Oberdolling
Immer wieder Probleme mit der Hygiene

Sind sich häufende Rückrufaktionen der Grund für das Aus der Oberdollinger Amberger-Werke?

08.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:54 Uhr
Das Tor ist zu: Die Amberger-Werke in Oberdolling (oben) haben die Produktion komplett eingestellt (unten rechts ein Archivbild), betroffen sind 150 Mitarbeiter. Viele sind dennoch zuversichtlich, bald eine neue Stelle zu finden, zumal Aviko als ihr bisheriger Arbeitgeber mithelfen will. Für die Bauern als Lieferanten heißt es jetzt, ihre Produkte ins Kartoffel-Centrum Bayern nach Rain zu bringen. −Foto: Richter

Oberdolling (DK) Das Gelände wirkt menschenleer, das Zufahrtstor bleibt geschlossen, rot leuchtend sticht eine Digitalanzeige ins Auge: "Tage ohne Unfall 28", heißt es an der Fassade der Amberger-Werke in Oberdolling (Kreis Eichstätt).

Der Super-Gau bleibt unerwähnt: Am Montag hatte die Unternehmensleitung unter dem Dach des holländischen Kartoffelkonzerns Aviko die Schließung des Standorts mit 150 Beschäftigen verkündet. Quasi von heute auf morgen, wo doch viele geglaubt hatten, die Niederländer würden dem Kartoffel verarbeitenden Betrieb nach der Komplettübernahme 2017 wieder neuen Schwung geben und technisch auf den aktuellen Stand bringen. Die längerfristige Rentabilität sei nicht mehr gewährleistet, hieß es zur Begründung.

Vergangene Woche noch war ein Kran am Gelände gestanden und hatte neue Anlagenteile ins Werk gehievt, berichten Passanten. So, als liefe beim vorgesehenen Ausbau zum "Schwerpunktstandort für Regionalprodukte" alles nach Plan. Aviko habe kräftig investiert, bestätigen Mitarbeiter, von denen jetzt viele heimgeschickt worden sind. Sogar am Montag noch arbeitete ein Fremdbetrieb an der Justierung der Rolltore, eine Ingolstädter Sicherheitstechnikfirma kümmerte sich um die Schließanlage. Die Firmenleitung besprach am Vormittag - als wäre alles in bester Ordnung - geplante Projekte mit Mitarbeitern für die nahe Zukunft, etwa den Bau einer neuen Pommes-Produktion nach Weihnachten. Und am Abend dann die Hiobsbotschaften: aus und vorbei. Warum so schnell? "Ich investiere doch nicht erst Millionen, um dann so kurzfristig zu schließen", rätseln viele im Ort.

Wer sich im Umfeld der Amberger-Werke genauer informiert, findet durchaus mögliche Erklärungen für diesen Schnitt. Vieles deutet darauf hin, dass hygienische Missstände die Ursache für die plötzliche Werksschließung sein könnten. Aviko hatte Amberger 2015 zu 60 Prozent und 2017 ganz übernommen, sechs Jahrzehnte waren die Werke zuvor in Familienhand gewesen. Man wolle auf dem regionalen Markt mitspielen, die Oberdollinger Firma mit ihren Frischprodukten sei die ideale Ergänzung, hatte es nach dem Kauf geheißen. Es herrschte Aufbruchstimmung.

Doch es gab wohl einen Investitionsstau bei den Produktionsanlagen, den die Niederländer so schnell nicht in den Griff bekamen. Und so standen Lebensmittelüberwacher des Eichstätter Landratsamtes wiederholt vor der Tür, "die haben uns richtig auf dem Kieker gehabt", sagt eine Noch-Mitarbeiterin. "Die letzten drei Jahre waren die öfter da als in den 30 Jahren zuvor unter Amberger", meint ein Kollege. Freilich nicht grundlos: Die Rückrufaktionen bei der Hausmarke "Feldmühle" häuften sich, die zwei letzten erfolgten am 25. Oktober ("Röstiteig") und am 1. November ("Bratscheiben gewürzt" und zehn weitere Artikel) wegen möglicher Fremdkörper in den Produkten. Kein Renommee. Neben solchen offiziellen Meldungen soll es intern weitere Lieferstopps gegeben haben. Ein langjähriger Angestellter beschreibt es so: "Wenn nur der geringste Verdacht einer Verunreinigung bestand, und das passierte so alle vier bis sechs Wochen, haben wir die gesamte Tagesproduktion lieber vernichtet, damit es nicht zum Rückruf kommt. Das waren immer ein paar Tonnen und oft nicht wirklich nötig. "

Die jüngste Häufung brachte möglicherweise das Fass gänzlich zum Überlauf. Ende Oktober hatten Eichstätter Lebensmittelüberwacher dem Hause Amberger noch einmal mündlich klar gemacht, was alles zu tun sei, um den Betrieb fortführen zu können. Mit dabei: eine Spezialeinheit der Regierung von Oberbayern als übergeordnete Aufsichtsbehörde. Zuvor hatten die Amtsvertreter bereits die Pommes-Fertigungsstraße geschlossen, wie Mitarbeiter bestätigen. Anfang November erhielt Aviko dann einen Bescheid mit allen Auflagen, kurz darauf erfolgte die Werksschließung.

