Ingolstadt
Im Raum, in der Stadt, im Geist

Thomas Geiger beweist in Ingolstadt, wie komplex, klug und komisch Kunst sein kann

17.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:32 Uhr

20 Bildschirme im T 25 zeigen Zufallsszenen mit einer Bettlerbande in Paris (oben). Deren Mitglieder verkleiden sich als Pharaonen (unten links) – und sind damit erfolgreich. Mit Künstler Thomas Geiger, der mit einem entsprechenden Schild in Fußgängerzonen steht, vereint sie der womöglich aussichtslose Wunsch „Ich will Millionär werden“. - Foto: Geiger/Derstroff

Ingolstadt (DK) „I want to become a millionaire“ – meine Güte, wer nicht? Aber die wenigsten stellen sich wohl mit einem solchen Schild in Fußgängerzonen und bieten hier (und auch sonst überall) postkartengroße Lithos mit diesem bescheiden klein gedruckten Satz an, die man, rückt man einen Euro raus, mit Nummer und handsigniert erhält. Dann hat man ein echtes Kunstwerk – denn der Verkäufer ist akademischer Künstler, der an Orten wie der Kunsthalle Basel oder der Bundeskunsthalle Bonn auszustellen pflegt.

Und Thomas Geiger, der mit dem Millionärsschild eine bereits Jahre andauernde „on-going-Performance” realisiert, hat wieder einen Euro mehr. Nicht um Millionär zu werden, sondern um seine wundersamen Projekte zu finanzieren. Zum Beispiel das kürzlich in Paris, ein paar Wochen vor dem Terror, wo er 30 Tage lang Performances anderer Künstler im öffentlichen Raum nachspielte. Die einmal stattgefundene Performance, sagt Geiger im Ingolstädter Tongewölbe 25, wolle er lebendig halten, vielleicht so, wie komponierte Musik, ja ebenfalls ephemer, durch jedes neue Konzert lebendig gehalten wird.

Das ist eine Geschichte am Rande der Ausstellung „Le Pharaon doré“, mit der der Inhaber des privaten Kunstortes T 25 in der Theresienstraße, Andreas Wittmann, in Zusammenarbeit mit der Münchner Galerie Sperling nun eben Thomas Geiger präsentiert (der natürlich zur Eröffnung die Millionärskarten signiert – 21 302 hat er bis dato in den letzten fünf Jahren verkauft). Oder doch nicht am Rande? Wie immer, wenn sie besonders gut gelungen sind (und das ist diese hier), sind Wittmanns Präsentationen in dem kleinen Ausstellungsraum Angebote an den Besucher, selbstständig einzutauchen in ganze Künstlerwelten. Eine Installation, dazu ein, zwei kleine graphische Arbeiten sind üblicherweise zu sehen – die aber von einer Qualität und Haltung, dass man zwangsläufig mehr wissen, erfahren, weiterlesen will. Und in diesem Falle lohnt sich die eigene Recherche ganz besonders.

Die Ausstellung also. 20 Bildschirme, in allen Größen und Altersklassen, auf denen Videosequenzen zeitgleich immer die gleichen Figuren zeigen: goldfolienummäntelte Gestalten mit Pharaonenmaske, die reglos auf Bänken, Mauern, Stufen mitten im Stadtraum sitzen und nur einmal nicken, wenn Passanten ein paar Münzen fallen lassen – „Living Dolls“ nennt Geiger sie. In Paris hat der 32-Jährige diese Bettler einer srilankesischen Organisation, die solcherart verkleidet ihrem Beruf nachgehen, entdeckt und beobachtend gefilmt, weil sie das mitbringen, was den Absolventen der renommierten Kunstakademie in Karlsruhe per se interessiert: der öffentliche Raum, als ökonomisch verwertbarer, als sozialer, als skulpturaler Platz. Und tatsächlich trägt seine Videoinstallation, an der man sich kaum sattsehen kann, all das in sich. Fragt nach der Aufwertung der Bettler zu Königen, nach der Reaktion der Passanten, die Linien und Bewegung zeichnen auf den Plätzen, nach der menschlichen Figur als Skulptur im öffentlichen Raum. Und wird selbst noch einmal, im historischen Gewölbe des T 25, im Spiel der kleinen, großen, neuen, alten, schwarzen Bildschirme zur Skulptur.

Schön ist das, weil sehr komplex und dabei komisch – wie übrigens auch die feinen kleinen Grafiken aus der Serie „Brot und Spiele“, mit denen Geiger die Ausstellung im kleinen Raum ergänzt. „Ich lege ein Brötchen auf den Gehweg“ heißt es da etwa handschriftlich mit Zeitangabe (9:36): Für die nächsten Stunden hat Geiger den Weg der Semmel, mal von Passanten angestoßen, mal weggekickt, mal aufgehoben, verfolgt und daraus ein federleichtes Diagramm von Linien, Zeitangaben und Brötchenbild geschaffen. Urbaner Raum, analysiert durch menschliche Aktion mittels Semmel – die hier ihre Funktion als Nahrungsmittel ganz und gar verliert. Oder nicht?

Über der Tür zwischen dem „Pharaonen“- und dem „Semmel“-Raum sind übrigens dann auch noch „Me too“-Schriftzüge zu entdecken. Sie stammen von findigen Menschen, die sich hoffnungsfroh mit einem „Ich auch“-Zettel neben Geiger und sein Millionärsschild in die Fußgängerzone stellten. Und so prompt Teil der on-going-Performance wurden.

Bis 16. Januar, Sa 16 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung. Mehr Infos unter www.slg-wittmann.de.