Jedes Jahr Warten kostet Millionen

Am günstigen wäre es, das Münchner Konzerthaus so schnell wie möglich zu bauen - Ein Gastbeitrag von Raphaela Gromes

04.04.2022 | Stand 13.04.2022, 3:33 Uhr
"Ein Skandal": Die Cellistin Raphaela Gromes über Markus Söders Absicht, den Bau des Konzerthauses noch einmal zu überdenken. −Foto: Imielski

Es ist zum Heulen.

Dass Herr Söder avisiert, das neu geplante Münchner Konzerthaus nochmal überdenken zu wollen, ist nach all den vollmundigen Planungen und Ankündigungen nicht nur eine Peinlichkeit und ein Skandal. Es zeigt vor allem - als hätten wir nach den zwei Jahren Corona-Politik noch einen Beweis gebraucht - einmal mehr, welch geringer Stellenwert der Kultur von unserer Politik gegeben wird.

Wie offensichtlich, dass unser Ministerpräsident dieses Thema zum Wahlkampf benutzen will und scheinbar dringend etwas braucht, um seine Beliebtheitswerte wieder zu steigern, die nach dem Debakel um die CSU-Maut und den dadurch versenkten Steuermillionen im Keller sind. So wechselt er erst seine Kunst- und Bauminister aus, um kurz darauf preiszugeben, dass er das größte und wichtigste Bauprojekt, das Bayern derzeit hat, vielleicht doch nicht realisieren will. Seine Wortwahl ist dabei irreführend und manipulativ, um die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich zu ziehen und einen großen Aufschrei zu verhindern. So spricht er von einer Milliarde Baukosten, die natürlich auch begeisterte Kulturverfechter sofort abschreckt, obwohl die aktuelle offizielle Hochrechnung derzeit bei 580 Millionen Euro, also gut der Hälfte liegt. Außerdem spricht er von einem "Tempel für die Kultur". Ein Schlag ins Gesicht für alle, die seit Jahren genau daran arbeiten, das Konzerthaus so offen, einladend und niederschwellig wie möglich zu gestalten, um junge Menschen und neues Publikum in den Konzertkomplex zu locken.

Denn genau das ist der entscheidende Punkt: Wir sprechen nicht von einem Konzertsaal, wir sprechen von einem zehnstöckigen Kulturtrakt, der neben drei Konzertsälen mit Top-Akustik und Tonstudios auch diverse Workshopräume, Experimental- und Bewegungsräume, Gastronomie und Shops bieten soll. Dabei wäre der Komplex weltweit führend in Bezug auf Digitalformate, Hybridformate und soll zudem auf einem ganzen Stockwerk eine beispiellose Bildungsplattform bereitstellen, die in enger Zusammenarbeit mit der Münchener Musikhochschule entsteht. Geplant ist das Konzerthaus direkt am Münchner Ostbahnhof, dem drittgrößten Bahnhof Bayerns, in dem modernsten und spannendsten Viertel der Stadt, und eröffnet dadurch "ideale Möglichkeiten zur Interaktion und Partizipation - für Menschen jedes Alters, jeder Herkunft, jeden sozialen Hintergrunds sowie mit und ohne Behinderung". Eben kein Tempel für die Hochkultur, sondern ein "offenes, lebendiges und überraschendes Haus, das mit Musik von Klassik bis Jazz, von Weltmusik bis zu völlig neuen experimentellen Formen begeistern und berühren soll" (siehe offizielle Seite des Münchner Konzerthauses).

Wenn jetzt von einem Sparplan geredet wird, wäre genau das in Gefahr: All das, was dieses Kulturzentrum so besonders und offen gemacht hätte. Und am Ende würde vielleicht tatsächlich nur ein großer neuer Saal realisiert werden, bis dahin durch die lange Zeitverzögerung vermutlich für die gleichen Kosten, mit denen jetzt noch die volle Vision des Kulturkomplexes hätte errichtet werden können. Denn jeder Tag Nachdenken kostet! Mit einer jährlichen Baukostensteigerung von ca. 10 Prozent, die wir zurzeit haben, kostet jedes Jahr Warten Millionen. Wie unglaublich zermürbend mutet es an, Politiker zu sein. Dinge, für die Jahrzehntelang gekämpft wird und die längst beschlossen sind, können einfach Jahre später wieder eingestampft, und damit all die Millionen, die dafür schon ausgegeben und die Pläne und Hoffnungen, die damit verbunden sind, wieder zu Grabe getragen werden. Denn die Planung des Konzerthauses ist schon weit vorangeschritten, rund 30 Firmen mit über 100 Personen arbeiten derzeit an der detaillierten Ausarbeitung der Pläne. Das Sinnvollste und Effektivste wäre, das Projekt jetzt so schnell wie möglich zu realisieren und damit ein Zeichen zu setzen:

Das neue Konzerthaus ist doch - siehe Elbphilharmonie - ein internationaler Magnet (der sich im Übrigen innerhalb kurzer Zeit wieder refinanzieren würde), ein Symbol für Kultur und Bildung und die langersehnte Heimat für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunk, eines der besten Orchester der Welt, das in München keinen einzigen Saal zur Verfügung hat, das seiner Qualität entspricht.

Und gerade in diesen düsteren Zeiten ist Musik und Kultur wichtiger denn je. Sie gibt Hoffnung, Trost und Seelennahrung und kann so die Moral der ganzen Gesellschaft hochhalten. Es bleibt zu hoffen, dass dieses innovative und genial geplante Kulturzentrum allen Widerständen zum Trotz realisiert wird. Ein zukunftsweisendes kulturelles Leuchtturmprojekt, das für München, Bayern und ganz Deutschland einen unabsehbar großen Gewinn darstellen würde und nicht der Bürokratisierung und dem Populismus unserer Politik zum Opfer fällt.

ZUR PERSON

Raphaela Gromes (31) gastiert am 20. Juli zusammen mit Julian Riem, Klavier, im Ingolstädter Festsaal und spielt mit dem Georgischen Kammerorchester die Uraufführung eines Konzerts von Igor Loboda. Gromes gewann unter anderem den Musikförderungspreis des Konzertvereins Ingolstadt und tritt seitdem in wichtigen Konzertsälen auf wie der Elbphilharmonie. Sie ist Exklusivkünstlerin bei dem Label Sony classical und erhielt 2020 den Opus Klassik für die beste Kammermusikeinspielung des Jahres.