Lernen im Kinderzimmer wird für viele Eltern zum Problem

Münchner Lehrerin fordert zur Entlastung der Familien ein Ende des derzeit praktizierten Fernunterrichts

01.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:28 Uhr
Patrik Stäbler
Die Schulen sind zu, doch gelernt werden muss trotzdem: Hier macht ein Erstklässer Rechenübungen. −Foto: Stäbler/privat

München - Da ist zum Beispiel die Sechstklässlerin, die jeden Tag eine neue Seite im Mathe-Buch lernen muss - daheim am Schreibtisch, fernab von Schule, Unterricht und Lehrern, die sie unterstützen könnten.

 

Stattdessen sind ihre Eltern gefragt: Sie sollen dem Mädchen beibringen, wie man etwa das Volumen eines Würfels berechnet. Oder die Oberfläche eines Quaders. Und das inmitten einer Ausnahmesituation namens Corona-Krise.

Derlei Geschichten hat Tina Uthoff (kleines Foto) öfters gehört, seit am 16. März alle Schulen schlossen und das Lernen ins Kinderzimmer verlegt wurde. Die Münchnerin ist Lehrerin, hat zwei Kinder und berät Eltern zum Thema kindgerechtes Lernen. "Was ich da momentan höre, ist oft erschreckend", sagt die Frau des Kabarettisten Max Uthoff. "Viele Eltern sind verzweifelt und fühlen sich zerrissen, weil sie zurzeit Angst um ihre Eltern oder ihre Existenz haben - und dann kommen sie auch noch beim Lernen mit den Kindern nicht hinterher. "

Was derzeit an den Schreibtischen der Kinderzimmer ablaufe, das sei "aus verschiedenen Gründen fragwürdig", findet Uthoff. Sie hat daher eine Online-Petition namens "Schluss mit der Fernbeschulung! " gestartet, der sich bislang fast 2000 Unterstützer angeschlossen haben. Ihre Forderung: ein sofortiger Stopp des Heimunterrichts. Statt Vorauslernen soll nur noch Stoff wiederholt werden, der bereits durchgenommen wurde. Und: "Sobald die Schulen wieder öffnen, wird an die Lerninhalte vom 13. März angeknüpft. "

Die Petition richtet sich an die Kultusminister der Länder. Von ihnen fordert Tina Uthoff "eine Ansage von oben, dass die Schulen nicht mit dem Stoff voranschreiten sollen". Vonseiten des bayerischen Kultusministeriums heißt es zum Thema zu Hause lernen: "Dieses Lernangebot leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, den Unterrichtsausfall ein Stück weit aufzufangen, kann den regulären Unterricht jedoch nicht ersetzen. Es dient, je nach Alter der Schülerinnen und Schüler, der Vertiefung und Wiederholung des Gelernten, wo möglich auch der Umsetzung von Arbeitsaufträgen. "

Diese etwas schwammige Aussage wird freilich von den einzelnen Schulen und mitunter sogar von den einzelnen Lehrern unterschiedlich umgesetzt - das moniert auch Martin Löwe, Vorsitzender des Bayerischen Elternverbands. Ihm zufolge gibt es vom Kultusministerium zwar den Hinweis, in der Corona-Auszeit "nicht unbedingt neuen Stoff zu behandeln". Aber: "Einige Schulen überhören das gerne. " Auch deshalb stehe das Telefon in der Geschäftsstelle seines Verbands momentan nicht still, berichtet Löwe. "Uns rufen völlig verzweifelte Eltern an, die mit der Situation überfordert sind. "

Besonders betroffen sind laut Löwe jene Schüler, deren Eltern nicht die Zeit oder den Bildungshintergrund haben, um mit den Kindern zu lernen. Darauf weist auch der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) hin. Er warnt davor, dass die Corona-Krise vor allem Kinder treffe, "die es ohnehin schwerer haben". Denn: "Während gut situierte Eltern etwa durch Home-Office jetzt bessere Möglichkeiten haben, mit ihren Kindern gemeinsam zu lernen, sind Eltern aus weniger privilegierten Gesellschaftsschichten dazu oftmals nicht in der Lage", so der BLLV - sei es, weil die Zeit oder die technische Ausstattung fürs digitale Lernen fehle.

Entsprechend werden viele Eltern in Bayern den Beginn der Osterferien am Montag herbeisehnen. Sie dauern bis zum 17. April; sollte danach wieder Unterricht stattfinden, "dann hätten wir einen Ausfall von drei Wochen", sagt Martin Löwe. "Das ist aufs Schuljahr gerechnet marginal. " Viel wichtiger wäre in diesem Fall, "dass man schaut, dass die Kinder wieder ins seelische Gleichgewicht finden", sagt der Elternverbands-Chef. "Die Lehrer werden erst mal ein bis zwei Wochen damit zu tun haben, alles zu sortieren und alle auf den gleichen Stand zu bringen. "

Ganz andere Herausforderungen ergäben sich, wenn die Schulsperrungen deutlich über den 20. April hinaus andauern würden, sagt Löwe. "Dann wird es spannend. " Tina Uthoff jedenfalls geht nicht davon aus, dass die Schulen nach den Ferien wieder aufsperren. "Nach allem, was ich gehört habe, wird das noch länger dauern", sagt sie. Daher dringt die Münchnerin weiter darauf, "Druck von den Eltern zu nehmen", wie sie es formuliert. "Denn einige Familien drohen daran zu zerbrechen. "

DK

Patrik Stäbler