München
Die Zukunft auf dem Teller

Salat auf Saatmatten, Pflanzensteaks aus dem Drucker: Startups stellen in München ihre Ideen vor

22.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:20 Uhr
Patrik Stäbler
Sieht fast aus wie ein Kühlschrank: Einen Einbaugarten für die heimische Küche – den Plantcube – präsentiert Fabian Kazmaier von der Münchner Firma Agrilution. −Foto: Stäbler

München (DK) Fleisch ohne Tier, Gemüse ohne Acker, Fische ohne Meer: Der Global Food Summit in München blickt auf die Essenswelt von morgen. In den Fokus rücken dabei Lebensmittel aus der Stadt - getreu dem Motto: Urban ist das neue Bio.

Wäre da nicht die gläserne Tür, man könnte dieses Gerät glatt für einen Kühlschrank halten. Den Kühlschrank eines Vegetariers, wohl gemerkt, denn im Innern liegen dicht an dicht nur Salate und Kräuter. Wobei "liegen" das falsche Wort ist, denn das Grünzeug ist in dem Kasten gewachsen. Auf Saatmatten. Binnen weniger Tage.

Plantcube heißt der vollautomatische Einbaugarten für die Küche, der ohne Erde und Sonnenlicht auskommt und über eine App gesteuert wird. LED-Lampen und eine Bewässerungsanlage sorgen dafür, das in dem Würfel permanent "ein perfekter Frühlingstag" herrscht, so der Hersteller Agrilution. Die Münchner haben es beim Startup-Wettbewerb des Global Food Summit (GFS) ins Finale geschafft, weshalb nun ein Plantcube im edlen Max-Joseph-Saal der Münchner Residenz steht, wo rund 150 Experten aus Wissenschaft, Industrie und Politik zwei Tage lang über die Zukunft der Landwirtschaft diskutieren. Und damit über die Frage: Was kommt in den nächsten Jahrzehnten auf unsere Teller?

Nun wird sicher nicht jedermann einen Plantcube für 3000 Euro in seine Küche stellen, um den Salat frisch aus dem Kühlschrank zu ernten. Und doch steht das Gerät für eine Technologie, die im Großen längst Anwendung findet - unter dem Stichwort Vertical Farming. Die Idee dahinter: Gemüse und Co. werden nicht auf dem Acker angepflanzt, sondern auf mehreren Etagen in einer Hightech-Umgebung bei kontrollierter Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Lichtintensität.

Auf diese Art baut die Firma Growing Underground in London seit 2015 in einem ehemaligen Kriegsbunker Salate und Kräuter an; ein ähnliches Projekt gibt es in Paris, wo in einer früheren Tiefgarage Pilze, Endiviensalat und anderes Gemüse wachsen. Das Fraunhofer-Institut hat 2018 weltweit rund 35 solcher vertikalen Landwirtschaften untersucht. Deren Vorteile liegen auf der Hand: Es braucht viel weniger Fläche, der Ertrag ist meist höher und unabhängig von Klima und Boden; überdies sind die Transportwege kürzer, wenn das Gemüse in der Stadt wächst. Zugleich gibt es aber - noch? - Nachteile. So verweisen Kritiker auf den hohen Energiebedarf geschlossener Anbausysteme; zudem lässt sich etwa Getreide bislang nur schwerlich auf diese Art anpflanzen.

Und dennoch gehört Vertical Farming zu den fünf Trends bei der "Umwälzung der Nahrungsmittelproduktion", die der Agrarökonom Justus Wesseler (kl. Foto) von der Universität Wageningen in den Niederlanden in seinem Vortrag beim GFS aufzählt. Zu den anderen vier Technologien gleich - zunächst aber zu den "Eckdaten", wie sie Stephan Becker-Sonnenschein nennt, der Chef des GFS. Mehr als neun Milliarden Menschen werden 2050 auf der Erde leben - davon 70 Prozent in Städten, wo wiederum 80 Prozent aller Lebensmittel konsumiert werden, so Becker-Sonnenschein. "Wir benötigen Lösungen, wie wir diese Menschen ernähren können." Und diese Lösungen, davon ist nicht nur er überzeugt, lassen sich in den Städten finden - nach dem Motto: Urban ist das neue Bio. Auf "ein paar Quadratmetern", sagt Becker-Sonnenschein, werde man dort zukünftig künstliches Fleisch herstellen oder Proteine aus Insekten gewinnen.

Diese zwei Punkte tauchen auch in den fünf Trends von Justus Wesseler auf. Ihm zufolge ist es nur eine Frage der Zeit, ehe sich Fleisch aus der Petrischale im großen Stil durchsetzt. Diese Vorstellung hat Bayerns Ernährungsministerin Michaela Kaniber tags zuvor noch als "spooky" bezeichnet. Ganz anders klingt das bei Peter Verstrate, dessen holländische Firma Mosa Meat 2013 den ersten Hamburger aus Laborfleisch vorgestellt hat. Die Kosten damals: 250000 Dollar für 150 Gramm. Seither hat sich in der Forschung einiges getan, und doch stehe die Entwicklung von "Clean Meat" - also "sauberes Fleisch", wie die Wissenschaftler ihr Produkt gern bezeichnen - immer noch am Anfang, sagt Verstrate in München. Ende 2022 wolle seine Firma ein fertiges Produkt auf den Markt bringen. Auch der Mosa-Meat-Chef verweist in seinem Vortrag auf das weltweite Bevölkerungswachstum als Motor für Wandel und Innovation. Dazu kämen im Fall von Laborfleisch die wachsende Kritik an der Massentierhaltung sowie deren katastrophale Klimabilanz.

Ähnlich ist die Ausgangslage bei Wesselers Trend Nummer vier: Aquakulturen, also die kontrollierte Aufzucht von Wassertieren. Hier ist die Industrie ungleich weiter; aktuell stammt etwa die Hälfte der weltweit konsumierten Speisefische aus Meeres- und Süßwasserfarmen. Spitzenreiter ist China, wo es riesige Zuchtanlagen gibt. Doch auch hierzulande sind Aquakulturen ein Thema - etwa vor den Toren Münchens bei Crusta Nova, Europas größter Garnelenfarm. Das Startup züchtet seine "Pacific White Shrimp" ohne Antibiotika, ohne Hormone und in einem geschlossenen System - und genau das sei die Zukunft, glaubt Agrarexperte Wesseler.

Sein fünfter Trend, den er beim GFS vorstellt, ist das Thema Fleischersatz. Dass sich dahinter weit mehr verbirgt als das Sojaschnitzel, zeigt die Firma Jet Eat aus Israel, die ebenfalls im Finale des Startup-Wettbewerbs antritt. Ihre Steaks sind nicht nur aus pflanzlichen Rohstoffen, sondern kommen auch aus dem 3-D-Drucker. Nächste Woche, kündigt Firmenchef Eshchar Ben-Shitrit an, würden die gedruckten Pflanzensteaks erstmals in Lokalen in Israel serviert - "und zwar nicht in vegetarischen, sondern in ganz normalen Restaurants".

Mit ihren Steaks aus dem Drucker holt Jet Eat den Sieg beim Startup-Wettbewerb; für die Münchner Firma Agrilution reicht es immerhin zu Platz drei. Ihr Plantcube ist seit Kurzem bei einem großen Elektronikhändler erhältlich; demnächst will das Startup in einer Finanzierungsrunde 15 Millionen Euro einsammeln und das Gerät weiterentwickeln.
 

Patrik Stäbler