Ingolstadt
Geschenke für den Bürgermeister

29 Beschuldigte im Raum Ingolstadt

18.12.2018 | Stand 02.12.2020, 15:00 Uhr
Mal ein Geschenk annehmen, wie auf diesem Symbolbild, kann für Amtsträger böse Folgen haben. Das zeigen aktuelle Ermittlungen wegen Vorteilsannahme gegen 300 Beschuldigte in Bayern. −Foto: Getty Images

Ingolstadt (DK) Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts der Vorteilsannahme gegen 300 Gemeindeoberhäupter und Funktionsträger in Bayern. Eine Firma hatte sich spendabel gezeigt. Es gibt 29 Beschuldigte im Raum Ingolstadt.

Essenseinladungen, Weinpräsente zu Weihnachten oder Freikarten für kulturelle Veranstaltungen haben rund 300 Bürgermeistern, Bereichsleitern von Stadtwerken, Verantwortlichen kommunaler Trinkwasserversorger, Wasserwarten, Bauamtsleitern und anderen Funktionsträgern in bayrischen Städten und Gemeinden Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorteilsannahme eingebracht. Allein in der Region Ingolstadt gibt es bisher 29 Beschuldigte. In vielen Fällen liegt der Wert dieser Zuwendungen allerdings in einem so niedrigen Bereich, dass es möglicherweise zur Einstellung der jeweiligen Verfahren kommt.

Es war offenbar ein Zufallsfund in anderer Sache, der die Untersuchungen in Gang brachte und nun bayernweit für Unruhe in vielen Bürgermeisterbüros sorgt. Die Staatsanwaltschaft in Landshut hatte 2015 ein Ingenieursbüro für Wasserversorgung in der Nähe der Kreisstadt durchsucht, weil dort bei Ausschreibungen manipuliert worden sein soll. "Dabei ist man auf eine Liste von Leuten gestoßen, die Präsente von der Firma erhalten hatten", bestätigte der stellvertretende Behördenleiter Thomas Steinkraus-Koch unserer Zeitung. Es gehe um die Jahre 2013 bis 2016. Die Begünstigten waren nicht irgendwer, sondern Bürgermeister und Funktionsträger kommunaler Einrichtungen. In Ingolstadt betrifft das die Kommunalbetriebe, außerdem stehen einige Gemeindeoberhäupter in den Kreisen Eichstätt und Pfaffenhofen im Fokus der Ermittler.

Viele Betroffene verstehen jedoch die Aufregung nicht, denn es geht oft nur um Werte unter 30 Euro, was in vielen Kommunen als Grenze dessen gilt, was angenommen werden darf. Sie hatten zu Weihnachten per Postzustellung je drei Flaschen Wein im Gesamtwert zwischen 24 und 27 Euro erhalten. "In meinem Fall hat die Staatsanwaltschaft Porto und Verpackung draufgerechnet, sie haben die Summe künstlich auf 34 Euro nach oben getrieben", berichtet ein Beschuldigter aus Ingolstadt. "Natürlich ist es ihre Pflicht, solchen Dingen nachzugehen, aber das ist an den Haaren herbeigezogen. Als der Wein geschickt worden ist, hat es schon seit sechs Jahren kein Vertragsverhältnis mehr zwischen uns und dem Ingenieursbüro gegeben - wo hätte ich die Firma also im Gegenzug begünstigen können? Das ist eine sehr diffuse Geschichte, und ich weiß nicht, warum die da gegen mich ermitteln."

Ähnlich äußern sich andere Betroffene, wobei Vorteilsannahme juristisch gesehen nicht mit einer Gegenleistung verbunden sein muss (siehe Kasten). "Klar, ich habe die Weinsendung nicht zurückgeschickt und die Annahme nicht umgehend vom Gemeinderat genehmigen lassen", heißt es aus einem Bürgermeisterbüro im Kreis Eichstätt. "Aber ich bin mir keiner Schuld bewusst und habe das nicht als Vorteilsannahme angesehen - es hat auch nie eine Gegenleistung gegeben." Ein anderer Bürgermeister aus derselben Ecke ist ebenfalls perplex. "Da bist du erst einmal sprachlos." Die Anwälte der 29 Beschuldigten aus der Region Ingolstadt haben in einigen Fällen bereits Akteneinsicht beantragt. "Da sind teils 200 Seiten und mehr zusammengekommen", heißt es. "Wegen drei Flaschen Wein für 24 Euro - da stimmt doch die Relation nicht mehr!" Einige hatten die Präsente nach eigenem Bekunden nicht einmal selber konsumiert, sondern an Mitarbeiter in der Verwaltung weitergegeben. Andere hatten den Wein freilich an ihre Privatanschrift liefern lassen, was durchaus "ein G'schmäckle" hat.

Genau deshalb - um die Umstände individuell zu klären - werde ermittelt, "wir können das nicht einfach zu den Akten legen, wenn so etwas eingeht", erklärte Gerhard Reicherl von der Staatsanwaltschaft Ingolstadt. "Nur wenn wir alles genau hinterfragen, bekommen wir eine Einschätzung, ob strafbare Handlungen vorliegen" In manchen Fällen gehe es außerdem nicht nur um drei Flaschen Wein, allerdings halte sich der Wert der Zuwendungen durchweg in Grenzen: "Das liegt im niedrigen dreistelligen Bereich."
Was am Ende juristisch herauskommt, lässt sich laut Reicherl bisher nicht sagen, "wir warten noch auf verschiedene Stellungnahmen seitens der Beschuldigten". Er rechnet Anfang 2019 mit einem Abschluss für die Betroffenen im Bezirk Ingolstadt.

In Landshut, wo das Verfahren seinen Ausgang nahm, hatten etliche Beschuldigte statt Wein auch Essenseinladungen oder Freikarten für die Landshuter Hochzeit, ein historisches Fest, erhalten. "Einige Vorgänge haben wir bereits eingestellt, weil die Zuwendungen genehmigt waren oder nachträglich genehmigt worden sind. Andere sind wegen geringer Schuld oder gegen Geldauflage eingestellt worden, wenn die Zuwendungen nur einen geringen Wert hatten", sagte Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch. Wo es sich um teurere Geschenke gehandelt hatte, seien Geldstrafen verhängt worden. "Was nicht unseren Bezirk betrifft, haben wir die Fälle an die jeweiligen Staatsanwaltschaften abgegeben, darunter in Augsburg, Ingolstadt, Regensburg und Passau. In unserem Bereich hat es jedenfalls keinen einzigen Fall gegeben, wo es tatsächlich um Bestechung gegangen ist."
 

Das Gesetz

Amtsträger sind im gesetzlichen Sinn nicht nur Bürgermeister oder andere Politiker. Beamte, Notare oder Richter zählen ebenso dazu, es können aber auch Beschäftigte im öffentlichen Dienst sein. Wer in dieser Funktion für sich oder Dritte einen Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, macht sich nach Paragraf 331 des Strafgesetzbuchs der Vorteilsannahme schuldig. Neben strafrechtlichen Folgen – die Spanne reicht von Geldstrafen bis zu drei Jahren Gefängnis – kann es auch arbeits- und zivilrechtliche Konsequenzen geben.

Bestechlichkeit (Paragraf 332) liegt dagegen vor, wenn ein Amtsträger den Vorteil als Gegenleistung dafür fordert oder annimmt, dass er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehmen wird, also seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzen würde. Viele Kommunen geben vor, wie mit „persönlichen Zuwendungen“ umzugehen ist. Eine Annahme sollte jedenfalls gut überlegt sein, besonders wenn der Wert über 25 bis 30 Euro liegt.