Ingolstadt
Jeder Vogel zählt - auch jetzt im Winter

Bei der LBV-Aktion kann jeder seine Beobachtungen melden Bestätigt sich der befürchtete Artenrückgang?

04.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:33 Uhr
Eingepackt in ein dickes Federkleid sind Kohlmeise (hinten) und Blaumeise. Ihnen macht der Schnee genauso wenig aus wie der engagierten Ingolstädter LBV-Ortsgruppe, die am Freitag zur "Stunde der Wintervögel" fleißig Vögel zählte. −Foto: Hauser/Belzer

Ingolstadt (DK) Der Landesbund für Vogelschutz (LBV) ruft an diesem Wochenende wieder zur großen Mitmach-Aktion "Stunde der Wintervögel" auf. Auch eine Gruppe aus Ingolstadt macht sich auf die Suche nach Amsel, Spatz und Co. - am Randes des verschneiten Luitpoldparks direkt an der Donau.

Selbst das Streifenhörnchen scheint ganz fasziniert von den Blaumeisen zu sein, wie sie durch die dicken Schneeflocken an die prall gefüllte Futtersäule mit schwarzen Sonnenblumenkernen fliegen. Mindestens genauso beliebt: Die Säule mit Erdnussbruch gleich nebenan. Das sibirische Streifenhörnchen selbst sitzt derweil bestens geschützt im Trockenen auf einer Holzbank unter dem Vordach eines kleinen Gartenhäuschens - und lässt sich selbst von den menschlichen Beobachtern ganz und gar nicht aus der Ruhe bringen.

Denn zur "Stunde der Wintervögel" hat sich unter der Führung von Rudolf Wittmann eine zehnköpfige Truppe der Ingolstädter Ortsgruppe des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) an diesem romantisch-verschneiten Freitagmorgen getroffen, um Vögel zu zählen. Bereits zum 14. Mal findet die Mitmach-Aktion des LBV statt. Im vergangenen Jahr haben sich bayernweit über 32000 Naturfreunde beteiligt. Eine Stunde lang werden die Vögel am Futterhäuschen, im Garten, auf dem Balkon oder im Park gezählt und dem LBV gemeldet (www.stunde-der-wintervoegel.de). Von einem ruhigen Beobachtungsplatz aus wird von jeder Art die höchste Anzahl notiert, die im Laufe einer Stunde gleichzeitig zu beobachten ist.
Die Befürchtung liegt nahe: "Es werden immer weniger Arten", sagt Rudolf Wittmann. "Auch in der Stadt, wo das Insektensterben nicht so akut ist wie in der Feldflur. Doch auch hier geht immer mehr innerstädtisches Grün verloren, es werden Obstbäume gefällt und die Bebauung verdichtet. Der Lebensraum für Vögel schrumpft." Ein Trend, den viele Menschen beobachten.

Die Ingolstädter Gruppe ist an diesem Vormittag eine Stunde lang entlang der Donau unterwegs - und selbst die Kleinsten wissen schon ganz genau, worum es geht. Die sechsjährige Josefina Birzl hat ein kindgerechtes Büchlein dabei, das die Vogelarten zeigt und erklärt. Sie mag die Piepmätze und schaut eifrig gen Himmel, um das ein oder andere Exemplar zu sichten. "Nur dass sie mich morgens immer wecken, das mag ich nicht so sehr." Ihr 15-jähriger Bruder Lorenz ist derweil zum Protokollanten bestimmt worden: Er notiert sich auf einem vom LBV verteilten Blatt Papier die Anzahl der gesichteten Vögel. Experten wie Rudolf Wittmann brauchen die kleinen bunten Abbildungen darauf nicht, um die Tiere zu erkennen - für den Laien, und auch die sollen sich bei der Aktion zahlreich beteiligen, sind sie aber sicher hilfreich.

Zum Vogelzählen braucht man nicht viel - Augen und Ohren reichen völlig aus. Die weiße Schneepracht dämpft die Geräuschkulisse an diesem Vormittag deutlich, die Schritte werden leiser, und auch die nahe Donaubrücke ist kaum noch zu hören. Den Kindern geht es wie den Vögeln: Ihnen macht der Schnee überhaupt nichts aus, sie tollen über die Wiesen und springen über Äste und Zweige. Der Park an der Donau ist eigentlich ein Dorado für Vögel - hier ist der Weichholz-Auwald mitten in der Stadt. Die für die Vögel so schädliche konventionelle Landwirtschaft mit hohem Pestizideinsatz und dem dramatischen Insektensterben sind weit weg.

Und doch ist auch dieser Ort kein Paradies mehr - obwohl die Vögel in vielen Gärten Futterhäuschen mit Körnermischungen oder Beeren-Futterblöcke finden. Sechs Spechtarten kann man hier in der näheren Umgebung hören, die Vogelbeobachter zählen an diesem Tag außerdem einen Kormoran, Ringeltauben, Graugänse und Lachmöven. Die wird man wohl nicht so ohne weiteres in kleinen Gärten im Stadtgebiet finden - dafür aber sicher Meisen. Die Kohlmeise war die am häufigsten gesichtete Art im Jahr 2018, und auch die Ingolstädter sehen innerhalb einer Stunde fünf Exemplare, nur noch getoppt von sechs Blaumeisen. Buntspechte sind drei dabei, zwei Kleiber, ein Mittelspecht, ein Rotkehlchen, ein Buchfink und zwei Amseln - aber kein einziger Spatz.

"Vogelbeobachtung macht einfach glücklich", findet Wittmann. "Egal, ob man aus dem Fenster schaut oder in die Natur geht." Doch er zeigt sich auch tief besorgt: "Wir beobachten definitiv einen Artenrückgang, früher waren Grünfinken, Erlenzeisige, Gimpel oder Kernbeißer durchaus häufige Arten." Helfen kann den Tieren indes jeder - nicht nur durch Fütterung, sondern auch, indem man im heimischen Garten Stauden, alte Bäume und Früchte stehen lässt. Wo Insekten sind, dort lassen sich auch Vögel beobachten.
 

Verena Belzer