"Ein trauriger Tag"

21.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:43 Uhr
Der Platz zu Füßen der Bavaria wird heuer leer bleiben: Die Wiesn ist wegen der Corona-Krise abgesagt worden. −Foto: Kneffel, dpa

Bis zuletzt hatten die Münchner - und mit ihnen Wiesn-Fans in aller Welt - gehofft, dass das Oktoberfest trotz der Corona-Pandemie gefeiert werden könnte. Doch es kommt anders: Das Risiko sei "schlicht und einfach zu hoch", begründeten Ministerpräsident Markus Söder und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter gestern die Absage.

 

München - Beide hätten sie ihre Rolle gehabt, würde das Oktoberfest stattfinden: Der eine, der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), hätte das erste Fass angezapft und mit dem traditionellen Ruf "O'zapft is" unter dem lauten Jubel tausender Gäste das größte Volksfest der Welt offiziell eröffnet. Und der andere, Ministerpräsident Markus Söder (CSU), hätte die erste Maß bekommen. Beide hätten sich vermutlich, wie in der Vergangenheit auch, in ihrer Rolle gefallen.

Hätte, würde, wäre - heuer gibt es kein Münchner Oktoberfest. Zum ersten Mal seit 1948. "Wir beide sind die größten Fans des Oktoberfestes", sagte Söder gestern nach einem Treffen mit Münchens OB Reiter. Deshalb hätten sie eigentlich beide "großes Interesse, dass dieses Fest stattfindet". Dennoch sei man übereingekommen, dass in Zeiten der Corona-Pandemie das Risiko "schlicht zu groß ist" - Singen, Enge, Schwitzen, Trinken ohne Mundschutz, "das geht nicht".

"Ein trauriger Tag für mich", befand auch Reiter, und eine "bittere Pille" für ihn und seine Stadt - rund 1,2 Milliarden Euro lassen schließlich die jährlich etwa sechs Millionen Oktoberfestbesucher in der Landeshauptstadt - in den Hotels, den Taxis, der Gastronomie und natürlich auf dem Oktoberfest selbst. Geld, das man in den "ökonomisch herausfordernden Zeiten" gut hätte gebrauchen können.

Doch es hätte keinen Sinn gehabt, so Reiter, diese Entscheidung, das Oktoberfest nicht stattfinden zu lassen, noch ein oder zwei Monate hinauszuzögern - wo doch eh jedem längst klar gewesen sei, dass es heuer kein Oktoberfest geben würde. 30 Prozent der Oktoberfestgäste, also rund zwei Millionen Menschen, kämen normalerweise aus aller Welt nach München, um das größte und bekannteste Volksfest der Welt zu besuchen - und das bedeute, dass man "nicht sicherstellen" könne, dass dadurch keine neue Corona-Welle in Bayern ausgelöst würde.

Söder wies, zum wiederholten Male, darauf hin, dass es derlei Massen-Festivitäten seien, die bei Corona übelste Auswirkungen gehabt hätten - vom Starkbierfest in Tirschenreuth über den Karneval im Rheinland bis hin zum Après-Ski im österreichischen Ischgl, das als "Viren-Drehschleuder" ganz besonders stark dazu beitrug, dass sich Corona in ganz Europa verbreitete.

Und deshalb müsse man gegenüber derlei festen "größte Sensibilität" walten lassen, so Söder. Was das genau heißen sollte, stellte der CSU-Politiker dann selbst klar: Es werde keinen Ersatz für das abgesagte Oktoberfest geben, keinerlei "Kleinfeste", "Halbalternativen" oder Veranstaltungen "nur für Bestimmte". Auch Clemens Baumgärtner, Münchner Wirtschaftsreferent und damit qua Amt Oktoberfestchef sagt: "Das Gesamtkunstwerk Oktoberfest gibt es entweder ganz - oder gar nicht."

