Gute Medizin unmöglich? Ärzteehepaar wandert aus

04.04.2008 | Stand 03.12.2020, 6:01 Uhr

Ein Bild aus Mallorca, der zukünftigen Heimat: Karolin Hundt und Sohn Konstantin.

Karlshuld (SZ) Ärztemangel? Das trifft doch nur immer andere. Im Donaumoos bahnt sich jetzt ein Engpass an: Mitte des Jahres gehen die Allgemeinmediziner Michael Rösel und Ehefrau Karin Hundt nach Mallorca; die Gemeinschaftspraxis wird vermutlich geschlossen.

Kranke in Karlshuld hatten bislang die Wahl zwischen vier Hausärzten. Zum Quartalsende am 30. Juni hören Michael Rösel und Ehefrau Karolin Hundt auf. Dass die Praxis geschlossen bleiben dürfte, bedeutet schmerzliche Einschnitte in der medizinischen Versorgung der Donaumoosgemeinde. SZ-Reporterin Andrea Hammerl fragte den 42-jährigen Arzt nach seinen Beweggründen, seine Berufstätigkeit hier zu beenden und mit Frau (43) und den drei Kindern Sophia (5), Vincent (4) und Konstantin (2) Deutschland den Rücken zu kehren.

 

Die Kardinalfrage lautet "Warum"

Michael Rösel: Ich bin höchst unzufrieden mit der Arbeitssituation, und es ist absehbar, dass sie sich durch die gesundheitspolitischen Pläne noch weiter verschlechtern wird. Beispielsweise durch den Gesundheitsfonds ab 1. Januar 2009, der als Risikostrukturausgleich zwischen den Ländern viel Geld aus dem Bayerischen Gesundheitswesen abziehen wird. Zwar ist der Termin derzeit wieder in der Diskussion, aber mit dieser unsicheren Situation wollen wir mit drei kleinen Kindern nicht leben. Unsere Tochter Sophia (5) wird heuer eingeschult, das war einer der ausschlaggebenden Gründe dafür, jetzt eine Entscheidung zu treffen. Von den Hinhalteparolen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) habe ich die Nase voll und den Politikern nehme ich nicht mehr ab, dass es wieder besser wird. Das erzählen alle doch schon seit vielen Jahren, und das Gegenteil ist stets eingetreten. Es wird immer schwieriger, vernünftige Medizin zu machen, ohne Angst haben zu müssen, selber dafür zu zahlen – vom eigenen, versteuerten Einkommen. Wie die Kassen arbeiten, kann jeder Kollege bestätigen. Dem Patienten gegenüber wird gesagt "wir zahlen" und dann holt sich die Kasse noch Jahre später per Regressforderung vom Arzt das Geld zurück.

 

Es geht also um ihr Einkommen als Arzt

Rösel: Es geht in erster Linie um den Patienten, um eine angemessene Behandlung, weniger Bürokratie und nur am Rande um das Geld. Leider wird die Sache in den Medien meist auf die finanziellen Aspekte reduziert, aber die sind nicht vordergründig. Ein Beispiel: Ich hatte eine Patientin mit Ischiaslähmung durch Bestrahlung, der Facharzt empfahl eine Medikamententherapie, und nach zwei Jahren forderte die Kasse plötzlich von mir Geld zurück – mit der Begründung, das verordnete Medikament stehe nicht auf der Liste. Ich habe argumentiert, dass die Frau gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen ist. Der Neurologe hatte gemeint, der Zustand könne sich durch das Neuroleptikum möglicherweise bessern, deshalb habe ich es versucht. Die Kasse aber interessieren die Probleme der Patienten nicht, genauso wenig wie die des Arztes. Der Arzt wird dafür bestraft, dass er helfen will.

Oder es wird einerseits eine vernünftige Schmerztherapie gefordert, und plötzlich fällt irgendwem auf, dass Höchstmengen überschritten und das "A" für die Ausnahmeverordnung nicht angekreuzt wurde. Und dann ziehen sich die Kassen auf die Gesetzeslage zurück und verweigern die Rückerstattung, ohne Rücksicht auf den Patienten, der das Morphium dringend brauchte. Eine unverschämte Frechheit! Ein solches Rezept beläuft sich schnell mal auf 500 Euro – da braucht es niemanden zu wundern, dass die Ärzte immer mehr Hemmungen bekommen, eine gute Schmerztherapie zu betreiben. In diesem speziellen Fall haben zwar Apotheker und Ärzte gemeinsam nach langem Streit durchgesetzt, dass die Patienten auch größere Mengen an Morphin bekommen. Aber ist es nicht traurig, dass darüber überhaupt gestritten werden muss

