München
Forscher stutzen einem Urvogel die Flügel

Vermeintlicher Archaeopteryx im holländischen Haarlem war ein gefiederter Fußgänger

05.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:07 Uhr

Dieser Archaeopteryx ist gar keiner. Das haben Münchner Forscher entdeckt. - Foto: Rauhut

München (DK) Der weltberühmte Urvogel Archaeopteryx ist immer für eine Überraschung gut: Zwölf Exemplare wurden im Lauf der vergangenen 150 Jahre in den Steinbrüchen des Altmühltals gefunden. Jetzt hat sich herausgestellt, dass einer aus dem Dutzend einer ganz anderen Gattung angehört.

Das sogenannte Haarlemer Exemplar, das schon seit 1860 im Teylers Museum im niederländischen Haarlem ausgestellt ist, ist ein vogelähnlicher, aber flugunfähiger Raubsaurier, ein Anchiornithide. Fliegender Holländer? Fehlanzeige.

Dabei war das Haarlemer Exemplar eigentlich der erste Fund eines Urvogels. Entdeckt wurde es anno 1860 in der Nähe von Jachenhausen bei Riedenburg (Kreis Kelheim). Allerdings sind die versteinerten Knochen so kümmerlich, dass man sie lange für die Reste eines Flugsauriers hielt. Erst im Jahr 1970 wertete ein amerikanischer Experte das Exponat als Urvogel - eine Sensation. Denn jedes Exemplar des Archaeopteryx, dieses sonderbaren Zwitterwesens zwischen Saurier und Vogel, gilt als Ikone der Naturwissenschaft. Das 150 Millionen Jahre alte Federvieh war der erste Beweis dafür, dass Charles Darwins Evolutionstheorie über die allmähliche Entstehung der Arten stimmt.

In Haarlem ist die Archaeopteryx-Ära nun zu Ende, wie die Münchner Ludwig-Maximilian-Universität (LMU) mitteilt. Die beiden LMU-Paläontologen Oliver Rauhut und Christian Foth nahmen das holländische Exemplar nämlich noch einmal gründlich unter die Lupe und kamen darauf, dass dieser Archaeopteryx, wenn man so will, eine Ente ist. Genauer eben ein vogelähnlicher Saurier mit Federn an Armen und Beinen. Diese Tiere wurden bislang ausschließlich in China entdeckt und sind sogar noch etwas älter als die Urvögel. Rauhuts Bilanz: "Es ist keiner der berühmten Urvögel."

Natürlich bemühen sich die Münchner Wissenschaftler, das Haarlemer Fossil nicht zu heftig von seinem Sockel zu stoßen. Rauhut sagte gestern gegenüber unserer Zeitung, die Kollegen in Holland hätten nun "ein Stück, das ein Alleinstellungsmerkmal ist". Und: "Die waren eigentlich ganz glücklich." Denn jetzt könnten sie einen Raubsaurier herzeigen, der es im Laufe der Jahrtausende von China bis nach Bayern schaffte. Zu Fuß wohlgemerkt, denn fliegen konnte er ja nicht.

Auf Höhe des heutigen Jachenhausen war dann allerdings Endstation für den reisefreudigen Anchiornithiden, denn weiter westlich, Richtung Eichstätt und Solnhofen, kam ein flaches Meer mit einem Archipel aus kleinen Inseln. Auf die schaffte es nur, wer fliegen konnte, ein Urvogel halt.

Wie der Haarlemer Feder-Saurier künftig heißen soll, ist noch offen. Der laienhafte Fossilienfan wird sich den Namen aber wohl eher nicht merken. Ganz im Unterschied zum zungenbrecherischen Archaeopteryx. Dieser Name, so sagt Rauhut, "hat immer noch diesen Nimbus. Er ist der Ur-Meter der Vogelevolution. An dem kommt keiner vorbei."