München
Ausufernder Mummenschanz

Der umstrittene Regiestar Frank Castorf präsentiert eine schräge Version von Molières "Don Juan" im Münchner Residenztheater

01.07.2018 | Stand 02.12.2020, 16:09 Uhr
Herrliches Gesamtkunstwerk, das aber nur wenig mit Molières "Don Juan" zu tun hat. −Foto: Foto: Horn

München (DK) Putzig ist zumindest das Bühnenbild von Aleksandar Denic: Eine mit Girlanden und Theatergöttern verzierte Marionettentheater-Bühne im schönsten Spätbarockstil mit einem auf die Kulissen gemalten idyllischen italienischen Stadtpanorama.

Dazu ein Treppchen rechts für den Auftritt der Mimen, links einen Sonnenregenschirmchen für unliebsame Wetterkapriolen und vor der Bühne einige Lampen in Form von Muscheln. Wunderschön. Die ideale Stätte für eine Laienspielschar als Wandertruppe auf den Marktplätzen in südlichen Gefilden. Dazu die Schauspielerinnen und Schauspieler in vogelwilden Kostümen (von Adriana Braga Peretzki) zwischen farbenfrohem Rokoko und aufgestyltem Heute. Perücken sowieso und Sonnenbrillen en vogue. Ein herrlich buntscheckiges Gesamtkunstwerk als Illusion.

Denn hinter der ach so heilen Bühnenwelt lauern die Abgründe der Realität ganz gewaltig: ein Boudoir als Fresss- und Sauftempel, natürlich auch für Schäferstündchen und andere Galanterien genutzt, und daneben ein Stall mit drei echten Ziegen, die zum Amüsement der adeligen Damen und Herren - und zum Schrecken der Zuschauer in der ersten Reihe - zwischenzeitlich auch bis zur Rampe zuckeln dürfen.

Mit Molières "Don Juan" hat das alles freilich wenig zu tun, denn der ebenso gefeierte wie umstrittene Frank Castorf nahm als Regisseur diese Komödie vom Jahre 1665 nur als Vorwand, um wieder einmal seine erotisch aufgeplusterten Altherrenfantasien abzuliefern. Von Rokoko-Pläsier ist dabei natürlich keine Spur, sondern der umtriebige ehemalige Intendant der Berliner Volksbühne serviert über satte vier Stunden hinweg einen überreichlich ausufernden Mummenschanz, der - wie stets bei seinen Inszenierungen - polarisiert: Bisweilen durchaus amüsant ist diese Aufführung, größtenteils jedoch fürchterlich banal.

Alle nur möglichen und auch unmöglichen Ingredienzen der zwischenmenschlichen Beziehungen, vom Liebesgegurre und prolliger Anmache über pralle Eifersuchtsszenen und weibliche Demütigungen bis zu sexuellen Perversionen, hat Castorf überreichlich als grelle Bilder in seine Inszenierung gepackt. Eine wieder einmal als Schock fürs bürgerliche Theaterpublikum arrangierte Provokation, die jedoch je länger, desto ermüdender geriet. Da bringen auch die eingeflochtenen Texte von Alexander Puschkin, Blaise Pascal, Heiner Müller und anderen Autoren keinen nennenswerten Zugewinn. Und wenn Aurel Manthei und Franz Pätzold als Perücken-Machos in trivialer Aufreißer-Manier und meist splitternackt nicht nur um die Damen Elvira (Bibiana Beglau als femininer Vulkan), Charlotte (Nora Buzalka hysterisch Kreischende ) und die virtuose Sambatänzerin Mathurne (Farah O`Bryant) ebenso linkisch wie gockelhaft buhlen und den gehörnten tumben Bauer Pierrot (Marcel Heuperman) übel drangsalieren, sondern nebenbei auch ausgiebig der Homosexualität frönen.

Castorf lässt dies alles freilich in ausufernden Szenen breitwalzen. Und warum seine wuseligen Webcam-Assistenten so manche Amouren und Saufgelage auf den Neben- und Hinterbühnen über Video auf eine zwischenzeitlich herabgelassene Leinwand übertragen, obwohl die Drehbühne eh ständig bewegt wird, ist ebenso störend wie das Einblenden von Filmausschnitten mit Schürzenjägern, Ladykillern und anderen Schwerenötern in Aktion wenigstens witzig ist. Doch da hätte es zur aktuellen #Me Too-Debatte schon ernsthafterer Regieideen bedurft als meist nur schräge Gags in Dauerschleife abzuspulen.

Nachdem in der Pause die Zuschauerreihen sich deutlich gelichtet hatten, klatschte sich der übriggebliebene und wohl vollständig versammelte Castorf-Fanclub beim Schlussapplaus jubelnd und kreischend die Hände wund.

Die nächsten Aufführungen im Münchner Residenztheater sind am 7., 13. und 18. Juli; Kartentelefon: (089) 21851940.