Berlin
Brüssel zeigt Berlin die Folterwerkzeuge

EU-Kommission verklagt Deutschland wegen der Vorratsdatenspeicherung – doch das Verfahren kann dauern

31.05.2012 | Stand 03.12.2020, 1:26 Uhr

Unter Zugzwang: Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) muss die Vorratsdatenspeicherung neu regeln. - Foto: dapd

Berlin (DK) Die Nachricht kam nicht unerwartet: Die EU-Kommission verliert die Geduld mit Deutschland – Brüssel verklagt Berlin vor dem Europäischen Gerichtshof, weil die Bundesregierung die umstrittene Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht in nationales Recht übertragen hat.

„Wir haben Verständnis gezeigt“, betont der Sprecher der zuständigen EU-Kommissarin Cecilia Malmström. Doch der Ärger über Berlin ist kaum zu verhehlen. Auf die gesetzte Frist für ein Einlenken schickte die Bundesregierung Ende April eine knappe Antwort von gerade mal neun Zeilen Text. Ein Gesetzentwurf werde „abgestimmt“, hieß es darin. Hinter den Kulissen wertete die EU-Kommission das lapidare Schreiben als „unverschämt“.

Die EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006 sieht vor, dass Staaten die Verbindungsdaten von Telefon- und Internetnutzern mindestens sechs Monate lang speichern. Die FDP und allen voran die liberale Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger lehnen dies ab. Die Union drängt dagegen auf Umsetzung.

Vor zwei Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das erste Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt. Seitdem streitet die Koalition über eine Neuregelung, ohne dass eine Einigung absehbar wäre.

Jetzt fordern Unionspolitiker ein Machtwort der Bundeskanzlerin. Sie müsse von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und die Ministerin zum Einlenken bewegen. Die zuständige Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger denkt bisher offenbar aber nicht daran, will Daten nur bei konkreten Verdachtsfällen für kurze Zeit speichern lassen. Das von ihr vorgeschlagene „Quick-Freeze-Verfahren“ wird allerdings vom Koalitionspartner abgelehnt.

Kanzlerin Angela Merkel hatte zuletzt auf eine rasche Einigung zwischen der Bundesjustizministerin und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gedrängt – vergeblich. Gleich mehrere Spitzentreffen blieben ohne Ergebnis. In der Union setzt man jetzt darauf, dass Leutheusser-Schnarrenberger nun nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ihren Widerstand aufgeben wird. Die Ministerin meldete sich gestern nicht zu Wort.

In der Union wächst inzwischen der Unmut: „Die Bundesjustizministerin ist mit ihrer falschen Politik vollkommen isoliert und bekommt dafür jetzt die Quittung“, kritisierte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. „Frau Leutheusser-Schnarrenberger ist ein Sicherheitsrisiko für Deutschland. Wenn ein schwerer Anschlag geplant wird, könnte man durch die Vorratsdatenspeicherung auf die Spur der Drahtzieher kommen und die Tat vielleicht noch verhindern“, warnte Uhl.

Am kommenden Montag dürfte der Dauerstreit auch Thema des Koalitionsgipfels der Parteichefs im Kanzleramt sein. Die wahrscheinlichste Option für die Bundesregierung wird angesichts der verhärteten Fronten allerdings das Nichtstun sein. Denn bis es zu einer Strafzahlung kommt, können noch Jahre vergehen. Erst einmal müssen die Luxemburger Richter Deutschland schuldig sprechen – solche Verfahren dauern häufig ein bis zwei Jahre. Und erst ab dem Tag des Gerichtsurteils fiele eine Geldbuße an. 315 000 Euro Strafe pro Tag könnten sich dann im Monat auf stattliche zehn Millionen Euro summieren. Ob Schwarz-Gelb dann aber überhaupt noch regiert, ist fraglich. Das Thema könnte also stillschweigend der nachfolgenden Bundesregierung überlassen werden. Kommentar Seite 2