Ingolstadt
Jeder Satz trifft

Mathias Tretter mit "Pop" in der Eventhalle

11.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:42 Uhr

Mathias Tretter ruft das Zeitalter des Amateurs aus. - Foto: Leitner

Ingolstadt (DK) Im Grunde ist jeder Satz zitierwürdig. Geschliffene Sprache, lückenlose Argumentationsketten, zielgenau abgefeuerte Pointen, Seitenhiebe und Volltreffer am laufenden Band. Viel Stoff zum Nachdenken, viel Stoff zum Lachen.

Um Fragen der Etikette oder der Political Correctness schert er sich ja sowieso eher selten, dieser Mathias Tretter, der mit seinem neuen, 2017 mit dem Deutschen Kabarettpreis ausgezeichneten Programm, anlässlich der Kabaretttage in der Eventhalle auftritt. Er ist die personifizierte verbale Wucht an diesem Abend, und ja, man hängt förmlich an seinen Lippen, wenn er seine Opfer mit Spott und Häme überzieht.

Apropos Lippen. Warum nur hat er sich selbige knallrot geschminkt? Weil das Programm "Pop" heißt und im Pop seit Andy Warhol und David Bowie alles erlaubt ist? Mag sein, nur "Pop" heißt bei Mathias Tretter auch "Politik ohne Partei" oder auch "Partei ohne Programm", und diese zweite Möglichkeit der Auslegung der Floskel "Pop" ist ihm dann doch wichtiger als die Frage, was gerade populär ist und was nicht. "In der Post-Postmoderne ist alles möglich", sagt er. Auch, dass die Simulation die Realität ersetzt. "Helene Fischer simuliert die Rolle des Popstars und Donald Trump die Rolle des Politikers." Amateure drängen in die erste Reihe, der Depp muss ins TV. Im Kleinen wie im Großen, in der Casting Show wie im Weißen Haus. Von nichts eine Ahnung, aber immer lauthals und rotzfrech. Wobei im Falle Trump die Sache besonders fatal sei. "Der mächtigste Mann der Welt hat keinen Schimmer von Politik. Würden Sie sich von einem Herzchirurgen operieren lassen, der keine Ahnung von Medizin hat", fragt er in die Runde.

Bildungsbürger, Wutbürger, Hetzbürger. Intellektuelle und Pöbel. Gutmenschen und Rassisten. Spießer und Denker. - Ein Riss geht durch unsere Gesellschaft. Wo soll das alles nur hinführen? Für Mathias Tretter zur Gründung einer eigenen Partei. Sie wird folgerichtig "Pop" heißen, für alles und nichts stehen und somit - Populismus hin oder her - absolut dem Zeitgeist entsprechen.

Die "Antrittsrede" des neu gewählten Vorsitzenden ist vermutlich die beste Sequenz, die Mathias Tretter je geschrieben hat, und nach ihr wäre man unter Umständen vielleicht sogar versucht, diese Partei, so es sie denn wirklich gäbe, tatsächlich zu wählen, käme nicht als fulminanter Schlussakkord noch der aus der Zukunft rückblickend verfasste Lebenslauf auf uns zu.

Und so endet dieser Abend mit dem überragenden Mathias Tretter und dessen blitzgescheitem, scharfsinnigem wie scharfzüngigem und überaus lustigem Programm dann doch nicht ganz so optimistisch. Man ist hin und hergerissen, vielleicht sogar zerrissen wie das zerbröselnde Gemeinwesen. Oder wie der Typ dort auf der Bühne, dieses gestandene Mannsbild mit den so unmännlich geschminkten Lippen. Alles ist möglich, mag sein, aber ist deswegen auch alles egal