Amberg
"Rein rechnerisch fehlen uns jetzt 1000 Bürger"

Ambergs Oberbürgermeister erklärt, warum er gegen die Ergebnisse des bayerischen Zensus’ von 2011 klagt

21.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:44 Uhr

Klagt vor dem Regensburger Verwaltungsgericht: der Amberger Oberbürgermeister Michael Cerny (CSU). Durch den Zensus von 2011 gehen seiner Stadt finanzielle Einnahmen verloren - Foto: oh

Amberg (DK) Stellvertretend für viele Städte und Gemeinden hat Amberg eine Musterklage gegen die Ergebnisse des Zensus’ aus dem Jahr 2011 im Freistaat Bayern eingereicht. Zum ersten Mal überhaupt klagen damit Kommunen gegen die Zensus-Ergebnisse des Bayerischen Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung.

Die Städte wehren sich insbesondere gegen die Methode des statistischen Verfahrens. In erster Linie geht es freilich ums Geld. Denn bei den klagewilligen Städten weichen die Zahlen aus den Einwohnermeldeämtern teils erheblich von den Ergebnissen des Zensus ab. Die Stadt Amberg in der Oberpfalz hat allein durch den Zensus’ von heute auf morgen fast 1000 Einwohner verloren. Im Interview erklärt der Amberger Oberbürgermeister Michael Cerny (CSU), warum er optimistisch in die juristische Auseinandersetzung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg geht.

Herr Cerny, wie läuft der Kampf gegen den Zensus? Sind die Reihen der bayerischen Städte noch fest geschlossen?

Michael Cerny: Wir haben die Musterklage vor dem Verwaltungsgericht Regensburg eingereicht. Vor dem Richter stehen wir noch nicht. Wir sind aber in den letzten Vorbereitungen. Die Kommunen in Bayern stehen nach wie vor hinter uns.

 

Amberg bildet die Speerspitze in Bayern: Wie schaut der weitere Schlachtplan aus?

Cerny: Wir sind davon überzeugt, dass wir richtig liegen und der Zensus fehlerhaft ist. Für Amberg hat das erhebliche, negative Auswirkungen im finanziellen Bereich. Stichwort: Schlüsselzuweisungen. Wir wollen die Gegenseite nicht bekämpfen, aber wir wollen unsere berechtigten Interessen wahren. Wir sind absolut davon überzeugt, dass der Fehler beim Zensusverfahren und nicht bei uns liegt.

 

Die Stadt Amberg hat durch den Zensus auf einen Schlag rund 1000 Amberger „verloren“. Hat ihr Meldeamt die „Zensus-Opfer“ mittlerweile wieder gefunden?

Cerny: Wenn der Zensus uns sagen würde, welche Personen es in Amberg konkret nicht mehr geben soll, dann wäre es einfach. Rein rechnerisch fehlen uns jetzt 1000 Bürger. Aber wir gehen davon aus, dass die Menschen nach wie vor da sind. Denn in jedem statistischen Verfahren gibt es Fehlerquellen. Es kamen beim Zensus ja auch zwei statistische Verfahren zum Einsatz. Einmal für Kommunen unterhalb und dann für Kommunen oberhalb von 10 000 Einwohnern. Mit welcher Begründung? Da kann man doch nicht von Gleichbehandlung sprechen! Das ist unser Hauptkritikpunkt. Hinzu kommt die fehlende Begründung. Ohne Begründung können wir die Fehlerwahrscheinlichkeit überhaupt nicht einschätzen. Wir denken, der Fehler liegt im statistischen Verfahren.

 

Wie viel Geld ist Amberg dadurch bislang entgangen? Mussten auch Sie persönlich auf Geld verzichten?

Cerny: Bei allen Einnahmen, die sich an der Einwohnerzahl orientieren, fehlen uns zwischen zwei und zweieinhalb Prozent. Persönlich musste ich als Bürgermeister nicht auf Geld verzichten. Das wäre sicherlich auch kein Beweggrund für die Klage gewesen (lacht). Wir haben jetzt einen Streit mit prinzipiellem Charakter. Jetzt muss ein Dritter entscheiden. Meistens bekommt man recht. Manchmal nur ein Urteil.

 

Haben Sie einmal über einen dritten Weg nachgedacht? Beispielsweise im Zuge einer Neuordnung des Länderfinanzausgleichs auch den kommunalen Finanzausgleich zu reformieren?

Cerny: Natürlich ist die Einwohnerzahl beim kommunalen Finanzausgleich die Stellgröße schlechthin. Aber der Finanzausgleich ist leider schon so kompliziert. Es gibt wenige Menschen, die wissen, wie der genau funktioniert. Deshalb glaube ich nicht, dass man die Zensusproblematik mit dem Finanzausgleich lösen kann. Das würde eine Reform des kommunalen Finanzausgleichs sogar noch erschweren. Deswegen wollen wir beim Zensus eine klare Lösung über den Richter.

 

Haben Sie eine Idee, wie man die juristische Auseinandersetzung politisch lösen könnte?

Cerny: Wir könnten auf die Zahlen der Melderegister vertrauen. Dann gäbe es die Zensus-Zahl für Statistik, und die Meldezahl für die Finanzzuweisungen. Man könnte sagen: Lieber Freistaat, habe doch bitte so viel Vertrauen zu deinen Kommunen. Wir Städte haben schließlich selber kein Interesse an Karteileichen. Vielleicht könnte das auch der Richter vorschlagen. Das könnte ein Lösungsweg sein.

Stichwort Finanzzuweisungen: Ist es nicht ein Dilemma für die Autonomie der Kommunen, dass man so sehr auf die Umverteilungen und Schlüsselzuweisungen aus dem Finanzausgleich angewiesen ist?

Cerny: Es gibt nun einmal das hehre Ziel der gleichen Lebensverhältnisse in Bayern. Natürlich gibt es im Freistaat unterschiedliche Voraussetzungen. Und deswegen ist ein gewisser Ausgleich zwischen Stadt und Land, großen und kleinen Städten, zwischen armen und reichen Kommunen richtig. Insofern ist es kein Dilemma. Denn was wäre die Alternative?

 

Was macht Sie optimistisch, dass Sie Erfolg mit Ihrer Klage haben werden? Und was passiert, wenn Sie verlieren?

Cerny: Optimistisch stimmen uns unsere guten Argumente. Die Klageerwiderung des Landesamtes für Statistik scheint mir nicht so robust. Am Schluss entscheidet freilich der Richter. Wenn wir verlieren, wird die Welt auch nicht untergehen. Dann müssen wir an dieser Stelle eben eine Niederlage einstecken. Die Städte kämpfen an allen Fronten. Der Abzug der Bundeswehr aus Amberg ist in den Folgen deutlich dramatischer. Bei der Konversion wird uns zum Glück die Staatsregierung helfen. Beim Zensus-Streit müssen wir aber kämpfen, um unsere Interessen zu wahren. An diese schwierige Situation haben sich alle Städte in Bayern, bis auf die Landeshauptstadt München, längst schon gewöhnt.

 

Das Interview führte

Nikolas Pelke.