Schrobenhausen
Meads: Deutliches Signal des Bundestags

Das große Zittern währt nun schon einige Jahre: Bekommt die MBDA Deutschland in Schrobenhausen den Auftrag für die Produktion eines neuen Abwehrsystems?

19.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:12 Uhr
TLVS, oder auch Meads, ist ein mobiles Luftverteidigungssystem, mit dem die Bundesregierung in den nächsten Jahren Patriot ablösen möchte. −Foto: MBDA Deutschland

Schrobenhausen (DK) Es geht um etliche Milliarden Euro. Seit 2005 läuft die Entwicklung des Nachfolgesystems von Patriot mittlerweile, das gemeinhin als Meads bezeichnet wird, offiziell aber nur als TLVS - taktisches Luftverteidigungssystem - geführt wird. Das Programm wurde gemeinsam mit den USA und Italien gestartet; 2011 erklärten die USA allerdings ihren Ausstieg - und damit begann die Zitterpartie, bis sich 2015 Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf Meads aus Schrobenhausen festlegte.

Aber unter Bedingungen. Inzwischen wurde ein Joint Venture mit dem US-Partner Lockheed Martin geschlossen.

Vor wenigen Tagen nun passierte etwas, das TLVS weit nach vorne brachte: Der Haushaltsausschuss des Bundestags hat erstmals Mittel für das Projekt bereitgestellt, eine Haushaltsstelle geschaffen und damit die Grundlage, um den nächsten Schritt zu gehen.

Gegenüber unserer Zeitung ordneten MBDA-Deutschland-Geschäftsführer Thomas Gottschild und der Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl (CSU) diesen Schritt ein.
 DAS SAGT REINHARD BRANDLGab es viel Gegenwind im Bundestag oder gab es eine große Mehrheit für die Idee, vorsorglich Gelder für TLVS einzustellen? 
 
Brandl: Im Bundestag bestand in den Haushaltsverhandlungen ein großer Konsens, in diesen Bereich zu investieren. Deutschland ist zwar von Freunden umgeben, aber durch die unkontrollierte Verbreitung der Raketentechnologien wird die Gefahr immer größer, dass ein irrer Diktator von irgendwo aus der Welt uns angreifen kann. Um uns dagegen zu schützen, brauchen wir ein leistungsfähiges Luftverteidigungssystem.
 
Darf man die Entscheidung also als Signal dafür werten, dass das Projekt wirklich gewollt ist, sofern man sich wirtschaftlich einig wird?  
Brandl: Ja. Das Projekt ist politisch gewollt und mit der Aufnahme in den Haushalt wollten wir genau dieses Signal setzen.
 
Hat die Bundesregierung eine Schmerzgrenze für das TLVS? Bisher ist immer die Rede davon, dass rund vier Milliarden Euro nötig sind, um das System fertigzuentwickeln? 
Brandl: Das ist eine realistische Größenordnung. Die Summe bereitzustellen, wird für uns im Bundestag noch ein echter Kraftakt werden, denn es gibt noch andere Projekte, wie zum Beispiel die Beschaffung eines neuen Transporthubschraubers, in ähnlicher Größenordnung. Für diese beiden Projekte haben wir letzte Woche im Haushalt 5,6 Milliarden eingestellt. Das wird noch nicht reichen, aber wir geben der Bundesregierung neben dem politische Signal damit auch die rechtliche Grundlage, weiter zu verhandeln.       
 
Wann kann man denn damit rechnen, dass bekannt ist, wie teuer so ein System ist?  
Brandl: Im Februar 2019 soll das sogenannte "beste und letzte Angebot" von MBDA vorliegen. Dann werden wir Klarheit über die Kosten für die Entwicklung haben. Die Kosten für die dann folgende Beschaffung richten sich nach Stückzahlen und da hoffe ich auf die Beteiligung von Partnerländern.  
 
Insgesamt werden dann mindestens acht Milliarden Euro in die Entwicklung geflossen sein - können sich Bündnispartner wie Polen, Tschechien und andere ein so teures Waffensystem überhaupt leisten? TLVS ist ja nicht nur für Deutschland gedacht.  
Brandl: Die Kosten für die Entwicklung fallen nur einmal an. Für den Einsatz im Bündnis wird es auch nicht notwendig sein, dass alle Länder alle Komponenten von TLVS beschaffen. Womöglich werden einige Länder nur die Radareinheiten erwerben, andere dafür nur die Launcher zum Starten der Flugkörper. Diese Flexibilität ist eine Stärke des Konzepts.  

Inzwischen wurde ja ein Joint Venture für das Projekt mit Lockheed gegründet. Wie viel Geld - und dann auch Gewerbesteuer - wird da am Ende in Schrobenhausen ankommen? Kann man das jetzt schon sagen?  
Brandl: Das sind ungelegte Eier. Sollte es zum Vertragsschluss kommen, bedeutet es erst einmal für den Bund, dass er die Zukunft unserer Luftverteidigung in die Hände von MBDA in Schrobenhausen legt. Für das Unternehmen und den Standort ist das ein großer Vertrauensbeweis und eine noch viel größere Verantwortung. Um dem gerecht zu werden, wird MBDA viele hoch qualifizierte Mitarbeiter brauchen, die über die nächsten Jahrzehnte diese Systeme entwickeln und herstellen.
 DAS SAGT THOMAS GOTTSCHILDHerr Gottschild, der Haushaltsausschuss des Bundestags hat nun eine Haushaltsstelle für TLVS für 2019 geschaffen. Noch nicht mit einer Summe, die für die Fertigentwicklung ausreichen würde, aber immerhin. Wie nehmen Sie diesen Schritt bei der MBDA Deutschland wahr?

