Ingolstadt
Blind im Zuschauerraum

Das Kunstzentrum Besondere Menschen präsentiert seine neue Produktion "Sinne"

17.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:32 Uhr

Tanzen verbindet: bei der Performance „Sinne“ zum Beispiel behinderte und nicht behinderte Menschen – ganz im Sinne des Kunstzentrums Besondere Menschen gUG - Foto: Hammerl

Ingolstadt (DK) Pfefferminzbonbon oder Schokolade mit Minzgeschmack sind noch nicht ganz auf der Zunge geschmolzen, da verdunkelt sich der Raum im Altstadttheater, die Zuschauer setzen schwarze Augenbinden auf.

Bis zum Auftritt der Tänzerin Aya Sone sind sie nun ganz auf ihr Gehör angewiesen.

Schmecken und riechen, hören und sehen – fast alle Sinne fordert die Performance „Sinne“ von Regisseurin Maria Nieves Tietze und ihrem Ensemble des Kunstzentrums Besondere Menschen gUG heraus. Seit eineinhalb Jahren erarbeiten dort Menschen mit Behinderung zusammen mit Profis Musik-, Theater- und Tanzproduktionen – und nun eben auch diese Performance. Wassertropfen tröpfeln, schwellen an, Geschirr klappert, es raschelt in der Dunkelheit. Eine Gitarre (Slut-Musiker Matthias Neuburger) erklingt, die Trompete (Jazzförderpreisträger Joey Finger) folgt, Perkussion (Sofie Fürbacher, Marianne Frass, Chaira Frommer-Schulz und Aisha Kuttenreich) begleitet die Soloinstrumente und den Flügel (Lewan Paresi). Dann ertönt eine weibliche Stimme (Schauspielerin Viktoria Voss) und schimpft auf den ungnädigen Wecker, der sie um 5 Uhr morgens unbarmherzig aus dem Schlaf gerissen hat.

Schnell erfährt der Zuhörer, dass die Protagonistin blind ist, dass jedes Ding in ihrer Wohnung einen festen Platz hat, damit sie es findet. Dass Zähneputzen kein Problem ist, aber jede Veränderung, die Sehenden als willkommene Abwechslung erscheinen mag, eine große Herausforderung. Die Stimme klagt nicht an, sie will kein Mitleid, sie erzählt einfach von ihrem eigentlich alltäglichen Leben, von der Rücksichtnahme der Kollegen und ihrem Spaß daran, wenn jemand nichts von ihrer Blindheit weiß und sie wohltuend unverkrampft anschnauzt. Eindringlich, in gewisser Weise emotional, ja – aber auf eine Art, die es möglich macht, ihr unvoreingenommen zu lauschen, sich auf Spannung und Humor des Textes von Matthias Neuburger einzulassen, ohne ein schlechtes Gewissen wegen des eigenen Sehvermögens zu bekommen.

Das ist erst wieder beim Soloauftritt von Profitänzerin Aya Sones gefragt, die mit Blindenstock auf die Bühne kommt, zunächst ihre enorme Körperbeherrschung auf einem Stuhl zeigt, und dann einen Pfeiler des Dachstuhls als Bezugspunkt für ihren geschmeidigen Tanz nutzt. Sofie Fürbacher, Marianne Frass, Chaira Frommer-Schulz und Aisha Kuttenreich, das Kunstzentrum-Ensemble, die zunächst am Glockenspiel saßen, werden anschließend von Sones in ihren Tanz eingebunden. Eine gelungene Collage aus Musik, Poesie und Tanz, die das Thema Blindheit spielerisch erschließt und beim Publikum bestens ankommt.

 

Eine weitere Vorstellung von „Sinne“ gibt es an diesem Sonntag, 22. November, um 18 Uhr im Altstadttheater.