Ingolstadt
Zwei Extreme

Bluesfest mit Sean Taylor und Stephanie Nilles

15.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:47 Uhr
Der Brite Sean Taylor hat gerade sein neues Album "Flood & Burn" veröffentlicht. Am Mittwoch spielte er in Ingolstadt. −Foto: Foto: Leitner

Ingolstadt (DK) Obwohl man es unwillkürlich tut, nachdem sie beim Doppelkonzert nacheinander auf der Bühne der Neuen Welt stehen, sollte man Sean Taylor und Stephanie Nilles dennoch tunlichst nicht vergleichen?

Der Folk-, Blues- und Balladensänger aus London mit seiner Gitarre und die quirlige, extravagante Pianistin und Sängerin aus New Orleans sind einfach zu verschieden. Beide singen sie unter anderem auch den Blues, aber zwischen Taylor's "The Path Into Blue" und Nilles' "Love Me Or I'll Kill You" liegen Welten.

Taylor steht in der Tradition der Folk-Troubadours, singt mit weicher, kehliger Stimme voller Wehmut von "Biddy Mulligans", dem längst geschlossenen Pub in der Kilburn High Road gleich um die Ecke, widmet "The Cruelty Of Man" wenig geschätzten TV-Soaphelden und schwelgt anschließend in "Codeine Dreams". Gerne lässt er sich klanglich weit zurückfallen, wendet den Blick nach innen, schraubt die Gitarrenbegleitung auf das absolut Notwendige zurück, dann wieder betont er mit einer sehr rhythmischen Spielweise den Groove des Blues. Die flotteren Nummern sind eindeutig die besseren, und die beiden Covers, die seinen Auftritt einrahmen, die Klassiker "Heartbreak Hotel" und "Sixteen Tons", sind echte Meisterleistungen, weil man das Original zwar gerade noch erkennt, aber eben nur in Ansätzen.

Und Stephanie Nilles? - Wer sie je auf einer Bühne gesehen hat, wird sie so schnell nicht mehr vergessen, ganz unabhängig davon, ob er mit ihrer unvergleichlicher Stimme, ihren sperrigen und doch gleichzeitig so liebevoll arrangierten Songs, und ihrer spektakulären Spielweise auf dem Klavier zurechtkommt oder nicht. An diesem Abend ist sie schlichtweg großartig. Vom ersten Ton an ist man fasziniert. Derzeit vertont sie Shakespeares "Othello", arbeitet den Stoff um für eine Jazz-Oper. Wenn alles fertig ist, soll eine Dreifach-CD-Box auf den Markt kommen. In der Neuen Welt spielt sie Auszüge aus dem ersten Teil. Was man zu hören bekommt, ist eine abgefahrene, höllisch heiße Mixtur aus Klassik, Boogie Woogie, Ragtime, Old Time Jazz, Vaudeville, Blues und all den anderen Essenzen, die man in der Crescent City antrifft. New Orleans war schon immer ein musikalischer Schmelztiegel, und Miss Nilles rührt auf einzigartige Weise darin herum.

Wildheit und Kraft, Dramatik und Wucht, aber auch Zerbrechlichkeit, Intimität und stille Leidenschaft, diese Musik hat alles. Mal lässt Nilles das, was sie den Tasten entlockt, kaskadengleich auf ihr Publikum niederprasseln, dann wieder lauscht sie schier endlos einem einzigen Ton nach. Jelly Roll Morton und Charles Mingus geben sich bei ihr die Hand, was sie sonst eigentlich nie tun. Und der "St. James Infirmary Blues" als zweite Zugabe hinterlässt Gänsehaut pur. - Was für ein Auftritt!

 

Karl Leitner