 

Das klingt ziemlich nach Kämpfen wie sie Don Quichotte gegen Windmühlen führte

Rösel: So ähnlich. Ständig gibt es etwas Neues, mit dem man sich auseinander setzen muss. Und kurze Zeit später ist es wieder vom Tisch. Das Einzige, was Kassen und Politiker interessiert, ist, wie die medizinische Versorgung billiger wird – nur die Vorstandsgehälter, die müssen nicht billiger werden. Von der KV fühle ich mich nicht mehr vertreten, und ich fürchte, dass Wolfgang Hoppenthallers (Vorsitzender des bayerischen Hausärzteverbandes, Anm. d. Red.) Ausstieg aus dem System schief gehen wird. Es fehlt einfach die nötige Solidarität innerhalb der Ärzteverbände. Was mich sehr schockiert hat, ist der Zustand unserer Demokratie. Von Ministerpräsident Beckstein wurde schamlos und antidemokratisch mit Hilfe des Justizministeriums Druck auf den Rechtsanwalt des bayerischen Hausärzteverbands ausgeübt, der die Rückgabe der Kassenzulassungen der bayerischen Hausärzte organisierte. Dem Anwalt wurde schriftlich mit Berufsverbot gedroht, was einer Existenzvernichtung seines Berufs und seiner Familie gleichkam, und Wolfgang Hoppenthaller musste kurzfristig einen Kölner Anwalt mit dieser Aufgabe beauftragen.

Reaktion der bayerischen Bevölkerung und der bayerischen Demokraten auf diesen Frontalangriff auf unsere Verfassung: NULL, denn das ging leider nicht durch die Medien. Und dann droht natürlich noch die E-Card, die Investitionen von mehreren Tausend Euro pro Praxis erfordert. Was schlimmer ist: Patientendaten von 80 Millionen Deutschen werden im Internet herumschwirren. Dass das sicher ist, glaubt kein Mensch, der sich ein bisschen mit dem Internet auskennt. Ein gefundenes Fressen für große Konzerne und Aktiengesellschaften wie die Rhön-Kliniken und andere global players, die Riesengewinne machen. Finanziert wird dies Alles durch die Beiträge der Versicherungsnehmer und fehlt am Ende bei der ärztlichen Bezahlung. Nein, das macht keinen Spaß mehr.

 

Wie geht es bei Ihnen nun konkret weiter

Rösel: Wir fliegen im April nach Mallorca und werden dort Gespräche mit Ärzten führen und nach einem geeigneten Haus suchen. Wir wollen eine Privatpraxis aufmachen und zunächst vorwiegend Touristen behandeln. Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch kann ich, und Spanisch lerne ich gerade mit dem Ziel, später die spanische Kassenzulassung zu beantragen und auch die Einheimischen medizinisch mit zu versorgen. Aber das ist momentan nur ein persönliches Hobby.

 

Was wird aus ihrem Angestellten

Rösel: Das war für mich mit das Schlimmste, meinen Mitarbeiterinnen kündigen zu müssen. Dann aber haben beide schneller neue Stellen gefunden, als mir eigentlich lieb war. Renate arbeitet nur noch halbtags bei mir, und Elisabeth ist schon ganz weg, was mir einen Stein vom Herzen fallen lässt.

 

Und was sagen Ihre Patienten dazu

Rösel: Die meisten äußern Verständnis, manche sind traurig und finden es schade, dass wir gehen. Andere sagen, das sei kein Problem, es gebe noch genügend Ärzte hier. Besonders getroffen hat es einige Frauen, die in Neuburg Patientinnen des in die Schweiz gegangenen Frauenarztes Dr. Gebhardt waren und jetzt innerhalb kurzer Zeit zwei Ärzte verloren haben. Meine Helferinnen haben aber auch andere Reaktionen erlebt. Manche sprachen von "Frechheit", andere fragten empört: "Denkt der gar nicht an uns" Oder gar "Spinnt der". Vorgeworfen wird mir auch, ich hätte nicht nach einem Nachfolger gesucht, was absolut nicht stimmt. Wir hatten anfangs überlegt, einen Assistenten oder Teilhaber in die Praxis zu nehmen, um meine Frau zu entlasten, aber es gab keine ernst zu nehmenden Bewerber. Die Nachfrage nach Allgemeinpraxen, noch dazu auf dem Land, wo es kaum Privatpatienten zur Kompensation gibt, tendiert gegen Null. Also werden wir das Inventar verkaufen, den Rest auf den Müll werfen und einen Nachmieter für die Räume suchen.