Genaugenommen hat übrigens nicht Söder das Oktoberfest angesagt, wie es gestern in einigen Internet-Medien zu lesen war. Vielmehr muss der Münchner Stadtrat Jahr für Jahr darüber entscheiden, ob das Oktoberfest stattfindet. Und heuer wird er einfach nichts entscheiden - keine Entscheidung, kein Oktoberfest. Und da noch keine Verträge unterschrieben sind, wie OB Reiter sagt, auch keine Verpflichtungen und keine Schadenersatz-Verpflichtungen.

Auch wenn Söder also an der Entscheidung nicht unmittelbar beteiligt war - zur Meinungsbildung hat er in bestem Einvernehmen mit OB Reiter durchaus beigetragen. Und klar ist auch, dass Söder mit seiner Ansage erneut auch einen eigenen bayerischen Weg eingeschlagen hat: Denn in den Bund-Länder-Gesprächen zum Corona-Exit war man in der vergangenen Woche in Berlin eigentlich lediglich übereingekommen, bis 31. August keine Großveranstaltungen zuzulassen.

Statt also weiter abzuwarten, wie sich die Corona-Zahlen entwickeln, zieht Bayerns oberster Regent neue Leitplanken - das Aus für Volks-, Wein- und Bierfeste auch über den Sommer hinaus, womöglich sogar für das restliche Jahr. "Wir sind übereingekommen, dass das Risiko schlicht zu hoch ist", so Söder - und nicht etwa, dass es bei der Oktoberfest-Entscheidung lediglich darum gegangen sei, den Wiesnwirten frühzeitig Klarheit zu verschaffen, damit die planen können. Söder sieht das Land für derlei Veranstaltungen offensichtlich noch nicht gewappnet, und zwar prinzipiell.

Die Münchner Wiesnwirte reagierten sofort - "mit großem Bedauern, aber auch großem Verständnis" , wie sie in einer gemeinsamen Pressemitteilung wissen ließen. Die Absage berühre sie emotional, heißt es darin, dieser Schritt sei angesichts eines fehlenden Medikaments und Impfstoffes gegen das Corona-Virus "logisch und notwendig", so der Sprecher der Wiesnwirte, Peter Inselkammer. "Die Gesundheit unserer Gäste liegt uns besonders am Herzen und hat oberste Priorität." Schade sei es freilich für die vielen Gäste, aber auch "die unzähligen Mitarbeiter, die sich ihren Lebensunterhalt mit dem größten Volksfest der Welt verdienen. Für rund 10000 Menschen ist das ein herber finanzieller Schlag", meinte Inselkammer.

Alternativfesten erteilten die Wiesnwirte selbst eine Absage: "Ein Oktoberfest light war für uns nie eine Option", so Wirtesprecher Christian Schottenhamel. Formal führen sie die "massiven Schwierigkeiten" an, "entsprechende Kontakt-Beschränkungen zu kontrollieren, wenn Alkohol im Spiel ist, lebt doch unsere Wiesn von der Geselligkeit und vom gemeinsamen Feiern". Tatsächlich dürften die Wiesnwirte es freilich nur ungern sehen, wenn andere nun das Geschäft machen - wenn auch nur im kleineren Stil. Bis zu 11,80 Euro musste man im vergangenen Jahr schließlich für eine Oktoberfest-Maß auf den Bierbanktisch auf der Münchner Theresienwiese legen.

Und die Wiesnwirte wagen bereits den Blick in die - Corona-freie - Zukunft: Es kämen "auch wieder bessere Zeiten", so Schottenhamel, "und vielleicht fällt uns allen ja gemeinsam eine Lösung ein, wie wir das Oktoberfest im nächsten Jahr gestalten können, um dem dann zu erwartenden erhöhten Ansturm zu bewältigen."

Aufs nächste Jahr setzen sie auch schon beim Gillamoos in Abensberg (Landkreis Kelheim). Dort haben sie noch gestern sofort reagiert: "Mit Blick auf die Presseerklärung von Ministerpräsident Markus Söder am Dienstag, den 21. April stellen wir fest, dass der Gillamoos 2020 auf nächstes Jahr verschoben werden muss. Wir werden Euch über weitere Maßnahmen Anfang Mai detailliert informieren", heißt es auf der Internet-Seite.

DK

Alexander Kain