Cola-Flaschen zum Telefonieren

In ihrer neuen Ausstellung erprobt das Museum für Konkrete Kunst neue Formen der digitalen Präsentation

07.06.2020 | Stand 02.12.2020, 11:13 Uhr
  −Foto: Schulze-Reimpell

Ingolstadt - Definitionen für Kunst gibt es viele - richtige, überzeugende, einleuchtende und weniger plausible.

Eine Definition könnte lauten: Aus etwas etwas anderes machen. Aus einer Sache etwas machen, was über den Sinn und Zweck dieser Sache hinausweist, etwas anderes bedeutet.

Darum scheint es in der neuen Ausstellung im Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt zu gehen. Sie trägt den Titel "Etwas anderes aus der Sammlung", wobei das Wort "Etwas" durchgestrichen ist. Gezeigt werden bisher wenig beachtete oder noch nie gezeigte Exponate des Museums. Im Zentrum der Schau steht das Werk "etwas" aus dem Jahr 1992 von Heinz Gappmayer. In der Leinwandarbeit ist das Wort "etwas" durch- und unterstrichen. Es könnte das Motto für die kleine Schau im Erdgeschoss sein.

Denn gezeigt werden Kunstwerke, die in den meisten Fällen aus Alltagsgegenständen bestehen. Und doch ist durch die Hand des Künstlers etwas anderes, Neues entstanden, das sich jedoch mit dem ursprünglichen Material oft ironisch auseinandersetzt. Also: Die Betonung des Gegenstandes durch seine Negation. Oder, um es hegelianisch zu formulieren: Das Aufheben eines Prinzips durch Aufheben.

Da ist etwa eine Coca-Cola-Flasche, die zum Telefon mutierte, aus dem Jahr 1983 zu sehen. Oder ein Telefon in Form eines Hamburgers aus dem Jahr 1990. Beat Zoderer hat sich mit Gummiringen, wie sie in Küchen verwendet werden, auseinandergesetzt und sie scheinbar wahllos über eine Bildebene verteilt. Dabei lassen sich die Gummis nicht zu geometrisch strengen Gebilden ordnen - was sich möglicherweise als kritisch-ironischer Kommentar zur strengen Auffassung der Konkreten Kunst deuten lässt.

Die Ingolstädter Schau steckt so voller Irritationen. Da ist etwa von Max Bill, einem der Großen der Konkreten Kunst, eine Neonschrift für das Schaffhauser City-Kino zu sehen. Beim Werk "Club" ist das "b" allerdings merkwürdig verbogen und nur mit viel Fantasie zu erkennen. Ottmar Hörl hat Legosteine 2014 zu rot-schwarzen Rechtecken oder Kreuzen geformt. Allerdings wirken die Formen lego-systembedingt merkwürdig asymmetrisch. Ein Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit den Möglichkeiten des Werkstoffs Plastik - auch und sogar in seiner eher absurden Erscheinungsform: als Fahrrad. Das von Volvo-Ingenieuren konstruierte Vehikel, bei dem sogar die Kette aus Kunststoff produziert wurde, war ein fulminanter Flop der Industriegeschichte, das "schlimmste Fahrrad aller Zeiten": hochmodern, aber zu teuer, zu wackelig, zu reparaturanfällig. Ein Witz auf Rädern und jetzt ein Museumsstück zum Schmunzeln.

Die neue Schau im MKK ist vielleicht weniger wegen der ungewöhnlichen und unterhaltsamen Exponate so gelungen, als vielmehr durch die innovative Präsentation. Denn der Zugang zu den Werken geschieht hier sozusagen multimedial und vieldimensional. Die Ausstellung kann fast genauso gut auf der Homepage des Museum rezipiert werden; denn zu jedem Exponat findet sich nicht nur ein kurzer, aufschlussreicher Text, sondern auch eine Audiodatei - in Form eines kurzen, witzigen Interviews, das die Journalistin Isabella Kreim mit Mitarbeitern des Museums führte. Da werden durchaus auch kritische Fragen gestellt, etwa nach dem Sinn dieser Kunst. Das ist amüsant und erkenntnisfördernd. Die geistreichen Gespräche können aber auch mit Hilfe eines Smartphones in der Ausstellung selbst gehört werden, wenn der QR-Code neben dem jeweiligen Werk ausgelesen wird.

Wer es noch persönlicher will, ruft jeweils sonntags zwischen 10 und 12 Uhr im Museum an und diskutiert seine Eindrücke eines bestimmten Kunstwerks mit einer Museumsmitarbeiterin. "Callforart" heißt die Reihe. Dabei wird dann ganz nebenbei eine weitere, prozesshafte Definition von Kunst eingeflochten: der Diskurs über Sinn und Bedeutung mittelgroßer, trockener Gegenstände.

DK


Die Ausstellung im MKK läuft noch bis zum 2. August.