Gaimersheim
Konzerte in der Flughafen-Wartehalle

Die Gaimersheimer Pianistin Masha Dimitrieva beeindruckt mit ungewöhnlichen Veranstaltungsorten und Programmen

06.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:53 Uhr
Von der Pianistin zur Kulturmanagerin: Masha Dimitrieva. −Foto: privat

Gaimersheim (DK) Musik, die abhebt: "Classic in the air", nannte Masha Dimitrieva vor einem Jahr eins ihrer Projekte, ein Festival am Flughafen München.

Zwischen Flugzeugen, Wartehallen und Check-In-Schaltern spielten Klassikkünstler. Das funktionierte hervorragend, das einzige Flugzeug, das wirklich hätte stören können, ein landender Jumbo-Jet, setzte genau in der Konzertpause auf.

Die russische Pianistin liebt ungewöhnliche Initiativen. Seit ihre pianistische Karriere nicht mehr im Mittelpunkt für sie steht und sie sich mehr als Mutter eines inzwischen zehnjährigen Sohnes sieht, versteht die in Gaimersheim lebende Künstlerin sich mehr und mehr als Förderin unbekannter Komponisten und als Kulturmanagerin. Aber es ist ein beschwerlicher Kampf, Projekte, die auf Fördergelder, Sponsoren und andere Unterstützer angewiesen sind, durchzusetzen. Vor Kurzem hat sie als Pianistin die erste CD einer geplanten Gesamteinspielung der Klavierwerke des amerikanischen Komponisten Gordon Sherwood veröffentlicht.

Derzeit arbeitet Masha Dimitrieva an einer Neuauflage des Flughafenfestivals. Diesmal allerdings sollen nicht nur geladene Gäste in den Genuss kommen, klassische Musik an einem ungewöhnlichen Ort zu erleben. Sie möchte ein allgemeines Publikum ansprechen, am liebsten Menschen, die sonst nie oder nur selten in klassische Konzerte gehen. "Wir kämpfen dafür, dass die Klassik nicht so abgehoben ist", sagt sie. Und erzählt dann, dass sie bereits in den 1990er-Jahren in dem Konzert "Beethoven in Blue Jeans" in New Orleans gespielt hat, um ein junges Publikum zu erreichen. Im Münchner Flughafen soll das Konzert nun noch stärker in das Flughafen-Geschehen integriert sein. "Ich möchte Menschen etwas bieten, die gerade auf das nächste Flugzeug warten", erzählt sie. Die Konzerte sollen einen Charakter haben wie die "Hop-on und Hop-off"-Stadtrundfahrten. Die einzelnen Konzertabschnitte dauern nicht länger als 20 Minuten, und die Flughafengäste können sich in einem provisorisch abgeschirmten Bereich spontan einfinden und zuhören. Während im vergangenen Jahr der Partnerflughafen in Moskau für das Konzertprogramm Pate stand, steht diesmal der Partnerflughafen Denver im Mittelpunkt. Geboten werden also bevorzugt amerikanische Komponisten und Interpreten.

Noch befindet sich das Flughafenkonzert in der Planungsphase. Aber Masha Dimitrieva ist guter Dinge, dass es im kommenden Sommer zu dem Konzert-Event kommt. Pessimistischer blickt sie auf ihren Heimatort Gaimersheim. Für den hat sie ein ausgefeiltes Festivalkonzept erstellt, das allerdings auf zu wenig Gegenliebe beim Gemeinderat stieß. Ohne finanzielle Unterstützung der Kommune ist "Klassik reloaded" mit vielen lokalen Künstlern nicht auf die Beine zu stellen. So liegt das Projekt erstmal auf Eis.

Woran die russische Pianistin, die seit 2011 in Gaimersheim lebt, noch arbeitet, ist eine Musikakademie im Burgenland. In dem als Centrope-Region bekannten Gebiet zwischen Slowakei, Ungarn, Österreich und Tschechien will sie junge Talente fördern, etwa in speziellen Meisterklassen. Aber auch hier bedarf es noch viel Geschick und Überredungskunst, damit die Akademie eines Tages ins Leben gerufen werden kann.

Der Rollenwechsel, den Masha Dimitrieva in den vergangenen Jahren vollzogen hat, von der international agierenden Konzertpianistin hin zur Kulturmanagerin, ist noch nicht ganz abgeschlossen. Auch wenn sich die 52-Jährige nicht mehr in erster Linie als reisende Virtuosin versteht, tritt sie doch immer noch in kleinem Rahmen auf. Etwa heute in der Reihe MittwochKlassik im Ingolstädter Kamerariat. Auch CDs produziert sie noch, inzwischen mit einem eigenen, von ihr gegründeten Label. Aber die großen Konzerte? "Ich mache diesen Zirkus nicht mehr mit", sagt sie entschieden. Und weiß viel zu berichten von den Unbillen des Klassikmarktes. In dem inzwischen auch hübsche Künstlerinnen in betörenden, kurzgeschnittenen Kleidern die größte Karriere machen. Wo PR-Experten Laufbahnen schmieden. Und junge Pianisten viel mehr drauf haben müssen als tiefgründiges Klavierspiel - etwa die eisenstarke Vitalität, fast jeden Abend vor dem Publikum funktionieren zu können. Und die Fähigkeit, sich auch vor Presseleuten und im Fernsehen stets optimal zu verkaufen.

Dabei ist Masha Dimitrieva eine fantastische Pianistin. In den 90er-Jahren stand sie nach einer extrem harten Ausbildung am Moskauer Konservatorium bereits am Startpunkt zu einer großen Karriere. Sie spielte mit bedeutenden Orchestern in den USA und Europa, und sie veröffentlichte zahlreiche CDs auf international bekannten Labels.

Inzwischen ist ihr anderes wichtiger: Etwa die Entdeckung des kauzig-genialischen Komponisten Gordon Sherwood, der sich ein Leben lang einer bürgerlichen Existenz verweigert hat und daher bis heute so gut wie unbekannt ist. Oder die Produktion kleiner, höchst originell konzipierter CD-Einspielungen.

Man spürt: Masha Dimitrieva macht das Beste aus ihrem großen Talent. Sie braucht sich nicht zu verkaufen für den Erfolg. Sie tut, was ihr wichtig ist, sie hat Zeit, sich um ihre Familie zu kümmern und lebt ausgesprochen idyllisch in Gaimerheim. Ein Leben, wie es ihr gefällt.

Unter dem Titel "Russische Märchen" gibt Masha Dimitrieva heute Abend, 18.30 Uhr, im Rahmen der Reihe MittwochKlassik im Kamerariat einen Klavierabend. Der Eintritt ist frei. Ein weiterer Klavierabend findet am 17. November, 19 Uhr, im Rathaus Gaimersheim statt. Auf dem Programm stehen Werke von Ludwig van Beethoven, Johannes Brahms, Robert Schumann und George Gershwin.

Jesko Schulze-Reimpell