Münchens letzter Schäffler

11.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:49 Uhr

Handgefertigte Fässer sind das Kapital von Wilhelm Schmid. Er gilt als letzter Schäffler in München und stellt die hölzernen Behälter in dritter Generation nach alter Tradition her. (Foto: Richter)

München (DK) Das Reinheitsgebot wird 500 Jahre alt. Der DONAUKURIER und seine Heimatzeitungen feiern das mit einer zwölfteiligen Serie zum Bier: Heute geht es um Wilhelm Schmid, der in dritter Generation Bierfässer herstellt. Sohn Peter will die Fabrik übernehmen.

Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein, hier inmitten von Hochhäusern und der Hektik von München. Ein paar hundert Meter weiter tobt der Verkehr über die Donnersberger Brücke, Baulärm erfüllt die Luft, Menschen hasten geschäftig vorbei. Und plötzlich diese Idylle, diese Ruhe, sobald es auf das rund 7000 Quadratmeter große Areal der Fassfabrik Wilhelm Schmid in Laim geht. Eine meterdicke Linde steht gleich am Tor, Amseln singen wie in einem Wettstreit ihr Frühlingslied, es pfeift und zwitschert an allen Ecken und Enden. Eine grüne Insel inmitten der Landeshauptstadt tut sich dem Besucher auf und lässt ihn staunen. 

Überall unter den Bäumen stapeln sich Holzfässer, kleine, mittlere und solche, in denen selbst ein „g’standnes“ Mannsbild Platz fände. Hier liegen Bandeisenringe bereit und dort rund vier Zentimeter dicke Eichenhölzer, zum Trocknen gestapelt – der Fachmann spricht von Dauben, aus denen der Fassmacher die runden Behälter baut. Zwei kleine Wohnhäuser ducken sich im Schatten der bis zu zehn Stockwerke zählenden Hochhäuser nebenan. Was für ein Kontrast.

Damals, 1914, als der Großvater des Firmenbetreibers die Fabrik aufbaute, dürfte es auf dem Areal kaum anders ausgesehen haben. „Da war Laim noch richtig dörflich, es ist ja erst 1900 zu München dazu gekommen“, sagt der Enkel des Gründers, der wie schon sein Vater und Großvater den Vornamen Wilhelm trägt. Der 59-Jährige und dessen Sohn Peter, der in vierter Generation ins Geschäft eingestiegen ist, dürfen sich die letzten Schäffler Münchens nennen. Sie lieben ihre Arbeit und den Gedanken, eine alte Tradition am Leben zu erhalten.

Dabei waren die Zeiten nicht immer rosig für die Fassmacher, die in Altbayern Schäffler, in Niederbayern Fassbinder, in Franken Büttner und im Norden Deutschlands Böttcher heißen. Großvater Wilhelm Schmid hatte die Fabrik aufgebaut, einst noch einer von über 1000 Vertretern seiner Zunft in Oberbayern. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise brachten dem Familienbetrieb von 1930 bis 1932 schwere Verluste ein. 1941, mitten in den Kriegswirren, übernahm die zweite Generation die Führung, bis am 25. April 1944 ein Bombenhagel auf Laim niederging und die Fassfabrik zerstörte. Dem Wiederaufbau folgte ab 1950 die Betriebsvergrößerung. 
Neues Ungemach zog auf, als in den 1960er-Jahren ein existenzbedrohender Wandel einsetzte.

Aluminiumfässer sind in Mode gekommen, später auch solche aus Kunststoff“, erzählt der Enkel des Firmengründers. „Die Brauereien haben alle ihre Lagerfassbestände aufgelöst, Holzfässer waren da nicht mehr gefragt. Nach und nach haben die meisten großen Fassmacher zugesperrt.“ Nicht so sein Vater. Er kaufte alles an Lagerfässern, was er kriegen konnte, verbunden mit einer neuen Geschäftsidee: „Er hat sie zu Weinfässern umgearbeitet. Davon haben wir von 1955 bis etwa 1980 leben können.“ Auch Fasstische gehörten zum Sortiment und gingen gut weg. Aus der Not wurde eine Tugend.

Wenn Wilhelm Schmid heute geschäftlich gut unterwegs ist, dann ist das der Renaissance der Holzfässer zuzuschreiben. „Zuerst sind die kleineren wieder gefragt gewesen, dann auch die großen.“ 200 Liter fasst das größte, sie werden „Hirschen“ genannt, weil sie gefüllt etwa dem Gewicht eines ausgewachsenen Geweihträgers entsprechen. Rund 1000 Fässer aller Größen entstehen in dem Sechsmannbetrieb pro Jahr, etwa 700 werden repariert.

Die Herstellung bleibt Handwerk im besten Sinn. Die Fassmacher stutzen die Daubenhölzer auf gleiche Länge, fräsen sie außen und innen, werfen sie gebündelt in kochendes Wasser, um die nunmehr biegsamen Hölzer zu formen und zu einem Rumpf zusammenzusetzen. Mit der Fräse entstehen Nuten für die Böden, Kimme genannt, bevor es ans Ausdrehen geht, worunter der Fachmann das innenseitige Hobeln versteht. Gewöhnliches Schilfgras dient jeweils als Dichtmaterial zwischen den Teilen. 

Sind die Böden montiert, erfolgt das außenseitige Hobeln („Abdrehen“), das Beschlagen mit Metallreifen und das Eindrehen der Metallbüchsen, wie die Spundringe heißen. Beim Pichen der Fässer kleidet der Schäffler die Innenseite mit heißem Baumharz aus. „Das soll die Reinigung erleichtern“, erläutert Wilhelm Schmid. Das Eichen darf nicht fehlen und ergibt oft krumme Zahlen. „31“ steht zum Beispiel auf einem kleinen Fass und markiert damit dessen Fassungsvermögen in Litern. Was so viel Arbeit macht, kann nicht ganz billig sein, aber die Schmid-Fässer bleiben gefragt. Nicht zuletzt gibt es ein unschlagbares Argument. „Bier vom Holzfass schmeckt einfach riesig“, sagt Wilhelm Schmid. „Da kommt nichts anderes ran!“