München
Ein erfrischender Shakespeare

"Der Kaufmann von Venedig" in Christian Stückls flippiger Inszenierung im Münchner Volkstheater

31.10.2019 | Stand 02.12.2020, 12:43 Uhr
Schnösel im Maßanzug: Pascal Fligg als Shylock in "Der Kaufmann von Venedig" am Volkstheater. −Foto: Declair

München (DK) Das passende Stück zur richtigen Zeit.

William Shakespeares als Komödie bezeichnetes, 1605 uraufgeführtes Schauspiel "Der Kaufmann von Venedig" als Appell gegen Antisemitismus und Aufruf zur Toleranz gegenüber allen Religionen. Christian Stückl, Intendant des Volkstheaters und Regisseur dieser vom Premierenpublikum umjubelten Neuinszenierung, zauberte aus diesem Stück, das meist ja als bildungsbürgerliche Parabel daherkommt, eine herrlich erfrischende Show über den heutigen Businesswahnsinn.

In dem von einem Stararchitekten in Coolness erstarrten, verglasten und mit vergoldeten Streben versehenen Foyer eines weltweit operierenden Dax-Unternehmens rauschen die Protagonisten durch die drei ebenso protzig vergoldeten, ständig rotierenden Drehtüren (Bühnenbild: Stefan Hageneier). Money, Money und Gewinnmaximierung um jeden Preis im globalen Wettrennen um die umsatzstärksten Märkte sind angesagt.

Hippe Typen sind sie alle, diese blasierten Schnösel um den knallharten, im Fernhandel tätigen Kaufmann Antonio in Venedig und anderswo. Übertriebenes Selbstbewusstsein, teure Maßanzüge und gegeltes Haar sind obligatorisch. Arrogantes Auftreten und Corporate Identity sowieso. Herzerfrischend, wie Stückl diese aalglatten Kapitalisten-Youngsters zu einer eingeschworenen Clique von Abzockern und Schaumschlägern stilisiert.

Doch die Finanzdecke dieses Start-up ist nicht so rosig wie die großspurigen BWL-Absolventen es gerne hätten, und der liebestrunkene Teamplayer Bassanio braucht auch dringend Geld, um bei seiner Flamme Porzia landen zu können. Klar, dass Chef und Freund Antonio ihm aus der Patsche hilft: Mit dem Juden Shylock, auch er ein ausgefuchster Geschäftsmann, fädelt er ein bizarres Geschäft ein: 3000 Dukaten Kredit mit der Bedingung, dass bei der ausbleibenden Rückzahlung Shylock ein Pfund Fleisch aus Antonios Körper herausschneiden darf. Antonios Schifffahrts- und Handelskonzern geht pleite, Shylock besteht auf der Erfüllung des Vertrags. Der geifernde Antisemitismus der christlich sich gebenden Jungunternehmer eskaliert, bis der herbeizitierte Richter einen Kompromiss verkündet.

Eine ungemein starke Szene hat Stückl hier, in diesem gestrafften und von ihm bearbeiteten Stück, auf die Bühne gestellt, um den Kampf des Juden um Gerechtigkeit zu zeigen und damit ein eindrucksvolles Plädoyer gegen den religiös verbrämten Hass geschaffen, der Minderheiten allerorten entgegen schlägt. Höchst eindrucksvoll zeigt Pascal Fligg hierbei Shylocks Ausbruch eines Geächteten gegen seine Peiniger auf, der für zwischenmenschliche Toleranz und für die Gleichstellung der Religionen wirbt, um zum Schluss die Hochzeit seiner Tochter Jessica (anrührend: Henriette Nagel) mit Antonios Kumpel, dem Christen Lorenzo (Vincent Sauer), einzuwilligen.

Als köstlichen Kontrast zu dieser beklemmenden Szene lässt Stückl die von hitziger Liebe und abgrundtiefem Hass geprägte Beziehung zwischen Antonios durchtriebenem Kompagnon Bassanio (Jonathan Hutter) und der reichen Erbin Porzia (Carolin Hartmann) in einem atemberaubenden Tempo explodieren. Ein Kabinettstück an Irrwitz.

Geld wie Heu hat diese Gräfin von Belmont, aber kein Niveau. Mit den grellsten Posen und dem aufgeschminkten Sex-Appeal eines Möchtegern-Hollywoodstars versucht sie den liebestollen Hochstapler einzulullen. Aufgebrezelt mit ihrer Frisur und den tiefdekolletierten Kleidern (von Stefan Hageneier), allesamt Träume in Kitsch, rast sie als sexgeiles Modepüppchen hinter Bassanio her, lässt ihn gehörig zappeln, um dann wie eine Hyäne über ihn herzufallen. Ein herzhafter, beschwingter Spaß.

ZUM STÜCK
Theater:
Volkstheater, München
Regie:
Christian Stückl
Bühne und Kostüme:
Stefan Hageneier
Dauer:
Zwei Stunden
Nächste Vorstellungen:
1., 7., 12., 30. November
Kartentelefon:
(089) 523 46 55.