine Kultur-Häppchen geliefert. Kern der momentanen Online-Aktivitäten ist der Adventskalender des Jungen Theaters auf der Stadttheater-Homepage. Jeden Tag gibt es dort neue Hörspiele, Bastelanleitungen, Rätsel, Videos oder Rezepte. Veranstaltungen wie das Café international und den Next-Generation-Poetry-Slam-Club organisiert das Theater als Videokonferenz-Formate. Zu entdecken sind außerdem der Audio-Walk "Romeo und Julia auf Abwegen" mit Hörspielen und einer dazugehörigen Karte, einige Podcast-Folgen und ein Online-Dossier mit Informationen, das den ausgefallenen Tag der Menschenrechte kompensiert. www.theater.ingolstadt.de.

Galerie im Netz

Es ist einfach, aber dennoch wirkungsvoll, und der Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberbayern Nord und Ingolstadt (BBK) macht es vor: Man gestalte eine Homepage-Unterseite mit eingängigem Namen, nehme dazu einen Instagram-Kanal und eine Facebook-Seite, verlinke alles sauber untereinander und teile dann auf allen drei Kanälen Werke der Mitglieder. Der Lohn dafür sind Sichtbarkeit, Aufmerksamkeit und nette Kultur-Häppchen für Fans und Interessierte. Der BBK nennt das #museumimnetz und zieht die Aktion seit März anfangs täglich, inzwischen wöchentlich durch. Entstanden ist so eine beeindruckende Sammlung regionaler Werke, die dank der Social-Media-Präsenz einfach zugänglich ist. www.bbk-ingolstadt.de/museumimnetz

Shoppen wie die Römer

Eine pfiffige Idee für den Geschichtsunterricht hat das Römer- und Bajuwarenmuseum Kipfenberg entwickelt. Kostenlos bietet es den Online-Shop "Taberna mercatoria" an, der Produkte aus der Spätantike im Angebot hat. Darf es Papyrus, Weihrauch, Pigment vom Eisenoxid, ein neues Trinkhorn oder eine schicke Tunika sein? Die Produkte haben informative Beschreibungen, man kann sie in den Warenkorb legen, dann hat die Zeitreise ein Ende: Man liefere leider nicht ins 21. Jahrhundert, heißt es scherzhaft. Schulen können die aus LEADER-Förderung finanzierte Website dank ergänzender Videos und Arbeitsblätter für Rollenspiele nutzen: Sie verdeutlichen den Handel zwischen Römern und Germanen und das Alltagsleben der Antike. www.roemer-taberna.de.

Festival fürs Sofa

Ein komplettes Online-Festival - dass es so kommen würde, war beim Kurzfilmfest 20minmax ursprünglich nicht geplant. Nach Verschiebung und Planungen für ein Hybridfestival wagten Marcel Aigner und Team angesichts des Teil-Lockdowns im November den Schritt, ihre Kurzfilmtage komplett digital stattfinden zu lassen. Mit einem Festivalpass konnte das Publikum insgesamt 69 Werke aus 26 Ländern und aufgezeichnete Interviews mit Regisseuren streamen. 20minmax gehört damit zu einer Reihe von Filmfestivals, die heuer auf ein digitales Format gesetzt haben. Das Angebot kam gut an. Trotzdem ist für den Herbst 2021 wieder ein analoges Festival im Kino geplant - wegen der Atmosphäre und des Austauschs. www.20minmax.com

Drei Minuten Kultur

Eine Aktion, die für Kulturschaffende und für ihr Publikum gewinnbringend ist, hat sich das Kulturreferat der Stadt Ingolstadt ausgedacht. In der Reihe "3 Minuten im Advent", zu sehen auf Youtube, stellen in 26 Videos lokale Persönlichkeiten sich und ihre Arbeit vor: Bildende Künstlerinnen wie Alexandra Fromm, der Zauberer Sven Catello oder die Schriftstellerin Carmen Mayer. Alle Videos werden von der Kulturförderung mit 500 Euro vergütet, sie schaffen neben der Sichtbarkeit also auch ein kleines Zubrot. Für das Publikum ist die Reihe ein Adventskalender mit spannenden Einblicken in die Kultur der Region: mit Lesungen, Musik, Performance, Bildergalerien oder Atelierführungen (bei Dagmar Hummel, Foto). www.ingolstadt.de/3minuten.

Digital und 3D

Das Lechner-Museum hat das Thema digitale Ausstellungen konsequent in Angriff genommen - schon zweimal und mit unterschiedlichen Konzepten. Die aktuelle Fotoschau "Divided we stand" steht unter divided-we-stand.us als Online-Dossier mit erklärenden Texten und Videos, unter anderem mit den beiden Fotografen, zur Verfügung. Zur vorherigen Ausstellung "Rot x Stahl" mit Werken von Rupprecht Geiger und Alf Lechner gab es einen 3-D-Rundgang, der noch auf der Homepage abrufbar ist. Beim virtuellen Begehen der Räume kann man Kamera-Symbole über den Exponaten anklicken, dann erscheinen erläuternde Videos mit Kurator Daniel McLaughlin. Auf die digitale Führung kann man unabhängig vom 3-D-Bild zugreifen. www.lechner-museum.de