Ingolstadt
Das eine ist Vorgabe, das andere Realität

WhatsApp ist an bayerischen Schulen allgegenwärtig – Manchmal sogar als Schüler-Lehrer-Chat

05.07.2018 | Stand 02.12.2020, 16:08 Uhr

Ingolstadt (DK) Es geht um Hausaufgaben, Unterrichtsausfälle und um Prüfungsvorbereitungen. Um den nächsten Wandertag und um Proben für den Auftritt beim Schulfest. Und vor allem natürlich um die ganz alltäglichen Banalitäten. Von morgens 7 Uhr bis nach 22 Uhr trudelt Nachricht um Nachricht auf den Smartphones der Schülerinnen und Schüler ein.

Nahezu jede Klasse in weiterführenden Schulen hat heutzutage einen Klassen-Chat, der  in der Regel über  WhatsApp läuft. Sogar in manchen Grundschulen  ist er  angekommen. Dieser Messenger ist beliebt, um per Smartphone  schnell, kostenlos und bequem Nachrichten auszutauschen. In den Chats geben Nutzer jede Menge persönliche Informationen preis. Doch was viele Eltern und Kinder ignorieren: Das Unternehmen, das übrigens zu Facebook gehört, hat  am 25. Mai seine  Nutzungsbedingungen geändert und  das Mindestalter von 13 auf 16 Jahre heraufgesetzt. Der Grund dafür  ist die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung. Sie legt fest, dass Daten von Nutzern nur verarbeitet werden, wenn sie mindestens 16 Jahre alt sind. 
 
 Ohne Einwilligung der Eltern dürften Kinder das Programm  theoretisch gar nicht nutzen. Doch es geht eigentlich fast nicht ohne WhatsApp, erzählen die Schüler: „Wenn man eine Frage in den  Klassen-Chat stellt, sehen sie  gleich alle. Das ist viel praktischer, als etwa einzelne SMS zu verschicken oder mehrere Leute anzurufen.“  Wenn man mal krank sei, könnten die Mitschüler außerdem schnell Bilder der Unterrichtseinträge und Arbeitsblätter schicken.
 
Doch wie lässt sich die richtige Balance finden zwischen Datenaustausch und Datenschutz, zwischen „Dabeisein“ und Abhängigkeit vom Handy. Nicht selten nämlich fällt es   Judendlichen schwer, das Gerät aus der Hand zu legen, weil sie nichts verpassen wollen. Da ist auch die Unterstützung der Eltern gefragt. Was früher das stundenlange Telefonieren war, ist heute Chatten  – und wer nicht dabei ist, dem entgeht vieles. Neben Informationen zum Beispiel auch das Gemeinschaftsgefühl. „Kinder und Jugendliche, die nicht bei WhatsApp sind, sind in jedem Fall ausgeschlossener“, sagt auch Florian Schwegler, Pressesprecher des Landesschülerrates in Bayern.  
 
An den Schulen in der Region wird ganz unterschiedlich mit dem Problem umgegangen. Am Apian Gymnasium in Ingolstadt zum Beispiel „sind soziale Medien natürlich ein Thema“, sagt Gabi Rost, Mitarbeiterin in der Schulleitung. „Und zwar indem wir mit den Schüler darüber reden, sie aufklären und auch vor den Gefahren warnen. In der Schule allerdings hat WhatsApp als Kommunikationsmittel nichts verloren.“ Gruppen zwischen Schülern und Lehrern gebe es keine. Aber „ich glaube nicht, dass irgendein 15-Jähriger auf den Dienst verzichtet, weil die Altersfreigabe angehoben wurde“. Das bestätigt Florian Schwengler: „Ich kenne keine Klasse, die   nach dem Ändern der Nutzungsbedingungen  den Klassen-Chat beendet hat.“ Chats zwischen Lehrern und Schülern dagegen sind nach seiner Erfahrung  allerdings kein Thema.
 
Auch ein Lehrer einer Realschule aus der Region betont: „WhatsApp-Gruppen mit Schülern sind aus Datenschutzgründen nicht nur problematisch, sondern unerwünscht. Ich bin  in keiner solchen Gruppe, und ich gehe davon aus, dass auch meine Kollegen sich daran halten.“  Dass diese Zurückhaltung allerdings nicht selbstverständlich ist, erzählt die Mutter eines Grundschülers: „Kürzlich habe ich eine WhatsApp-Nachricht von der Lehrerin meines Sohnes bekommen – zu einem Thema, das überhaupt nichts mit der Schule zu tun hat.“ 
 
Derzeit ist die Handynutzung an bayerischen Schulen übrigens grundsätzlich verboten – wenn nicht in Ausnahmefällen ein Lehrer ausdrücklich zustimmt. „Im Schulgebäude und auf dem Schulgelände sind Mobilfunktelefone (...), die nicht zu Unterrichtszwecken verwendet werden, auszuschalten“, heißt es im bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz. Aber: „Die unterrichtende oder die außerhalb des Unterrichts Aufsicht führende Lehrkraft kann Ausnahmen gestatten.“
 
Doch wie schaut die Realität in den Klassenzimmern aus? „Die Lehrerinnen und Lehrer selbst hängen in der Luft“, sagt Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV): „Als dienstliche Person ist es dir nicht gestattet, in WhatsApp zu sein.“ Das sei die Theorie, in der Praxis aber mache es jeder. „Wir haben Kontakt mit Klassen und  mit den Eltern. Wir nutzen Gruppen für Absprachen.“  Jeder verwende Apps und sei in sozialen Netzwerken unterwegs. 
 
Eine klare Empfehlung vom BLLV für die Beschäftigten gibt es nicht, jeder ist eigenverantwortlich. „Natürlich sprechen die Lehrer  in den Schulen mit den Kinder über das Thema, schließlich ist es auch unsere Aufgabe, medienkompetente Kinder zu erziehen.“ 
 
Unterstützung und eine klare Ansage, wohin die digitale Reise geht, erhofft sich Fleischmann von ihrem Dienstherren, dem Staat. „Jedes Wirtschaftsunternehmen macht sich Gedanken über die Kommunikation zwischen den Mitarbeitern, zu den Kunden und Vorgesetzten. Das würden wir uns auch wünschen.“ Es gibt Alternativen, Plattformen, über die man sich austauschen kann. „Denn Lehrersein bedeutet auch, eine Beziehung zu den Schülern zu haben – live und digital.“