Dem Menschen in die Seele schauen

11.06.2021 | Stand 23.09.2023, 19:08 Uhr
Bilder, die Sepp Schwarz von seinen Reisen mitgebracht hat: Links eine Schwarzweiß-Aufnahme aus Kairo, rechts ein Porträt, das in Lesotho entstand. −Foto: Sepp Schwarz

Als Reisefotograf setzt er vor allem ausdrucksstarke Menschen in Szene. Mitunter deshalb hat er sich weit über die Grenzen des Schrobenhausener Landes einen Namen gemacht. Bei Fotowettbewerben wurden ihm in den vergangenen 40 Jahren zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen verliehen, vor Kurzem erst zum Motivthema Natur. Schon lange ist er unter den zehn besten deutschen Fotografen gelistet. Deutschlands bester Digitalfotograf, auch zweimal deutscher Vizemeister in der Einzelwertung war er bereits. Das alles ist Josef Schwarz. Wir haben den Kunstpreisträger der Stadt Schrobenhausen getroffen.

Seine Fotos und seine Motive sprechen für sich. Die Entstehungsgeschichten dazu auch. Sie spielen in Island, in der Ukraine, in Myanmar, Indien, Australien, Neuseeland oder Südafrika. Zu jeder seiner für diesen Tag ausgewählten Bildaufnahmen hat der 73-Jährige eine Anekdote zu erzählen. Man hört ihm gerne zu, während man in seinem persönlichen, im hochwertig schwarzen Papier gehaltenen Fotobuch blättern darf. Josef Schwarz weiß, Geschichten zu erzählen. Spannend, prägnant, amüsant macht er das. Er erzählt sie so, dass in Kombination mit den Fotos ein Film im Kopf abzulaufen beginnt.

Der Schrobenhausener fotografiert seit 45 Jahren, davon 40 Jahre intensiv. Und nicht nur irgendwie und viel, sondern sehr erfolgreich. Zahlreiche Preise sprechen eine eindeutige Sprache: Zweimal deutscher Vizemeister, zweimal bayerischer Meister, mehrfache vordere Plätze bei nationalen und internationalen Wettbewerben. Menschen, aber auch Architektur und Landschaften lichtet er ab. Vor allem Menschen sind es aber, die es ihm in der Fotografie angetan haben. Auf der ganzen Welt sucht und findet er seine Lieblingsmotive. Da wäre zum Beispiel das Bild einer alten Frau in einem ukrainischen Dorf, die auf ihrem Bett im Wohn- und Schlafraum sitzt. Oder das zweier Mönche in einem Kloster in Neu-Delhi und das eines Jungen in der außergewöhnlichen Lichtstimmung im morgendlichen Smog von Kairo. Auch ein Reisbauer am Nil, zwei ukrainische Dorfbewohner beim Gespräch in einem Stall oder das zufrieden wirkende Ehepaar auf der Straße vor ihrem Haus in der ländlichen Zentralukraine gehören dazu. Und, und, und.

Unvorhergesehene Szenen auf der Straße mag Josef Schwarz besonders. Aber nicht unbedingt in den Metropolen dieser Welt. Zwar auch, doch der leidenschaftliche Reise- und Wettbewerbsfotograf fährt viel lieber in entlegene Gegenden, weitab vom stressigen Alltag der Großstadt. Die normalen Leute interessieren ihn. Dabei herumreisen und nebenbei ein paar Fotos knipsen? Nein, darauf ist Josef Schwarz nicht aus. Der Fotokünstler aus Schrobenhausen möchte Land und vor allem Leute kennenlernen. Einfach auf "die Menschen draufhalten und sie mit der Kamera abschießen", das macht er nur ganz, ganz selten. Denn wenn Josef Schwarz auf seinen Erlebnisreisen gemeinsam mit seiner Frau Brigitte unterwegs ist, dann hat er zwar seine Kamera griffbereit, aber Erlaubnis holt er sich "im Dialog mit den Menschen" vor dem Auslösen sehr wohl ein. Mit dabei ist, wenn erforderlich, auch ein Dolmetscher und Reiseführer in einer Person, um auf dem Land einfacher mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Dort ist das Ehepaar Schwarz teils in Pensionen, teils direkt bei den Einheimischen zuhause untergebracht. Und übernachtet auch mal unkompliziert im Schlafsack auf dem Boden. Mit den Gastgebern sich zu unterhalten, zum Beispiel gemeinsam Tee zu trinken oder etwas zu essen, Vertrauen aufzubauen, mehr aus ihrem Leben zu erfahren und damit "dem Menschen ein Stück weit in die Seele schauen zu können", das alles ist wesentlicher Bestandteil und persönlicher Anreiz des Reisens. Und natürlich auch, wenn es die Situation hergibt und das Gegenüber es akzeptiert, Fotoaufnahmen zu machen.

"Da musst du natürlich vorher auch beobachten können und darauf gefasst sein, was demnächst passieren könnte", sagt er. Die Würde der Menschen ist ihm dabei besonders wichtig. Wie ein klassisches Fotoshooting, erfährt man an diesem Tag, darf man sich das alles nicht vorstellen. Oftmals sind es kurze, spontane Situationen, die es zu entdecken gilt, Voraussetzung für das besondere Bild. Nur ein paar Mal drückt er dann auf den Auslöser seiner Kamera, nicht mehr. Großartig hindrapieren, das mag er nicht. Großartig Anweisungen geben schon zweimal nicht. Seine Aufnahmen sollen authentisch sein.

Was alle seine Menschenbilder gemein haben: Der Schrobenhausener Kunstpreisträger aus dem Jahr 1993 möchte "Menschen mit einem gewissen Ausdruck" ablichten. Das ist ihm wichtig. Insbesondere ältere Menschen, meint er, seien dazu am besten geeignet. Denn deren Gesichter würden oft ihre ganze Lebensgeschichte erzählen und Spuren des Lebens aufweisen. Erfahrung, Zufriedenheit, Freude. Aber auch Traurigkeit, sogar Perspektivlosigkeit und Armut, was Josef Schwarz gerade nach der Rückkehr zuhause beim Betrachten der Fotos nicht ganz kalt lässt.

Sein in der deutschen Fotoszene bekanntestes Bild ist das des Fischverkäufers in Palermo aus dem Jahr 2010. Einige nationale Auszeichnungen hat Josef Schwarz dafür schon erhalten. Wie es zustande gekommen ist? Der Schrobenhausener schlenderte durch eine Seitengasse der sizilianischen Hauptstadt und sah sein späteres Fotomotiv vor dessen Laden stehen. Kurz gestoppt, die Kamera in die Hand genommen, dem Händler ein kleines Zeichen gegeben, das Kopfnicken des Gegenübers zurückbekommen, zweimal auf den Auslöser gedrückt, bevor sich der Italiener umdrehte und sich wieder seiner Arbeit widmete.

Die Aufnahmen von Josef Schwarz sprechen für sich. Es sind gewaltige Aufnahmen. Beim Betrachter lösen sie Begeisterung aus. Sie faszinieren, sie haben unglaubliche Schärfe. Und können auch zum Nachdenken anregen. Sofort ist erkennbar, dass die Menschen nichts dagegen gehabt haben, abgelichtet zu werden. Dieser Umstand funktioniert für ihn aber nur dann, wenn man vorher mit ihnen kommuniziert und sie und ihre Lebensumstände besser kennenlernt. Und sie nicht nur schnell abfotografiert. Denn für Josef Schwarz ist "Vertrauen der Schlüssel zu außergewöhnlichen Menschenbildern".

SZ

Thomas Floerecke