Ingolstadt
Jung gebliebene Kunst

20.02.2011 | Stand 03.12.2020, 3:08 Uhr

Da war die Farbe noch feucht: Pius Eichlinger 2010 vor einem Selbstporträt. Nun hängt "Ich – Pius" in der Galerie. - Foto: Derstroff

Ingolstadt (DK) Aussichtslos, vollkommen und im wahrsten Sinn des Wortes, ist diese Vernissage. Denn rund 600 Menschen drängen sich in der Galerie des Theaters, verdecken mit ihren Körpern Bilder und Objekte, machen den Laudator unsichtbar und verwehren jeden Blick auch auf den Künstler, selbst als der lang danach schon vor der Staffelei sitzt.

"Ein bisserl schmieren" mag nämlich Pius Eichlinger, Ingolstädter Maler, Grafiker und Keramiker, selbst in der großen Ausstellung zu seinem 85. Geburtstag. Deshalb steht ein angefangenes Bild zwischen all den fertigen aus vielen Schaffensjahren an den Wänden, deshalb ist er zuletzt in seinen Malerkittel geschlüpft – ein Unermüdlicher, und übrigens nicht 85, sondern schon 86 Jahre alt.

Doch die einjährige Verspätung, mit der die Stadt seit gestern ihren Kunstpreisträger von 1995 zu seinem Altersjubiläum ehrt, ist völlig unerheblich, das zeigt sich, als die Galerie sich endlich leert. Ein künstlerisches Lebenswerk ist hier zu sehen, eines, das von den 40ern bis ins lebendige Heute reicht, eins, das zwar stilistisch seiner Zeit zuzuordnen, aber dabei ungeheuer vital und gültig ist. Pius Eichlingers Geheimnis? Im leeren Raum enthüllt es sich dem Gast: Sein sicherer intuitiver Umgang mit Farbe – sei es in den delikaten, sanften, pastelligen Glasuren seiner Keramikarbeiten oder im tiefen nährenden Ton des Acryls auf der Leinwand. Und das Talent, das eigene Erfülltsein des Sehens bruchlos in Kunst zu transportieren. Letzteres könnte kitschig sein, wenn einer nur schwärmerisch schaut, aber nichts weniger als das ist Eichlingers Malerei, der quasi mit Leib und Seele in die französische Landschaft blickt.

Das tut der akademische Künstler und einstige langjährige Kunsterzieher am Scheiner-Gymnasium seit den frühen 60ern, als er, der damals hauptsächlich keramisch arbeitete, die Provence für sich entdeckte. Wo, so der Laudator, der emeritierte Kunstprofessor Heimo Ertl, sein Potenzial als Maler "sich geradezu explosionsartig freisetzte". Was wäre also eine große Retrospektive zum Werk Eichlingers, wären solche Ansichten nicht dabei. Sie sind sogar ein Schwerpunkt dieser Ausstellung, diese kraftvollen, farbschweren, gänzlich unaufgeregten Landschaftsbilder, die freilich nicht reale Abbildungen sind, sondern Umsetzungen des genussvoll aufgesaugten Gesehenen. Häuser, Meer, Sonne, Duft, Farbe des Provence vermitteln sie – und sind doch, das ist ihre Qualität, prinzipielle Malerei.

Ein Schwerpunkt, wie gesagt, aber natürlich gibt es auch – Querschnitt aus über 60 Schaffensjahren ist schließlich angesagt – allererste Porträts, frühe figurative Holzschnitte, spätere Grafiken. Und Keramik selbstverständlich. Als Keramiker hat Eichlinger schließlich mit Reliefs im Klinikum und in der Kirche St. Peter Spuren auch in den öffentlichen Raum seiner Geburts- und Heimatstadt gesetzt, als Keramiker hat er einst seine Schüler beeinflusst wie etwa den heutigen Rohrbacher Künstler und Berufskollegen Hans Dollinger, als Keramiker arbeitet er immer noch; "Baatzen" nennt der 86jährige das im Gegensatz zum "Schmieren".

Und so empfangen den Gast in der Theatergalerie erst einmal eine kleine Auswahl von harmonischen Gebrauchsgefäßen – und die "Fremden". So heißen die schrägen, farbigen, komischen, die starren oder lächelnden, die frech oder drohend Hof haltenden Köpfe, entstanden in den Jahren 2005 bis 2010 und nun gruppiert zu ganzen Gesellschaften auf hohen Stelen.

An dieser Stelle muss gesagt werden, wie wunderbar die Präsentation der Ausstellung gelungen ist, was wieder einmal "Ausstatter" Simon Templer zu verdanken ist. Reich, aber nicht überladen wirkt die Schau, in die die "Fremden" dynamische Anlaufpunkte setzen.

Sie sich vertraut zu machen, ist pures Vergnügen. Als "Spielerei" hat Eichlinger selbst die Werkgruppe bezeichnet, und spielerisch ist in der Tat der Eindruck der maskenartigen Gesichter, jedes in einer anderen Farbe und Form. Stammesälteste sind sie, Comicfiguren, Weggefährten. Viele rote (Verkaufs-)Punkte gibt es bereits am Vernissagenvormittag hier und an den Wänden – auch das ein Indiz für die Vitalität der Schau.