Manfred Schmidmeier vom Landratsamt Eichstätt bestätigt diese Vorgänge im Wesentlichen. Nur das mit dem piesacken lässt er nicht gelten. "Hier geht es um den Schutz der Konsumenten, da müssen wir handeln, wenn es Missstände gibt. Wir hatten immer wieder Verbraucherbeschwerden, da können wir die Augen nicht verschließen. " Die Hygienekontrollen seien wie allgemein üblich stets unangekündigt und in der Häufigkeit "den Gegebenheiten entsprechend" erfolgt.

Finanziell hätte Aviko es vermutlich im Kreuz gehabt, die Modernisierung der Amberger-Werke zu stemmen, selbst mit einem vorübergehenden Stillstand der Produktion. Aber es dürfte wohl um den Ruf des Unternehmens gehen, den es wegen der sich häufenden Rückrufe zu schützen galt. Ob das letztlich wirklich der ausschlaggebende Grund für die beinahe hastig wirkende Schließung war, ließ sich bis gestern nicht verifizieren. Ein versprochener Rückruf der Firmenleitung blieb aus.

Zurück bleiben viele Mitarbeiter, ohne Beschäftigung und teils ratlos. Böse Worte hört man dennoch kaum, im Gegenteil: "Man hat das Gefühl, dass es Aviko selbst sehr leid tut, diesen Schritt machen zu müssen", sagt ein Beschäftigter. "Sie tun alles dafür, dass wir unser Geld bekommen und unterstützen uns sogar bei Bewerbungen für eine neue Stelle", bestätigt ein anderer; bezahlt werde er bis 31. Mai. Es gebe einen Sozialplan, hatte die Geschäftsführung am Dienstag mitgeteilt. Die Ingolstädter Agentur für Arbeit will in den nächsten Tagen alle Betroffenen noch einmal im Werk versammeln und informieren. Bei dem Treffen können sie anstehende Formalitäten gleich erledigen.

Die Schließung der Amberger-Werke trifft auch viele Zulieferer, sie reagieren besorgt. "Es ist kein Vorteil für uns, wenn wieder ein Abnehmer wegfällt. Je weniger es sind, desto mehr drücken sie die Preise", befürchtet Landwirt Werner Froschmeier aus Zuchering-Winden bei Ingolstadt. Er liefere nun, wie andere ebenso, an das Kartoffel-Centrum Bayern (KCB) in Rain. "Nach Oberdolling war es kürzer und einfacher, ab einer Entfernung von 30 bis 40 Kilometern rentiert es sich nicht mehr, mit dem Schlepper zu fahren. Für die Transportkosten zum KCB müssen wir selbst aufkommen. " Ludwig Kügel aus Pförring stammt aus einer Ecke des Kreises Eichstätt, wo die Erzeuger bisher überwiegend direkt in die Amberger-Werke geliefert hatten. "Mich selbst betrifft es zum Glück nicht, aber ich befürchte, dass viele kleine Bauern, die keine Lagermöglichkeiten haben, jetzt gleich ganz aufhören. "

Josef Kroll, Kreisobmann des Bauernverbandes, äußerte sich enttäuscht von Aviko und den "leeren Versprechungen", den Standort zu erhalten. Dem Konzern sei wohl nur wichtig gewesen, den Markenname "Feldmühle" zu bekommen. Ignaz Lechermann von der Erzeugergemeinschaft Qualitätskartoffeln Ingolstadt hat zumindest die Zusage vom KCB, "dass sie gewillt sind, künftig die Mengen abnehmen, die wir bisher für Amberger produziert haben"- immerhin rund 30000 Tonnen Kartoffeln. Er habe zudem Nachfragen von anderen Abnehmern erhalten, die Interesse daran hätten.

In der Familie von Martin Amberger als früherem Eigentümer herrscht Bestürzung über die Entwicklung. "Mir blutet das Herz", sagt er. "Aber ich war überzeugt, mit dem Verkauf an Aviko die richtige Wahl getroffen zu haben, allein waren wir einfach zu klein. " Seine Sorge gilt nun der Zukunft der Mitarbeiter. "Es sind aber so gut qualifizierte und hochmotivierte Kräfte, dass sie bestimmt bald eine neue Stelle finden. "

Horst Richter