Ingolstadt
"Die erste Woche ist die schlimmste"

Ex-Untersuchungshäftling berichtet von traumatischen Erlebnissen in der JVA Gablingen, wo auch Audi-Chef Stadler sitzt

21.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:12 Uhr
Eine Zelle in der JVA Gablingen, wo Ex-Audi-Chef Rupert Stadler in U-Haft sitzt. −Foto: Hildenbrand/dpa

Ingolstadt (DK) Wie mag er sich wohl fühlen? Rupert Stadler, beurlaubter Chef der Audi AG, sitzt seit Montag wegen Verdunklungsgefahr in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Betrug und Falschbeurkundung vor.

An eine Freilassung ist so schnell nicht zu denken. Der 55-Jährige bleibt vorerst in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Augsburg-Gablingen hinter Gittern - ohne Sonderbehandlung oder Extrawürste, wie es seitens der Justiz in solchen Fällen heißt. Gerade die ersten Tage im Gefängnis schlagen besonders auf die Psyche. "Da zieht es dir völlig den Boden weg", sagt ein Ingolstädter, der selbst monatelang in Gablingen in U-Haft saß. "Es war die schrecklichste Zeit meines Lebens. Hinterher bist du nicht mehr derselbe."
 
Hubert B. - sein richtiger Name tut hier nichts zur Sache - kann es gut nachvollziehen, wie der bisherige Audi-Chef sich jetzt fühlen mag. Auch für ihn war die Festnahme mit anschließendem Haftbefehl aus heiterem Himmel gekommen. Schon die erste Nacht in der Arrestzelle der Polizei belastet ihn stark. "An Schlaf war nicht zu denken, stündlich haben sie nach mir geschaut, damit ich mir nichts antue. " Tags darauf geht es vor die Ermittlungsrichterin und gleich weiter in die JVA Gablingen - ein modernes Gefängnis mit rund 610 Plätzen, erst 2015 eröffnet. Keine alte "Gammelburg" mit feuchten Mauern.
 
"Aber es war alles so bedrohlich, schon auf der Fahrt dorthin", erinnert sich Hubert B. "Sie sind mit mir einmal außen um den Knast gefahren, als wollten sie mich einschüchtern und mir klarmachen: Die hohen Mauern, der viele Stacheldraht, Justizbeamte mit Schäferhunden, überall Kameras - da brauchst du erst gar nicht versuchen, abzuhauen. " Durch ein dunkles Tor führt der Weg hinein in den Bau, mehrere Schleusen sind zu passieren, nach der dritten, mit Stacheldraht bewehrten Einfahrt wird der Ingolstädter dem Justizpersonal übergeben.
 
Ausziehen! Alles! Was jetzt kommt, empfindet Hubert B. als "absolut beschämend und entwürdigend. Sie nehmen dir Kleidung und Geld, einfach alles ab, und du verbirgst deine Blößen notdürftig. Oft stehen mehrere Häftlinge gleichzeitig nackt herum. " Hüllenlos geht es den Gang hinunter zum Duschen, dann wieder einen langen Flur entlang bis zur Kleiderkammer, im Adamskostüm. "Da begegnen dir immer wieder Justizbeschäftigte, und du läufst ohne Klamotten herum. Wenn du Glück hast, triffst du bei der Kleiderausgabe einen humanen Beamten, der dir gleich eine Unterhose hinhält, damit du das Nötigste bedeckst. " Mit rotem Stempel drauf: "JVA Augsburg-Gablingen". Die Anstaltskleidung ist schlicht, in Blau gehalten, zur schlecht passenden Hose gibt es Polohemd und Pullover.
 
"Die erste Woche ist die schlimmste", sagt Hubert B. , inzwischen längst wieder auf freiem Fuß. "Da bist du weitgehend isoliert im Aufnahmetrakt, weil du erst untersucht wirst, ob du HIV-infiziert bist, Hepatitis hast oder sonstwas Ansteckendes. Du bist völlig abgeschnitten von der Welt, ohne Radio oder Fernseher. Du hast nicht mal eine Uhr. Die ersten Tage habe ich nichts gegessen, so fertig war ich. " Beim Blick aus dem Fenster sieht er andere Häftlinge beim Hofgang, kahlgeschorene, teils wild aussehende Gesellen. "Da hat mich die Angst gepackt. Betrüger, Diebe, Mörder - was werden die mit mir machen? " Er will lieber nicht dort raus.
 
Tage später, als der Ingolstädter eine Elf-Quadratmeter-Zelle bezieht und den Knastalltag kennenlernt, trifft er auf einen anderen Gefangenen aus dem Ingolstädter Raum. "Der hat mir zum Glück viele gute Tipps gegeben: Du musst am Hofgang teilnehmen, hat er gesagt. Sonst denken die anderen, du hast was in der Zelle versteckt und überfallen dich. Er hat mir geraten, nie zu duschen, wenn mehr als zwei Häftlinge im Raum sind. Sonst schlagen oder vergewaltigen sie dich. Deshalb sollte ich auch nie jemanden in die Zelle mitnehmen, wenn die Türen für zwei Stunden am Tag aufgesperrt werden. " Hubert B. findet einen "Beschützer", der ihn vor Übergriffen im Gefängnis bewahrt. "Dafür wollte er aber ein Packerl Tabak alle zwei Tage, das ist die Währung im Knast. Sie nennen sie ,Koffer'. Den Tabak habe ich gekauft, pro Monat darf man für 200 Euro Waren aus dem JVA-Laden bestellen."
 
Morgens Tee und Marmelade auf Brot, das bereits am Vorabend ausgegeben wird, mittags oft Eintöpfe und abends Brot mit Wurst oder Käse - "das Essen war langweilig. Am Sonntag hat's schon mal Schweinsbraten gegeben und einmal Backfisch. Da haben sich alle gefreut". Nachts drehen Justizbeschäftigte die Runde und stören den Schlaf, denn manche nehmen ihre Kontrollen bewusst polternd vor: den Schlüssel ins Schloss, klack-klack, auf- und wieder zugesperrt und weiter zur nächsten Zellentür. "Heute noch wache ich manchmal daheim auf und meine, dieses Geräusch zu hören. " Die Hitze in den Zellen sei oft unerträglich gewesen, "da steht die Luft. Wenn ein Wärter nett war, hat er schon mal die Luke in der Tür geöffnet, dass es zumindest ein wenig durchzieht".

Hubert B. sieht Schlägereien und wie die Wachleute den Sicherheitsdienst holen, der dann wenig zimperlich mit Schlagstöcken auf die Streithähne eindrischt. Es trifft auch diejenigen, die schon zuvor die Opfer waren. Gewalt ist immer präsent, und wenn nur latent: Sein direkter Zellennachbar soll einen Mord begangen haben. "Der hat mir erzählt, wie er einen Freund umgebracht, zerstückelt und sexuell missbraucht hat. Neben so einem liegst du jetzt, habe ich gedacht. Da ist mir ganz anders geworden. " Erschreckt hat ihn außerdem, was die Gefangenen untereinander alles anbieten: Alkohol, Drogen, Psychopharmaka - "ich verstehe nicht, warum man das zulässt".

Die Zeit im Gefängnis hat sich unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt. Der Ingolstädter ist froh, dass seiner U-Haft-Zeit kein Strafvollzug folgte. Er versucht, dieses Kapitel zu verdrängen, vergebens. "Ich bin wieder frei. Aber im Kopf verfolgt mich das Ganze bis heute. "