Gottschild: Das ist zweifellos ein wichtiger Schritt. TLVS ist jetzt in den aktuellen Haushaltsverhandlungen eingeplant. Das zeigt den politischen Willen und die Notwendigkeit, TLVS zu realisieren. Den Verteidigungsexperten in Politik und Militär ist klar, dass das in den 60er-Jahren entwickelte Patriot-System in den nächsten Jahren durch ein modernes System abgelöst werden muss. Die Komplexität der Bedrohung aus der Luft hat in den letzten Jahren eine sehr dynamische Entwicklung erfahren. Das betrifft Hubschrauber, Kampfflugzeuge, unbemannte Systeme, aber natürlich auch Kurz- und Mittelstreckenraketen. Um mit diesen aktuellen Entwicklungen Schritt halten zu können, hat sich das Bundesministerium für Verteidigung für TLVS entschieden. TLVS wird eine neue Ära in der Luftverteidigung einleiten und Deutschland wird innerhalb der Nato eine Führungsrolle in diesem Bereich übernehmen. Es ist digital, netzwerkfähig, es bietet einen 360-Grad-Schutz und ist zukunftsfähig, weil es die Einbindung zukünftiger Technologien ermöglicht.

Im Moment geht es um Mittel für die Fertigentwicklung. Was muss denn noch entwickelt werden? 

Gottschild: Die Bedrohung aus der Luft hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt und die Bundeswehr erwartet von uns zu Recht ein System, das aktuellen und zukünftigen Bedrohungen etwas entgegenzusetzen hat. Bei der Fertigentwicklung geht es unter anderem darum, wichtige Komponenten in das System einzubinden. Das betrifft beispielsweise Sensoren, die anfliegende Bedrohungen genau, zuverlässig und schnell erkennen, oder die Einbindung von Flugkörpern, die diese Bedrohungen zuverlässig ausschalten können. Die Herausforderung, ein System wie TLVS zu entwickeln, wird in Bezug auf Geschwindigkeit, Zielerkennung und Genauigkeit oft mit einer anfliegenden Gewehrkugel, die durch eine andere Gewehrkugel abgeschossen werden soll, verglichen. Wie das mit Bildern so ist, sie stimmen meistens nicht ganz: Die Ziele, die TLVS treffen muss, bewegen sich vielfach schneller als eine Gewehrkugel. TLVS ist ein überaus anspruchsvolles Hochtechnologieprojekt.

Und am Ende dieser Entwicklungsphase wird dann klar sein, was die einzelnen Komponenten kosten? 

Gottschild: Nein, die Entwicklungskosten stehen vor Vertragsschluss fest. Der neue Ausrüstungsprozess der Bundeswehr sieht vor, dass die Kosten schon am Anfang des Verfahrens offenliegen. Es geht darum, dass der Kunde im Vorfeld klar definiert, was er benötigt, und die Industrie eine genaue Kostenangabe macht. Es ist ein Verfahren, das Zeit benötigt, aber so höchstmögliche Kostentransparenz schafft und Risiken minimiert.

Gibt es einen Zeithorizont, wie lange die Entwicklung noch dauern wird und wann TLVS ausgeliefert werden kann? 

Gottschild: MBDA entwickelt das System gemeinsam mit dem US-Partner Lockheed Martin. Wir werden mit der Auslieferung von TLVS Mitte der 20er-Jahre beginnen. TLVS wird ein paar Jahre später das bestehende Patriot-System vollständig ablösen. Entwicklungs- und Produktionszyklen in der Luft- und Raumfahrtindustrie sind auf Grund der hohen technischen Anforderungen grundsätzlich langfristig.

Wie wichtig ist TLVS für den Standort Schrobenhausen und die Menschen, die hier arbeiten? 

Gottschild: TLVS ist für uns alle in Deutschland und für unsere Partnerländer wichtig. Es wird einen effektiven Schutz der Zivilbevölkerung und unserer Soldaten ermöglichen. Für uns in Schrobenhausen bedeutet es, dass wir hier das modernste Luftverteidigungssystem entwickeln, produzieren und warten. Hier am Standort arbeiten heute schon über 1000 Kollegen. Der Standort wird weiterhin hoch qualifizierte Mitarbeiter aus Deutschland, Europa und den USA anziehen. MBDA bleibt also ein attraktiver Arbeitgeber in der Region. Ein Hochtechnologie-Projekt der Größe von TLVS strahlt aber weit über Schrobenhausen hinaus und schafft zusätzliche Arbeitsplätze bei Zulieferern und generiert entsprechende Steuereinnahmen. Aus meiner Sicht ist das eine sehr gute Perspektive für MBDA, für Schrobenhausen und den Industriestandort Deutschland.