Junge Mutter auf Herbergsuche

Es ist rührend, zu sehen, wie junge Frauen im Mutter-Kind-Haus Alte Mühle in Waidhofen lernen, sich um ihre Babys zu kümmern. Noch anrührender allerdings ist die Geschichte von Alexandra, die an einer schweren Krankheit leidet und deshalb nicht in der Mühle wohnen kann. Über einen Umweg nach Italien kommt sie bald nach Deutschland zurück - und ist nun sozusagen auf Herbergssuche. <Autor>Von Bernd Hofmann<?ZE></Autor>

28.12.2018 | Stand 23.09.2023, 5:30 Uhr
Die Weihnachtszeit verbringen Alexandra (vorne) und ihr eineinhalbjähriger Sohn Ben noch in Italien. Sie wohnen bei Brigitte Stoppel (MItte), und auch Daniela Huber (r.) von Ape schaut ab und zu in dem 400 Jahre alten Bauernhaus vorbei. −Foto: Ape

Es ist rührend, zu sehen, wie junge Frauen im Mutter-Kind-Haus Alte Mühle in Waidhofen lernen, sich um ihre Babys zu kümmern. Noch anrührender allerdings ist die Geschichte von Alexandra, die an einer schweren Krankheit leidet und deshalb nicht in der Mühle wohnen kann. Über einen Umweg nach Italien kommt sie bald nach Deutschland zurück - und ist nun sozusagen auf Herbergssuche.

Alexandra kümmert sich um ihren eineinhalb Jahre alten Sohn Ben mit einer Hingabe, Liebe und Geduld, die vorbildhaft ist. Besonders wenn man bedenkt, dass die 28-Jährige Multiple Sklerose (MS) hat und in ihrem Leben selbst nie diese Hingabe, Liebe und Geduld erfahren durfte. Deswegen war es auch für Daniela Huber von der gemeinnützigen Einrichtung Ape so wichtig, eine Lösung für Alexandra und ihren Sohn zu finden. Doch nun ist das weitere gemeinsame Glück von Mutter und Kind davon abhängig, ob in der Region eine passende Wohnung zur Verfügung steht.

Alexandra ist eine der jungen Frauen, die aufgrund der eigenen vorbelasteten Biografie nur mit viel Hilfe von außen ihr Kind großziehen können. Genau um solche Mütter kümmert sich Ape in der Alten Mühle in Waidhofen. Das Gebäude ist allerdings nicht barrierefrei - und Alexandra wegen ihrer Krankheit auf den Rollator, manchmal auch auf den Rollstuhl angewiesen. Die Anfrage, ob Alexandra in der Alten Mühle eine Bleibe finden könne, musste Ape zunächst ablehnen - die Hindernisse schienen einfach zu groß. Diese Entscheidung, so begründet sie auch war, habe sie und das Team in der Mühle nicht losgelassen, sagt Daniela Huber heute. Denn Alexandra und ihre Geschichte hat sie auf Anhieb angerührt: "Sie ist eine so liebe Natur", betont Daniela Huber: "Wir alle hatten Verständnis für ihre Sehnsucht nach einem Platz, wo sie gemeinsam mit ihrem Kind zusammen wachsen kann." Eine Umgebung, in der diese junge Frau, die es in ihrem Leben nie einfach hatte, ihr Kind zur Welt bringen und so weit wie möglich selbst umsorgen kann.

Alexandras Mutter hatte psychische Probleme und der Vater war mit der Situation überfordert. Beide Eltern leben heute nicht mehr. Als sie acht Jahre alt war, kam Alexandra in ein Kinderheim und wird seither betreut. Schließlich landete sie als junge Erwachsene in einer vollstationären Einrichtung für psychisch kranke Menschen. "Ihr eigentliches Potenzial und ihre große Sehnsucht nach einem eigenständigem Leben hatten in diesen Jahren eher wenig Platz", sagt Huber. Umso erstaunlicher, dass sich Alexandra zu einer offenen, kooperativen Persönlichkeit entwickelte. In der Einrichtung lernte sie ihren Freund David kennen, auch er hat einen "Rucksack voller Probleme", erzählt Alexandra selbst. Von ihm wurde sie schließlich schwanger - die beiden sind immer noch ein Paar, wenn sie auch nur selten zusammen sein können.

