Schrobenhausen
Zwischen Würde und Infektionsschutz

Bestattungsunternehmer Otmar Amann erzählt, wie die Pandemie seine Arbeit grundlegend verändert hat

15.01.2021 | Stand 23.09.2023, 16:26 Uhr
Ein Bestattungsunternehmer und ein Mitarbeiter schließen einen Sarg mit einem Verstorbenen, der an oder mit dem Coronavirus gestorben ist. Beide tragen Schutzanzüge und Atemschutzmasken. −Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Schrobenhausen - "Infektiös" steht in schwarzen Lettern auf dem großen Aufkleber auf dem Holzsarg. Es gibt kaum noch einen Bereich, den das Coronavirus nicht betrifft - im Leben wie im Sterben. Und so verändert es auch die Arbeit des Bestatters ganz gehörig.

30 Menschen, die mit Corona infiziert waren, haben Otmar Amann, Inhaber des Bestattungsinstituts Amann in Schrobenhausen, und sein Team inzwischen bestattet. Er erinnert sich noch gut an die erschreckenden Bilder aus Bergamo in Italien mit den vielen Corona-Toten. Eine menschliche Tragödie - und für seine Zunft eine große Ungewissheit, was da auf sie zukommen könnte. Die Folge: Desinfektionsmittel ist ausverkauft, ebenso die nötige Schutzausrüstung - und wenn noch Masken und Schutzoveralls zu bekommen waren, dann sündhaft teuer, erzählt Amann. Das Geschäft mit dem Infektionsschutz brummt.

Auch an Leichenhüllen habe akuter Mangel geherrscht. Einweghandschuhe könnten schon wieder bis auf weiteres nicht geliefert werden und Urnen sind Mangelware. Inzwischen haben die Großhändler zumindest einen Vorrat an Särgen von den Herstellern bezogen, auch Amann hat mehr als früher auf Lager. Schließlich weiß man nicht, wie lange die Landesgrenzen offen sind - und Särge kommen oft aus dem Ausland.

Was auffällt: Die Zahl der Feuerbestattungen ist, seit es das Virus gibt, gestiegen. Denn für Infizierte gebe es hier eine klare Empfehlung, so Amann. Und der würden viele Angehörige auch folgen. Für die Bestatter selbst ist der Aufwand deutlich größer geworden, ganz gleich ob Erd- oder Feuerbestattung. Ebenso wie das Restrisiko - auch bei vermeintlich nicht infizierten Toten.

Ein Mensch stirbt. Die Angehörigen informieren den Bestatter - und eine der ersten Fragen lautet: "War der Tote mit Corona infiziert?" Das ist für Otmar Amann sehr wichtig zu wissen. "Denn die Sicherheit ist an vorderste Stelle gerückt." Die Sicherheit seiner Mitarbeiter. Für die Angehörigen sei das nicht immer leicht zu verstehen. Manche würden antworten, dass sie das nichts angehe, woran der geliebte Mensch gestorben sei. Doch natürlich müssen die Bestatter wissen, ob sie es mit der Pandemie zu tun haben oder nicht. Amann glaubt, dass manche vielleicht aus Scham versuchen, eine Corona-Infektion beim Toten zu verbergen. Aus Angst, das könnte publik werden. Doch: "Wir müssen uns schützen."

So kontrollieren seine Leute als erstes den Totenschein. Fragen gegebenenfalls im Krankenhaus oder Pflegeheim nach. Ein Restrisiko besteht manchmal dennoch, denn nicht jeder Infizierte hat Symptome. Und auch, wenn er an etwas ganz anderem gestorben ist, könnte der Mensch infiziert sein. Amann und seine Leute gehen stets auf Nummer sicher. Denn ein Verstorbener atme zwar nicht mehr ein, doch werde er bewegt, atme er durchaus noch aus. Eine Gefahr für die, die mit ihm in Berührung kommen.

Mund- und Nasenschutz sind aktuell sowieso Pflicht, holen die Bestatter aber einen Corona-Toten ab, tragen Amanns Leute einen Ganzkörperanzug mit Brille, Kopfbedeckung, Handschuhen und Maske. "Wir sehen aus wie Marsmännchen." Es ist auch kein angenehmes Arbeiten, denn unter den Ganzkörperanzügen schwitze man unangenehm. Doch Sicherheit geht vor.

