Wie spielerische Wissensvermittlung funktioniert, zeigt Michael Sommer mit seinem erfolgreichen YouTube-Kanal "Sommers Weltliteratur to go". Zum Auftakt des Jungen Futurologischen Kongresses des Stadttheaters Ingolstadt bat er gestern live zum Speed-Dating der Klassiker: Sex and Crime mit Faust, Werther & Co. im 7,5-Zentimeter-Format.
Ingolstadt (DK) 67 Playmobilfiguren, ein Hund und ein roter VW Käfer (für den verwandelten Gregor Samsa in Kafkas Erzählung): Das ist das Personal für Michael Sommers Liveshow "Gehst du Goethe", ein Streifzug durch die Weltliteratur, mit dem gestern Vormittag der Junge Futurologische Kongress des Stadttheaters Ingolstadt eröffnet wurde. Ein fabelhafter Auftakt. Denn Sommer, Regisseur, Autor, Übersetzer und Dramaturg, hat mit seinem preisgekrönten YouTube-Kanal (Grimme-Online-Award 2018) neue Maßstäbe der Wissensvermittlung geschaffen.
Seit er - noch als Dramaturg am Theater Ulm - 2013 eine Einführung zu "Dantons Tod" mit einem Playmobil-Ensemble realisierte, das Video als "Abfallprodukt" ins Netz stellte und erstaunlich viele Klicks landete, wächst seine "Weltliteratur to go" mit Plastikpersonal kontinuierlich an. Knapp 50000 Abonnenten folgen Sommer mittlerweile auf YouTube, konsumieren James Joyces' "Ulysses" in 18 Minuten, "Der Herr der Ringe" in 14 Minuten, "Winnetou" in 11 Minuten oder das "Manifest der kommunistischen Partei" in 4,5 Minuten. Dass er Werke wie "Kabale und Liebe", "Woyzeck" oder "Effi Briest" in einer Minute schafft, stellte er gestern im Großen Haus des Stadttheaters beim "Power-Dating" dem hingerissenen und bestens unterhaltenen Publikum unter Beweis. Denn egal ob Goethe, Lessing oder J. K. Rowling - Michael Sommer gelingt es stets, das Handlungskonzentrat mit Witz und hipper Sprache vorzutragen und die Kernthesen der Weltliteratur clever herauszuarbeiten. Er sagt: "Literatur ist ein Spiel."
Sein Klassikerreigen in Ingolstadt beginnt mit Goethes "Faust": Bevor er das Werk in Szene setzt, stellt er zu Klängen von "Highway To Hell" sein Personal vor. Gott und seine Erzengel, Faust, Mephisto ("eher so ein Abteilungsleiter der Hölle"), Gretchen. "Goethe hat wahnsinnig lange für den ,Faust' gebraucht. Wahrscheinlich, weil er nicht genau gewusst hat, wie er anfangen soll. Deshalb gibt es jetzt drei Anfänge", sagt Michael Sommer und erklärt "Zueignung", "Vorspiel auf dem Theater" und "Prolog im Himmel". Auf seinem Tisch, der links von der Bühne steht, schiebt er die Playmobil-Figuren vor die Kamera, von hier wird das Bild auf die große Leinwand übertragen. Die einzelnen Fotokulissen spannt er in eine Art drehbaren Kasten. Er spricht frei - und in einem furiosen Tempo. Und beim tödlichen Kampf zwischen Faust und Gretchens Bruder Valentin, heißt es lapidar: "Bei einem ganz unglücklichen Unfall mit einem scharfen Gegenstand kommt Valentin ums Leben", während man auf der Leinwand verfolgen kann, wie die Mephisto-Figur mit dem Dreizack in Wrestling-Manier auf die Valentin-Figur eindrischt.
Milla und Carolina, zwei Schülerinnen, die die Eröffnungsveranstaltung moderierten, halten Schilder mit "Applaus" oder "Oooohhh!" in die Höhe, um das Publikum entsprechend zu motivieren. Und weiter geht's mit "Werther", "Der Sandmann", "Nathan der Weise", "Dantons Tod", "Effi Briest" ("Die langweilt sich zu Tode, weil es noch keine Smartphones gibt").
In den Umbauphasen bleibt noch ein bisschen Zeit, mittels Smartphone und QR Code auf Michael Sommers YouTube-Community-Tab Fragen zu stellen. Das tut das Publikum auch: War Faust auch auf Parship? Was ist des Pudels Kern? Wer hat Theater erfunden? Warum Playmobil und nicht Lego? Die beste Frage - das Applausometer bestimmt -, wird am Schluss mit einem Buch belohnt. "Gehst du Goethe? Sommers Weltliteratur to go" gibt es seit Kurzem nämlich auch ganz analog zwischen zwei Buchdeckeln.
Alle YouTube-Videos findet man unter sommers-weltliteratur.de.
