Genk
Kosmopolitische Hühner im belgischen Kunstpark

29.07.2019 | Stand 02.12.2020, 13:24 Uhr
Der Künstler Koen Vanmechelen in seinem „Labiomista“-Atelier. −Foto: Sabine Glaubitz

Koen Vanmechelen arbeitet seit über 20 Jahren an seinem kosmopolitischen Hühner-Projekt. Nun hat der belgische Künstler eine Stiftung eröffnet mit viel Platz für seine Kunst, philosophischen Visionen und gefiederten Zweibeinern.

Riesige Fotos von Hühnern, vor denen Alpakas liegen. Dromedare, die neben einem Diskussionsforum grasen. „Labiomista“ heißt der ungewöhnliche Ort im flämischen Genk in Belgien.

Auf 24 Hektar hat der Künstler Koen Vanmechelen seit kurzem ein Projekt umgesetzt, das all sein Schaffen und seine philosophischen Visionen vereint, die sich zwischen Kunst und Wissenschaft bewegen. Zu ihnen gehört sein Konzept des kosmopolitischen Huhns, mit dem der Belgier Diversität und Identität thematisiert.

„Das Projekt macht meine Ideen sichtbar“, sagte der 53-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Und diese kreisen um drei Säulen. „Meine Kunst, meine Stiftungen und meine Farmen“, erklärt Vanmechelen. Wobei sich alle drei gegenseitig beeinflussen und kaum noch voneinander zu trennen sind, wie auf „Labiomista“ zu sehen ist.

Auf dem Gelände, das etwa der Größe von 24 Fußballfeldern entspricht, befinden sich die „Battery“, das 5 000 Quadratmeter große Atelier des Künstlers, und das „Labovo“, ein Pavillon mit offenem Amphitheater für wissenschaftliche und künstlerische Diskussionen und einer Dachterrasse, von der aus man einen Blick auf den „Cosmopolitan Culture Park“ hat: Skulpturen, die Vanmechelen entworfen hat, sowie Gehege mit Hühnern, Straußen, Dromedaren und Alpakas, die alle aus seinen Farmen stammen.

Vanmechelens Schaffen und Denken dreht sich vor allem um das Huhn. Seit den späten 90er Jahren arbeitet der international bekannte Künstler an seinem „Cosmopolitan Chicken Project“, dessen Ziel es ist, ein kosmopolitisches Huhn zu züchten. Dafür kreuzt er in Zusammenarbeit mit Genetikern und Virologen Hühner und Hähne aus vielen Ländern. Mittlerweile sind 24 Hühnergenerationen entstanden. Mit 30 000 Zellen sei ihr DNA-Gehalt heute drei mal so hoch wie bei herkömmlichen Hühnern, fügte er hinzu. Weshalb sie fruchtbarer und resistenter seien und auch länger leben.

Das Huhn steht bei dem flämischen Künstler als Metapher für Leben und für Kritik an unserer Gesellschaft. Denn für ihn sind Rassehühner das Phänomen einer Monokultur mit ihren Folgen wie Missbildungen und Krankheiten. Dass er sich mit seinem Züchtungsprojekt auf eine Gratwanderung begeben hat, ist ihm bewusst. Auf Kritik von Tierschützern war er gefasst. Seine Antwort darauf: Ihm gehe es nicht um hochgezüchtete Rassen, sondern um biologische Vielfalt, das Miteinanderleben und um Identität.

Er habe noch nie ein Huhn getötet, betont er. Sie würden alle eines natürlichen Todes auf seinen Farmen sterben. Mittlerweile hat sein Konzept des kosmopolitischen Huhns auch Einsatz in Entwicklungsländern gefunden. Seit 2016 arbeitet er zusammen mit dem Äthiopischen Institut für Landwirtschaft und dem International Livestock Research Institute an „Incubated Worlds“.

Bei dem Projekt geht es darum, äthiopische Hühner und Hähne mit seinen hybriden Zweibeinern zu kreuzen, um eine resistente und fruchtbare lokale Rasse zu züchten. Äthiopien gehört zu den bevölkerungsreichsten Binnenstaaten der Welt und den ärmsten Ländern Afrikas. „Das war einer meiner schönsten Momente“, erinnerte sich der Künstler. Denn damit habe sich seine Überzeugung bewahrheitet, dass Kunst zu einer besseren Welt beitragen kann.

Mit „Labiomista“ hat Vanmechelen seine sechste Stiftung eröffnet. Im Jahr 2010 entstand „The Walking Egg Foundation“, deren Ziel die Erforschung der Fertilität in Entwicklungsländern ist, 2011 die Open University of Diversity, eine Art Think-tank zum Thema Biodiversität.

Seit mehr als 20 Jahren hat Vanmechelen seine hybriden Zweibeiner zur Kunst erhoben in allen nur möglichen Formen: ihre Asche, ihre Eier, ihr Sperma. Er hat sie mumifiziert, ausgestopft, fotografiert und in bunten Farben auf Leinwand verewigt und weltweit in Museen und auf Biennalen ausgestellt. Auf „Labiomista“ zieren zwei Fotografien seiner gekreuzten Kreaturen das Gehege der Alpakas.

„Labiomista“, was soviel wie gemischtes Leben bedeutet, ist in Zusammenarbeit mit der Stadt Genk entstanden. Der Bürgermeister, Wim Dries, suchte eine neue Verwendung für das Gelände, auf dem sich bis 1997 ein Zoo befand und ursprünglich die 1966 geschlossene Zeche Zwartberg. An die Geschichte des Bergwerks erinnert auf „Labiomista“ noch die einstige Direktoren-Residenz. Heute sind in dem Gebäude Kunstwerke von Vanmechelen ausgestellt.

Von den rund 20,6 Millionen Kosten hat der Künstler 8 Millionen finanziert, 4,6 Millionen steuerten diverse staatliche lokale und örtliche Einrichtungen bei und 8 Millionen die Stadt. Denn das Projekt passe in das über 66 000 Einwohner große multikulturelle Genk, sagt Bürgermeister Dries. In den Zechen der Stadt arbeiteten einst Polen, Italiener, Griechen, Spanier, Portugiesen und Marokkaner.

Homepage der Stiftung