Deshalb wird ein infizierter Leichnam auch nicht mehr versorgt. Das heißt, er werde beispielsweise nicht mehr frisch eingekleidet. Etwas, das sonst oft eine Art Kult sei, wie Amann erzählt: Dem Verstorbenen für den Sarg seine besten Kleider anziehen. Aus Gründen des Infektionsschutzes wird der Tote nun stattdessen in ein Tuch gehüllt, welches mit Desinfektionsmittel getränkt ist. So kommt er in eine Leichenhülle und dann in den Sarg. Beides werde außen desinfiziert. Ab diesem Moment bestehe keine Gefahr mehr. Der Sarg darf anschließend freilich nicht mehr geöffnet werden. Ein großer Warnhinweis wird aufs Holz geklebt: "Infektiös." "Das ist aus meiner Sicht menschenunwürdig", sagt Amann. Doch so seien die Vorschriften.

Die bereiten dem Bestatter insgesamt immer wieder Kopfzerbrechen. Dann zum Beispiel, wenn die Richtlinien sich wieder ganz kurzfristig ändern. Die Zahl der Trauergäste? Wechselt dauernd. Zum Teil müssten Angehörige am Tag vor der Beerdigung angerufen werden, weil statt 20 plötzlich nur noch fünf Personen zugelassen seien. Aktuell wird über eine weitere Verschärfung des Lockdowns diskutiert - und Amann vermutet, dass dieser wieder bei Beerdigungen zu spüren sein könnte.

Auch die aktuellen Regelungen wirken etwas paradox. Derzeit sind 25 Personen auf dem Friedhof bei der Beerdigung erlaubt. Findet der Trauergottesdienst direkt vorher statt, ist auch dieser auf 25 Personen begrenzt. Ist er allerdings nach der Beerdigung oder mit zeitlichem Abstand zur Beerdigung angesetzt, sind so viele Trauergäste zugelassen, wie eben unter Einhaltung der aktuellen Vorgaben in die jeweilige Kirche passen. In der Stadtpfarrkirche wären das etwa 110 bis 120 Menschen.

Die Mitarbeiter des Bestattungsunternehmens achten mit auf die Einhaltung der Regelungen. Und ziehen sich dabei öfter den Unmut der Leute zu, auch wenn sie nur ihre Arbeit tun. Denn gerade auf Beerdigungen werde doch immer wieder umarmt oder durch Händeschütteln kondoliert. "Die Menschen möchten in ihrer Trauer getröstet werden", ist Amann klar. Und dennoch sind die Vorschriften andere.

Der Bestatter weiß von einem Kollegen, der schon mal eine Beerdigung mit 300 Personen von der Polizei habe auflösen lassen müssen. "Man bemüht sich, es den Angehörigen rechtzumachen, aber wir müssen nach Gesetzeslage handeln", betont der Bestatter. Auch wenn er natürlich verstehen kann, dass man Abschied nehmen möchte.

Wenn er selbst bei einer Beerdigung Bedenken hat, dass sie zu groß werden könnte, spricht er sich im Vorfeld mit Ordnungsamt und Polizei ab. Denn manchmal könne man einfach nicht abschätzen, ob sich die Angehörigen an die Regeln halten. Eine reine Vorsichtsmaßnahme - und in seinem Beispiel musste der Polizist, der in zivil ganz dezent einen Blick auf den Friedhof geworfen habe, nicht weiter eingreifen.

"Die Menschen sind in ihrer Trauer eingeschnitten", ist Amann klar. Auch dann beispielsweise, wenn sie zu ihm kommen, um Sarg und Traueranzeige und vieles mehr auszuwählen. Mehr als zwei Personen pro Trauerfall sind aktuell nicht erlaubt, sie sitzen da mit Mundschutz und durch eine Plexiglasscheibe vom Bestatter abgetrennt. Alles ist schwierig er geworden - und ganz zwangsläufig weniger persönlich als früher.

SZ

Isabel Ammer