Vom Hinterhof auf das Oktoberfest

Auf das Wasser kommt es an: Wenn die nächste Wiesn stattfindet, könnte es dort auch Giesinger Bräu geben

03.05.2020 | Stand 23.09.2023, 11:53 Uhr
Patrik Stäbler
  −Foto: Stäbler

München - Der Weg zum Oktoberfest führt Steffen Marx hinaus auf den Parkplatz des Werksgeländes zu einem unscheinbaren Betonhäuschen - kaum zwei Meter breit und nur wenig länger.

 

Durch eine Metalltür geht's in eine schmucklose Kammer, in deren Mitte sich ein autoreifengroßes Loch im Boden befindet, bedeckt von einer Metallplatte, aus der wiederum ein Rohr ragt. Dazu allerlei Kabel, Schläuche und Apparaturen.

Und das soll der Schlüssel zur Wiesn sein? "Das hatte ich mir spektakulärer vorgestellt", schießt es dem Betrachter durch den Kopf. Und kaum ist dieser Gedanke ausgesprochen, macht sich ein Grinsen im Gesicht von Steffen Marx breit. "Genau das", erklärt er dann, "hat bislang jeder gesagt, dem ich das gezeigt habe". Denn das Besondere dieses Orts offenbart sich erst beim Blick unter die Metallplatte. Da geht es 150 Meter in die Tiefe, hinab bis zum Münchner Grundwasser, das hier nach oben gepumpt wird - 1,9 Liter pro Sekunde.

Mit diesem begehrten Gut wird Giesinger Bräu, die Brauerei von Steffen Marx, schon in wenigen Wochen ihr Bier brauen. Am bisherigen Standort verwendet sie dafür Münchner Leitungswasser aus dem Mangfalltal. Doch sobald das neue Werk im Norden der Stadt in Betrieb geht und dort Bier aus Münchner Grundwasser gebraut wird, darf sich Giesinger Bräu offiziell "Münchner Brauerei" nennen - eine geschützte Marke, die bislang bloß die großen Sechs tragen, also Augustiner, Hacker-Pschorr, Hofbräu, Löwenbräu, Paulaner und Spaten. Doch noch wichtiger als dieses Prädikat ist etwas, das damit einhergeht: Als Münchner Brauerei dürfte die 2006 in einem Hinterhof gegründete Firma Ansprüche auf ein Wiesn-Zelt anmelden.

 

"Das ist unser Ziel, da wollen wir hin", sagt Steffen Marx beim Rundgang durchs Werk. Die Füße des Brauerei-Chefs stecken in bunten Ringelsocken und Turnschuhen; zur kurzen Hose trägt der 41-Jährige ein T-Shirt, Steppweste und zumeist ein Lächeln im Gesicht. Allein fürs Image wäre das Oktoberfest unbezahlbar, glaubt Marx, ein Kumpeltyp, der jeden vom Start weg duzt. "Unser Bekanntheitsgrad würde explodieren. "

Wobei der Brauerei-Chef sogleich anmerkt, dass all das noch Zukunftsmusik sei. Nun gehe es darum, erst mal das neue Werk zum Laufen zu bringen. In dieser Woche wird ein Probesud aufgesetzt; im Juni sollen die ersten Flaschen abgefüllt werden. Prinzipiell könne man hier 40000 Hektoliter im Jahr produzieren, sagt Marx - mehr als dreimal so viel wie im jetzigen Brauhaus unweit des Sechziger-Stadions. Im Vergleich zu den großen Sechs wäre Giesinger Bräu damit weiter ein Winzling - Augustiner etwa kommt auf einen Jahresausstoß von 1,5 Millionen Hektolitern. Und doch könnten die Münchner Brauereien den Emporkömmling nicht länger ignorieren - allein schon des Oktoberfests wegen.

Dass es dereinst einen gebürtigen Mecklenburger unter den Wiesn-Wirten geben könnte, der obendrein noch Marx mit Nachnamen heißt - das wäre eine besonders schöne Pointe in der an Anekdoten wahrlich nicht armen Geschichte von Giesinger Bräu. 1999 zog Steffen Marx für ein Studium an der Bundeswehr-Uni nach München. Kurz vor dem Hauptdiplom brach er seine Offizierslaufbahn ab, worauf er noch drei weitere Jahre einen Teil seines Gehalts erhielt. Im ersten Jahr sei er "nur rumgesandelt", sagt Marx. Danach begann er ein Brauwesen-Studium, das er nach zwei Semestern abbrach. Und 2006 gründete er schließlich Giesinger Bräu - in einer Garage, zusammen mit einem Kumpel. Es war der Startschuss zu einer Erfolgsstory.

 

"Unser größtes Glück war der Zeitpunkt", sagt Steffen Marx. "Wir haben begonnen, als viele Leute wieder Wert auf die Herkunft von Lebensmitteln und das Thema Regionalität gelegt haben. " Immer mehr Menschen seien bereit gewesen, ein paar Euro mehr für eine Kiste Bier hinzulegen - wenn das Gebräu aus ihrer Nachbarschaft stammt und die Qualität stimmt. Und genau diese Menschen unterstützten die Brauerei auch auf ihrem Weg vom Hinterhof-Startup zum Mittelständler mit inzwischen 80 Mitarbeitern.

So sammelte Giesinger Bräu, als die Garage zu klein wurde, per Crowdfunding fast 800000 Euro, die in den Bau einer Brauerei samt Bräustüberl flossen. Sie wurde Ende 2014 eröffnet, stieß jedoch bald an ihre Kapazitätsgrenze. Und so zieht es Giesinger Bräu nun also in den Münchner Norden, wo auf 4700 Quadratmetern eine Abfüllanlage samt Sudhaus, Lager und Büros entstanden - unterstützt wiederum durch zwei Crowdfunding-Kampagnen, bei denen mehr als 4,5 Millionen Euro zusammenkamen.

Allein zwei Jahre habe es gedauert, bis man die Genehmigung für den Tiefbrunnen erhalten habe, sagt Steffen Marx. "Von den großen Brauereien ist keiner davon ausgegangen, dass wir diese Genehmigung bekommen. " Inzwischen aber steht das neue Werk kurz vor der Inbetriebnahme, was wegen der Corona-Auflagen wohl bloß im kleinen Kreis gefeiert wird.

Immerhin etwas Gutes habe die aktuelle Situation aber, sagt der Brauerei-Chef. "Ich war die ganze Zeit unter Feuer und wie im Hamsterrad. Erst durch Corona ist mein Kopf freier geworden. " Und so falle ihm jetzt auch auf, wenn er durch die neue Brauerei laufe, "dass das schon ziemlich cool geworden ist", sagt Steffen Marx. "Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir unser Bier noch vor fünf Jahren in der Garage gebraut haben. "

DK

Patrik Stäbler