München
Die Unbeirrbare

Die Musikerin Sophie Hunger erfindet sich neu - Tourstart in München

07.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:01 Uhr
Im Münchner Freiheiz hat Sophie Hunger ihre Tournee gestartet. Im Gepäck ihr neues Album "Molecules". −Foto: Fehr

München (DK) Sie bleibt sich treu. Steter Wandel, jedes Album ein neues Wagnis. Unbeirrt, experimentierfreudig und mit einem enormen musikalischen Kosmos. Die fabelhafte Sophie Hunger meldet sich nach drei Jahren zurück und hat mit "Molecules" - ihrem fünften Studioalbum nach 2008 - wohl ihre radikalste Veränderung der vergangenen Jahre vollzogen: Elektrosound statt Folk-Jazz oder Indie, minimalistische Klänge statt Hymnen, reduzierte Instrumentalisierung statt ausuferndem Sound.

 In Berlin, wo die gebürtige Bernerin seit fünf Jahren lebt, ließ sie sich vom Techno-Sound und inmitten des Experimentierfelds für elektronische Musik inspirieren. Sie habe nun erst Krautrock für sich entdeckt und sei fasziniert von den raffinierten Kompositionen von Tangerine Dream, erstaunt über die frühen Vocoder-Effekte bei Bands wie Kraftwerk und Faust, sagte sie einmal.

Ende August kam das Album auf den Markt, am Donnerstag hat die 35-Jährige ihre Sophie-Hunger-Festspiele - mehrere Konzerte in einer Stadt - in München im Freiheiz gestartet. Ein Abend mit großen Erwartungen, neugieriger Spannung, wie sich die synthielastigen Tracks, die Klangschleifen, die flirrenden oder sirrenden Töne und die dunklen Beats live anhören würden.

Und tatsächlich, auch live sind die Stücke keine geradlinigen Dance-Tracks, sondern kleine Kunstwerke. Konzentriert und komplex, verdichtet und verknappt. Die 35-Jährige erfindet sich damit neu, ihr ist es gelungen, ihrem Dogma folgend möglichst nur Synthesizer, Drum-Pads, Gitarre und Stimme einzusetzen, eine enorme Vielfalt zu kreieren. Das mussten auch ihre neuen Musiker einlösen: Alexis Anérilles, Marielle Chatain und Mario Hänni. - Haben sie. Ein geniales Quartett.

Inhaltlich ist das Spektrum der neuen, durchgehend englisch gesungenen Songs weit. Und die neue CD ist in vielem keine vergnügte Angelegenheit. Auch ihre zerbrochene Beziehung hat Sophie Hunger damit und darauf verarbeitet. Auf "Molecules" finden sich persönliche Lieder wie "Sliver Lane" über den eigenen Weg, den jeder zu gehen hat; oder auch das trauriges Liebeslied, "That Man". Betörend ist das Kleinod "Coucou", Berlin wird in "Electropolis" besungen und der Krautrock in "Trick". Aber sie lässt auch politische oder gesellschaftliche Bezüge nicht aus. Etwa in "She Makes President". Es geht es um die künftige Macht der Frauen.

Bei aller musikalischen Veränderung bleibt sie sich bei ihren Texten treu. Stets auf der Suche nach neuen Formulierungen, nach unbenutzen Worten. Mal poetisch, mal prosaisch. Ein bisschen Punk, ein bisschen (Lebens-)Philosophie. Klug, nie kitschig. Melancholisch und gleichermaßen störrisch.

Und ganz ohne Rückbesinnung geht es an diesem Abend in München doch nicht. Sophie Hunger singt einige wenige Stücke früherer Alben. Zwei auf Schwyzerdütsch: "Walzer für niemand" und "Heicho". Schwebende Lieder in der Sprache, in der sie beim Singen am besten die Wahrheit sagen könne. Verortung und Neubeginn - ein wunderbares Konzert.

Katrin Fehr