München
Grandioses Solo

Edgar Selge in Houellebecqs "Unterwerfung" an den Münchner Kammerspielen

13.05.2018 | Stand 02.12.2020, 16:24 Uhr
Michel Houellebecq zeichnet in seiner ironischen Parabel "Unterwerfung" das Bild eines politischen und gesellschaftlichen Zerfalls. In der Rolle des Literaturwissenschaftlers François ist Edgar Selge zu sehen, der dafür mit dem "Faust" ausgezeichnet wurde. −Foto: Foto: Lefebvre.

München (DK) Das gab es schon seit Jahren nicht mehr in den vom Besucherschwund arg gebeutelten Kammerspielen: Der Premierenabend restlos ausverkauft und zahlreiche Theaterbesucher mit dem Schild "Suche Karte".

Kein Wunder, stand doch der Auftritt Edgar Selges, eines ehemaligen Ensemblemitglieds der einst so renommierten Bühne, mit seinem im Hamburger Schauspielhaus seit zwei Jahren stets umjubelten grandiosen Solo des bühnentauglichen Romans "Unterwerfung" des französischen Autors Michel Houellebecq auf dem Programm. Ein ebenso vital wie beinahe schon sakral zelebrierter Monolog als fiktive Parabel über die Machtübernahme eines muslimischen Präsidenten in Frankreich.

Ein Déja-vu-Erlebnis für das an schauspielerischen Ereignissen stets und nachhaltig interessierte bürgerliche Münchner Theaterpublikum, das von vielen, leider allzu vielen faden Performance- und läppischen Comedy-Aufführungen unter der Ägide von Intendant Matthias Lilienthal vergrault, endlich wieder großartige Mimenkunst goutieren durfte.

Vor einem langsam rotierenden christlichen Kreuz in der Bühnenmitte katapultiert sich Selge als linksliberaler Professor der renommierten Universität Sorbonne in das Jahr 2022 in Paris: Die Konservativen und die Sozialisten im Parlament zerfleischen sich, während Straßenschlachten zwischen den Extremisten das politische Klima weiter aufheizen. Um zu verhindern, dass der Front National als stärkste Partei den Präsidenten stellt, bilden die liberal-bürgerlichen und sozialistischen Kräfte eine Koalition mit der islamischen Partei. Der erste muslimische Präsident zieht in den Élysée-Palast ein und läutet damit den Wandel zum islamistisch geprägten Staat ein. Und inmitten dieses Geschehens steht François, der Literaturprofessor, Mitte vierzig, ein introvertierter Schöngeist, dessen Interesse an jungen Studentinnen sehr rege, aber nicht lange von Dauer ist, und der sich über die akademischen Gepflogenheiten amüsiert, von denen er jedoch bald auch heimgesucht wird.

Ein Polit- und Uni-Thriller mit menschlichen Zügen, den Selge ebenso mit Schalk im Nacken wie mit einem traurigen Unterton über die Verrücktheit des Lebens über zweieinhalb Stunden hinweg auf die Bühne zaubert. Eine furiose One-Man-Show, exquisit vor allem dann, wenn Selge in die ausgestanzten Fächer des rotierenden Bühnenbildkreuzes schlüpft, um kleine Boshaftigkeiten über die Demokratie, die Religionen und die erotischen Probleme des liebenswerten Herrn Prof schmunzelnd vom Stapel zu lassen, während vor und hinter ihm ganz symbolisch der Müll der Zivilisation purzelt.

Freilich sind einige Passagen der Abrechnung mit den starren akademischen Strukturen der Sorbonne, der politischen Utopie eines islamistisch geprägten Staates und den zwischenmenschlichen Problemen innerhalb und außerhalb der Uni bisweilen etwas zäh geraten.

Aber wenn Edgar Selge mit lausbübisch-verschmitztem Lächeln und hintergründigem Humor den Don Quichotte gegen Professorendünkel, politischen Opportunismus und gesellschaftlichen Mainstream gibt, da gluckst das Publikum vor Freude und spendet am Ende dem großartigen Interpreten dieser voll Ironie geradezu strotzenden Parabel minutenlang stehende Ovationen.

Die nächsten Aufführungen an den Münchner Kammerspielen sind am 4., 5. und 6. Juni; Kartentelefon: (089) 23 39 66 00.

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