Ihr Sohn Ben ist heute eineinhalb Jahre alt. "Ein netter, süßer Bub, der immer lacht", beschreibt Alexandra ihren Sonnenschein. Er sei ihr Lebensmittelpunkt. Die 28-Jährige weiß aber auch genau, dass sie auf Hilfe angewiesen ist, es immer sein wird. Und sie ist dankbar dafür, dass sie letztlich doch noch von Ape aufgenommen wurde - denn sie weiß, dass das ihre einzige Chance war, ihr Kind zu behalten. "Ich bin in Heimen aufgewachsen", sagt sie, "das möchte ich für Ben nicht haben."
Dafür, dass Alexandra und Ben zusammen sein können, hat Ape einige Hebel in Bewegung gesetzt, "die Möglichkeiten und Grenzen der Sozialgesetzgebung in diesem Fall haben uns von Beginn an sehr gefordert", sagt Daniela Huber. Viele Gespräche mit dem Jugendamt und dem Bezirk, aber vor allem auch das Engagement einzelner Menschen im Helferkreis führten dazu, dass hier doch noch eine bedarfsgerechte Hilfe gestrickt werden konnte. So kam Alexandra mit Ben Anfang 2018 nach Italien. Auch hier bietet Ape Betreuungslösungen an - Lösungen, die es so in Deutschland nicht unbedingt gibt.
Alexandra und Ben leben derzeit bei Brigitte Stoppel, quasi in Untermiete. Die Pädagogin ist schon lange in Italien, wohnt zusammen mit ihrem Lebensgefährten in einem 400 Jahre alten Bauernhaus in der östlichen Toskana. "Alexandra hat grundsätzlich ihr eigenes Reich", erzählt Stoppel, "aber sie muss nur über den Gang, dann ist sie bei uns." Stationäre Hilfe mit Familienanschluss - so versteht Ape dieses Hilfekonzept. Für Alexandra sei wichtig, dass sie sich einerseits um ihren Sohn kümmern kann, sagt Daniela Huber, aber auch jederzeit Hilfe zur Verfügung stehe. Denn für fast alles, was eine andere junge Mutter im Handumdrehen macht, braucht Alexandra wegen ihrer Krankheit sehr viel länger. Wenn wieder einer der MS-Schübe kommt, ist sie zeitweise in ihrer Mobilität sehr eingeschränkt. "Die Sicherheit für Ben hat dann oberste Priorität", sagt Huber.
Auch die 28-Jährige selbst braucht Fürsorge. Sie kümmert sich fast schon zu sehr um ihren Sohn, sei eben ständig auf ihn konzentriert. "Nähe ist das Beste, was man einem Kind in dieser ersten Zeit geben kann", meint Daniela Huber zwar. Aber Alexandra brauche wegen ihrer Krankheit und auch aufgrund ihrer vorbelasteten Biografie auch Zeit für sich selbst, Zeit, in der sie psychisch wie auch körperlich für sich selber Kraft tanken kann. In Italien geht das, weil ihr dann eben Brigitte Stoppel den kleinen Ben abnimmt und sich um ihn kümmert. Manchmal, erzählt die Pädagogin, kommen auch ihre eigenen Söhne, bereits erwachsen und mit eigenen Familien, ins Bauernhaus. "Dann sind wir eine richtige Patchwork-Großfamilie", sagt Stoppel und man merkt, wie schwer es ihr fällt, Alexandra eines Tages wieder gehen zu lassen.
Dieser Tag rückt näher. Denn so gut es ihr in Italien auch gefällt und so sehr sich das Klima günstig auf ihren Krankheitsverlauf auswirkt - sowohl Alexandra als auch das Ape-Team spüren: Es soll bald zurück in die Heimat gehen. "Da fühle ich mich einfach wohler", sagt Alexandra, auch, weil sie nicht italienisch spreche. Das mache schon einen Unterschied, wenn man an MS leidet und in der Öffentlichkeit unterwegs ist: "In Deutschland kann ich leichter um Hilfe bitten, wenn ich Probleme habe."

In Deutschland gibt es für Alexandra auch schlichtweg bessere Möglichkeiten, ihre Krankheit in Schach zu halten - wie zum Beispiel Fitnessprogramme, die durch die Krankenkasse gefördert werden. Und für Ben sieht Daniela Huber in Deutschland bessere Frühfördermöglichkeiten. Darum mache man sich schon seit einer ganzen Weile Gedanken, welches "Netz" es für die beiden braucht, damit es im Anschluss an Italien auch in Deutschland gut weitergehen kann. Obwohl die Betreuer von Ape sich um Alexandra und Ben intensiv kümmern würden und man auch bereits mit dem Jugendamt - dem Kostenträger dieser Maßnahme - alles gut abgestimmt habe, bräuchten die beiden eine Wohnung mit Familienanschluss. Im besten Fall mit einem Vermieter, der im Notfall auch nachts schnell da ist. Vielleicht eine pensionierte Rentnerin oder Krankenschwester, die eine Einliegerwohnung frei hätte. "Ich glaube ganz fest, dass es auch in Deutschland diese Menschen und Möglichkeiten gibt", betont Daniela Huber. Und wenn nicht in der Weihnachtszeit, wann dann sollten Herz und Tür offener für jemanden wie Alexandra sein?
Die junge Mutter weiß, dass ihre Kräfte möglicherweise irgendwann nicht mehr ausreichen könnten, um einem Kind alles geben zu können, was es braucht. Trotzdem ist es Alexandras größter Wunsch, mit ihrem Sohn in einer eigenen Wohnung leben zu können. Ben könnte in Deutschland in eine Kindertageseinrichtung gehen, Alexandra hätte dann Zeit, um sich körperlich so weit es geht fit zu halten. Sie will sich aber auch nützlich machen, eine Beschäftigung haben. "Am liebsten in der Altenpflege", sagt sie. Sie würde sich gerne mit den oft einsamen alten Menschen beschäftigen, mit ihnen spielen oder einfach nur reden und zuhören. Sie weiß ja, wie wichtig das ist: Jemanden zu haben, der für einen da ist.

Bernd Hofmann