Augsburg
Herrliche Stadt, selig und satt

"Das Herz aus Gold" am Roten Tor ist eine Aufbaukur für das Augsburger Selbstbewusstsein

01.07.2018 | Stand 23.09.2023, 3:36 Uhr
Sabine Busch-Frank
So bunt, schön und reich wie sich eine prächtige Renaissance-Metropole nur präsentieren kann: Augsburgs Freilichtbühne am Roten Tor. −Foto: Fuhr

Augsburg (DK) Schöner geht es nicht, als an diesem Samstagabend, wenn "tout Augsburg" mit Decken, Kissen und Proviant bepackt zum Roten Tor pilgert, um dort die Uraufführung eines Musicals über Jakob Fugger den Reichen zu erleben.

Das mit dem Selbstgewußtsein ist nämlich so eine Sache, wenn man sich als prosperierende Großstadt mit reicher Geschichte und höchster Lebensqualität immer wieder mal als Vorort zum "Greater Munich" behandeln lassen muss. Doch wenn ein Musical sein Publikum bauchpinseln kann, dann dieses!

Das wird in den ersten Minuten klar, wenn mit "Augsburg, Augsburg, Du herrliche Stadt" zweieinhalb Stunden anheben, die auch aus der Ferne anreisenden Besuchern Respekt abnötigen. Es musste mit Intendant André Bücker einer aus Bochum kommen, um den Augsburgern dieses Geschenk zu machen.

Das Risiko nicht scheuend, hat er die Leitung eines Theaters übernommen, das gerade an allen wichtigen Spielorten zu einer lang verschleppten Großbaustelle wurde und dann auch noch eine Uraufführung exakt dort riskiert, wo sich die Bilanz jeder Theatersaison auf Soll oder Haben einpendelt. Wie sinnig, dass der Patron dieses Unterfangens jener Fugger ist, der risikofreudig eine solide Tuchmacherfamilie zum Weltkonzern ausbaute! Sein Leben von der Heimkunft aus Italien nach der Lehrzeit bis zum Tod als 66-Jähriger umspannt der Handlungsbogen des Musicals "Herz aus Gold", welches Librettist Andreas Hillger und Komponist Stephan Kanyar, früher am Ingolstädter Theater engagiert, schrieben.

Die Musik ist eingängig, aber etwas beliebig geraten, die Handlung lässt vor allem die Frauen blass aussehen, während in gehetzten Reigen Figuren der Geschichte durch Augsburg ziehen. Dass der Abend dennoch gelingt, ist dem Sänger der Titelpartie zu danken, mit Bariton Chris Murray steht ein veritabler Star auf der Bühne und gibt alles. Die Dramaturgie dagegen wird vor allem behauptet, nicht eingelöst, die Pole zwischen Fugger und Welser, Luther und Papst, Kaiser und Kaufmann, Barock und Renaissance nicht konsequent ausgelotet.

Es ist ein kluges, fast schon überlastetes Musical - und plätschert doch dahin, als könne einen der 500 Jahre alte Stoff heute gar nichts mehr angehen. Das ist schade, und man spürt den Mangel vor allem dort, wo neben dramaturgischen auch musikalische Schwächen zutage treten, wie bei den beiden Sibyllen Roberta Valentini und Katharina Wollmann. In künstlerischer Freiheit wurden sie als Mutter und Tochter und gleichermaßen verknüpfte wie gescheiterte Biografien in Fuggers Biografie eingefügt. Leider stoßen beide Sängerinnen aber ihre Spitzentöne ungefähr so resolut aus der Kehle, wie man mit dem Fuß auf eine Tube Farbe tritt - während Murrays Fugger den Goldstaub behaucht, mit der großen Palette zaubert und auch mal einen ganzen Sack Stimmgold auf einmal explodieren lässt.

Hier hätte man sich von dem Dirigenten Domonkos Héja mehr Einfluss erwarten dürfen, welcher der Musik anscheinend aber nicht über den Weg traut und den Abend vor allem schnell hinter sich bringen will. Regisseur Holger Hauer, auch als Welser auf der Bühne, versteht dagegen, die schiere Menschenmasse genießerisch zu führen, welche das Spektakel am Roten Tor erfordert. Den größte Unterschied zwischen den manchmal seelenlosen Klangkunstwerken, die allerorts nach amerikanischem Vorbild von der Musicalindustrie produziert werden, und dieser haus- und handgemachten Show in Augsburg zeigt dieses Gesamtbild. Ein großes, hochkompetentes philharmonisches Orchester, über 60 Mitwirkende in grandios aufwendigen und farbprächtigen Kostümen (Sven Bindseil), ein Stoff, der hier - und nur hier - passt: Das kann und darf sich eine kommerzielle Produktionsfirma nicht leisten.

So ist es perfekt, das Glück am Roten Tor, erst recht, wenn nach der Pause der Sekt zu wirken und der Mond zu schimmern beginnen, die Fledermäuse ihren Einsatz fliegen und der Himmel in aberwitzigen Farbtönungen erstrahlt. Es ist herrlich, das Leben am Lech - zur Fuggerzeit wie heute.
 

Sabine Busch-Frank