Augsburg
Zeit ist Leben

Viel Applaus für Jule Krachts "Momo" am Theater Augsburg: Ein philosophisch-poetisches Stück für die ganze Familie

13.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:13 Uhr

Die Grauen Herren machen Jagd auf Momo. Das Mädchen (Linda Elsner) soll die Zeitdiebe zu Meister Hora führen, der die gesamte Zeit der Menschen verwaltet. - Foto: Fuhr

Augsburg (DK) Gespenstisch sind diese Grauen Herren in ihren silbermetallic-farbenen Ganzkörperanzügen, die Gesichter verborgen hinter starren Masken, stets gehüllt in dichten (E-)Zigarren-Rauch, wenn sie unvermutet aus Ecken, Gassen, Kisten auftauchen. Wie blechern ihre synthetische Sprache klingt. Wie bedrohlich sie sich gebärden. Wie kalt es einem wird in ihrer Nähe. Kein Wunder, dass sie alle einzuschüchtern vermögen. Nicht nur die Kinder, sondern auch die erwachsenen Bewohner des kleinen italienischen Städtchens, in der die Geschichte spielt. Zeitdiebe sind es, die nur von der Zeit der anderen existieren. Sie treiben die Menschen an, schneller zu arbeiten und Zeit zu sparen, wo sie nur können. Freunde? Braucht man nicht! Hobbys? Kosten nur Zeit! Ein Buch lesen? Welch Zeitverschwendung! Nur eine vermag sich gegen sie zu wehren: Momo. Das Mädchen nimmt den Kampf gegen die Grauen Herren auf - und bringt den Menschen die gestohlene Zeit zurück.

Michael Endes Kinderbuch-Klassiker "Momo" hat sich das Theater Augsburg als Familienstück (ab acht Jahren) ausgesucht. Jule Kracht, die in Ingolstadt bereits mit der Uraufführung von Ulrich Hubs Stück "Ein Känguru wie du" von sich reden machte, hat es auf die große Bühne des Martini-Parks gebracht - als spannendes, philosophisches, poetisches Spiel für Jung und Alt. Bei der Premiere am Sonntag gab es dafür tosenden Applaus.

Schon die Bühne von Nora Lau ist ein Knaller. Zunächst bilden die fünf beweglichen, dreistufigen Podeste den Teil eines Amphitheaters. Denn dort lässt der Erzähler, der sich später als Meister Hora entpuppt (und deshalb auch "Die Zeit" liest), die Geschichte beginnen - mit dem ringelsockigen, wilden Mädchen, das sich Momo nennt und irgendwie aus der Zeit gefallen scheint. Später werden die Treppenpodeste gedreht - und offenbaren wahre Wunderkammern. Einen Friseursalon etwa, eine italienische Trattoria mit Caffettiera und dem typischen Don-Camillo-Spaghetti-Foto oder auch Meister Horas geheimnisvolles Nirgendhaus. Sie bilden aber auch den Gerichtssaal der Grauen Herren oder gesichtslose urbane Architektur, in der man sich verlaufen kann. Vor allem aber sind sie herrlich zu bespielen.

Und das tut Jule Krachts siebenköpfiges Ensemble mit Verve und voller Energie. Denn alle müssen gleich mehrere Rollen spielen. Selbst Linda Elsner, die eine wundersame, staunend-naive Momo gibt, die 100 Jahre ist oder auch 102, ist auch als Grauer Herr zu sehen. Will heißen: Ein bisschen von diesen Vertretern der Zeit-Sparkasse steckt schließlich in jedem vom uns.

Und wie genau alles gearbeitet ist: Wenn Karoline Stegemann als Puppe Bibigirl mit Automatenstimme "noch mehr Sachen" verlangt und ihre Mechanik in Gang setzt, dann ist diese Künstlichkeit bis zur Implosion perfekt gemacht. Ihre weise Schildkröte Kassiopeia ist sowieso der Liebling des Publikums. Daneben spielt sie auch noch die warmherzige Nicola und einen kalten Grauen Herren. Aber Lob gebührt auch allen anderen: Gerald Fiedler als Beppo, Anatol Käbisch als Gigi, Roman Pertl als Nino, Ute Fiedler als Liliana und Thomas Prazak als Meister Hora und Erzähler.

Ursula Bergmann hat für sie Kostüme ersonnen, die sowohl die 50er-Jahre zitieren als auch die Gegenwart repräsentieren, die teils futuristisch anmuten und teils ziemlich Vintage sind. Schließlich passiert die Geschichte "heute und hier" oder vielleicht auch erst morgen. Oder ist sie schon märchenhaft lange vorbei?

Regisseurin Jule Kracht hält das alles in der Schwebe und zelebriert Theaterzauber. Wie grimmige Springteufelchen katapultieren sich die Grauen Herren in die heile Alltagswelt der kleinen Stadt. Es gibt magische Momente mit Lichtshow und Glitzerkonfetti. Musik (Jan Maihorn) für die Übergänge, Stimmungen, Atmosphäre. Aber immer wieder führt Jule Kracht die Geschichte zurück zum bloßen Spiel. Überzeugt dabei im Ganzen und im Detail. Berührt. Bannt. Betört.

Michael Ende hat mit seinem Roman "Momo" nicht nur eine fantastische Geschichte über Freundschaft und Mut und Abenteuer geschrieben, sondern auch über Macht und Manipulation, Zeit und Ökonomie. Und er fordert ein Nachdenken über das eigene Leben, Prioritäten, Visionen und das Glück des Augenblicks. Insofern ist "Momo" in Augsburg das perfekte Stück für die ganze Familie.

Weitere Termine im Martini-Park Augsburg bis 18. Januar 2018, Kartentelefon: (08 21) 3 24 49 00.