Freiburg
Kontemplativ und in sich ruhend im Getriebe der Welt

Städtische Museen in Freiburg verhelfen vergessenem Sohn der Stadt Julius Bissier (1893-1965) zu einem starken Auftritt

25.07.2018 | Stand 23.09.2023, 4:12 Uhr
Sabine Busch-Frank
Im städtischen Museum Freiburg treffen ostasiatische Sammlung und Julius Bissiers Tuschen aufeinander. −Foto: Sabine Busch-Frank

Freiburg (DK) Manchmal darf man sich ja auch als Kunstfreund einen prosaischen Gedankengang leisten: Wie mag das sein, mit einem Mann verheiratet zu sein, der autodidaktisch und unverzagt Nacht für Nacht Hunderte von Tuschezeichnungen anfertigt?

Mit selbstgefertigten Pinseln schwungvolle Geheimzeichen auf teure Papiere malt, die keiner versteht und niemand kauft? Und das über Jahrzehnte hin?

Die Liebe muss sehr stark gewesen sein und der Glauben von Lisbeth Bissier an ihren Mann Julius auch. Mehr als 20 Jahre sollte es dauern, bis die Kunstwelt aufmerksam wurde auf die so reduziert wie pathetischen, irgendwie alternativlos anmutenden Arbeiten des Freiburger Künstlers. Er war über 60 Jahre, als der Ruhm kam - mit Einladungen zur Biennale in Venedig (1958) und zur Kasseler documenta im Folgejahr. Er starb im 72. Lebensjahr, 20 Jahre nach Kriegsende.

Die kürzlich eröffnete Ausstellung im Freiburger Augustinermuseum will jedoch mehr, als einen schon wieder in der Geschichte versinkenden Sohn der Stadt dem Vergessen entreißen. Klug haben die Kuratorinnen Isabel Herder und Anna Hagdorn Bezüge hergestellt zwischen Stücken der hauseigenen Ostasien-Sammlung und Bissiers Arbeit.

Tatsächlich war es ein Freiburger Asienkenner, der Bissiers Interesse an der fremden Welt der Teezeremonie und der Kalligraphie weckte: Der Gelehrte und Sammler Ernst Grosse, welcher mit einer Japanerin verheiratet war, erspürte bereits in seinem frühen, noch der Neuen Sachlichkeit und Gegenständlichkeit verhafteten Werk eine fernöstliche Anmutung. Er entzündete die Neugierde des jungen Künstlers und setzte jenen alles entscheidenden Impuls frei, der Bissier Jahre später zu einem ästhetischen Umdenken und zur Aufgabe des Bildhintergrundes geführt haben mag. Zen Buddhismus und Daoismus studierend meditierte er sich malend durch die Schicksalsschläge seines Lebens, durch Nazizeit, Depressionen, eine jahrzehntelange Scheinidentität als Buchhalter der eigenen Ehefrau und große Abgeschiedenheit.
 
Bissier war ein Solitär weitab von den Metropolen, obwohl große Namen wie Martin Heidegger, Constantin Brâncusi, vor allem aber Oskar Schlemmer seinen Weg kreuzten. Ohne je in Japan gewesen zu sein, spürte Bissier dem Wesen der Tusche und der Kaligraphie in ähnlicher Weise nach wie die Jahrhunderte der Tradition hinwegfegende japanische Nachkriegskalligraphie. Die kurzen Aphorismen des malenden Viellesers, welche sich in dem umfassenden und unbedingt lesenswerten Katalog finden, sind bemerkenswert und scheinen sich über Zeit und Ort hinweg aus dem Geist Japans und Chinas zu nähren.

Mit der Symbolik seiner Werke scheint Bissier seinen angstvollen Nächten unübersehbare Grenzen setzen zu wollen, denn die Furcht, von den Nationalsozialisten wegen seiner abstrakten, womöglich unter ihr Verdikt der "Entartung" fallenden Werke angefeindet zu werden, verließ den Künstler in den Jahren ihrer Herrschaft nicht.

Seine kleinformatigen, diskret zu versteckenden Tuschen werden hier präsentiert im Kontext der Malerei und Farbholzschnitte, Teeschalen und No-Masken, Holzarbeiten und Schriftrollen der städtischen ethnologischen Sammlung, die zum Teil durch Grosse erworben wurden. So sind Wurzel und Blüte von Bissiers Kunstbild in stupender Harmonie versammelt, umfassen einander wie Ying und Yang in einer klug verdichteten und fein präsentierten Ausstellung.

Zur Eröffnung angereist ist auch der Enkel des Künstlers Pedro Riz à Porta, ein feiner, seinem Großvater aus dem Gesicht geschnittener älterer Herr aus der Schweiz. Dort lebt er im früheren Wohnhaus des Malers, erstellt ein Werkverzeichnis und pflegt den Nachlass. Die Frage, ob er nie dagegen rebelliert hat, dass sein eigenes Leben so stark vom Zufall seiner familiären Herkunft dominiert wird, nimmt er mit sanfter Verwunderung auf: "In unserem Haus war schon immer eine große Harmonie, ich habe nicht den Eindruck, dass ich mein Leben unterordnen muss. Meine Mutter hat immer für die Arbeit ihres Vaters gelebt und ich habe ihr später einfach geholfen. " In Ascona unterhält Riz á Porta auch das Archivio Bissier, wo sich unter anderem die Briefe und Tagebücher des Malers finden. Wenn der Nachfahre von seiner Arbeit dort spricht, sagt er auch heute noch "wir" - als würden die Geister seiner Lieben ihm über die Schultern schauen, während er ihr Vermächtnis behütet.

Freiburger Augustinermuseum: "Julius Bissier und Ostasien - Im Raum meiner Imagination", bis 23. September, Di bis So, 10 bis 17 Uhr.
 

Sabine Busch-Frank