Schrobenhausen
Kommt die Kandidatenmigration jetzt in Mode?

Für eine Wahlbewerbung am Zweitwohnsitz sind in Bayern die Hürden sehr niedrig

14.11.2019 | Stand 02.12.2020, 12:37 Uhr

Schrobenhausen (SZ) Martin Fischer von der ÖDP ist extra nach Schrobenhausen gezogen, um hier für den Stadtrat zu kandidieren.

Der langjährige Waidhofener Gemeinderat Erich Dier hat sein Mandat in seiner Heimatgemeinde niedergelegt, als er nach Schrobenhausen zog. Wäre alles gar nicht nötig gewesen. Eine Novelle im Wahlgesetz aus dem Jahr 2014 macht es möglich, dass man nicht mehr als einen Zweitwohnsitz braucht, um überall kandidieren zu können.

Katrin Karl aus Peutenhausen macht das bereits jetzt so. Sie ist Gemeinderätin in Aresing, weil sie dort über einen Zweitwohnsitz verfügt. Die aktuelle Gesetzgebung lässt das zu. Wie das Bayerische Innenministerium auf Anfrage bestätigt, ist man 2014 dazu übergegangen, nicht mehr zu überprüfen, ob ein Kandidat wirklich seinen Lebensmittelpunkt dort hat, wo er oder sie in die Kommunalpolitik will, sondern stattdessen den Wohnungsgeber in die Pflicht zu nehmen. Der Eigentümer der Wohnung, die als Zweitwohnsitz für Kandidaten gemeldet wird, haftet mit seiner Unterschrift dafür, dass der Kandidat sich "angemessen oft an seinem Zweitwohnsitz aufhält". Bei Scheinanmeldungen könnte ein Wohnungsgeber mit bis zu 50000 Euro Bußgeld bestraft werden.

Allerdings ist das wohl nur graue Theorie. Denn es gibt keine genaue Definition für den Begriff "angemessen oft", und es ist auch nicht vorgesehen, dass eine angemessene Nutzung der Zweitwohnung kontrolliert würde. Auch die Frage, wann ein Zweitwohnsitz eine Wohnung ist, wurde vom Gesetzgeber nur sehr vage formuliert: Gemäß Bundesmeldegesetz ist eine Wohnung "jeder umschlossene Raum, der zum Wohnen oder Schlafen benutzt wird". Und einen Kriterienkatalog, wann denn Wohnungsgeber wie bestraft werden, gibt es, wie mehrere Nachfragen unserer Zeitung ergaben, auch nicht.

Insofern scheint es so zu sein, dass bei dieser Kommunalwahl jeder, der über einen gemeldeten Zweitwohnsitz verfügt, überall kandidieren kann: ein Dachauer darf völlig legal in München Stadtrat werden und umgekehrt, eine Gachenbacherin kann in Aresing Gemeinderätin sein, oder eben auch ein Aresinger in Schrobenhausen Stadtrat werden - solange es den amtlichen Eintrag eines Nebenwohnsitzes gibt.

Nach Informationen unserer Zeitung ist nach Schulung von Gemeinde- und Landratsamtmitarbeitern im Vorfeld der Wahl in Bayern "nicht vorgesehen, dass Meldebehörden Einwohner mit Zweitwohnsitz unter Generalverdacht stellen und deshalb regelmäßig Betten und/oder Briefkästen kontrollieren. " Heißt: In der Praxis wird das ganz locker gehandhabt.

Die Regel existiert, und entsprechend wird sie nun auch genutzt. Ob das so im Sinne des Gesetzgebers war, hat die Wahl- und die Meldeämter nicht zu interessieren, das wäre eine politische Betrachtung: Soll fortan kommunale Selbstverwaltung so funktionieren, dass künftig Pfaffenhofener in Aichach oder Neuburger in Ingolstadt mitreden?

Die Antwort des Bayerischen Innenministeriums auf eine entsprechende Anfrage unserer Zeitung stellt das zumindest infrage: "Die Wohnsitzanmeldung setzt den tatsächlichen Bezug einer Wohnung voraus. Die Wohnsitzanmeldung setzt zudem voraus, dass die Absicht besteht, die Wohnung für einen nicht unerheblichen Zeitraum zu benutzen", heißt es da. Und: Ein Besuch in einer Wohnung sei kein Beziehen der Wohnung. Dann werden auch schon die möglichen Strafen bei Zuwiderhandlung aufgezählt: "Um Scheinanmeldungen entgegenzuwirken, verlangt das Bundesmeldegesetz (BMG) die Mitwirkung des Wohnungsgebers. Außerdem verbietet es das BMG, eine Wohnungsanschrift für eine Anmeldung einem Dritten anzubieten oder zur Verfügung zu stellen, obwohl ein tatsächlicher Bezug der Wohnung weder stattfindet noch beabsichtigt ist. Dieses Verbot ist bußgeldbewehrt. Im Übrigen stellen vorsätzliche falsche Angaben zum Innehaben einer Wohnung mit dem Ziel, sich als Bewerber aufstellen zu lassen, eine Straftat dar. "
 

KOMMENTAR

Ganz klar: Wer die geltende Rechtslage ausnutzt, tut nichts Unrechtes. Kreuz und quer zu kandidieren, ist durch die Neuregelung ganz offensichtlich möglich. Dass man neuerdings mit dem einfachen Instrument der Zweitwohnsitzanmeldung im Mittelzentrum Bürger aus den Umlandgemeinden zusammenziehen könnte, ist jedenfalls ungewohnt. Um gemeindeübergreifend bei Entscheidungen mitzureden, gibt es doch zum Beispiel den Kreistag.

Und dass sich Menschen aus den Umlandgemeinden ehrenamtlich in einem Mittelzentrum zum Beispiel in Vereinen engagieren, hat es jedenfalls immer schon gegeben. Für ein kommunales Parlament zu kandidieren, ist aber schon noch mal ein anderes Kaliber. Insofern ist das Gesetz in seiner jetzigen Form schon reichlich merkwürdig.