Schrobenhausen
Puzzlespiel mit der Historie

Streifzug über den aufregendsten Dachboden der Stadt

02.06.2020 | Stand 02.12.2020, 11:15 Uhr
Alles im Blick zu haben scheinen die Schneiderpuppen aus der Biedermeierzeit - vom alten Schlitten bis hin zu den Friedhofskreuzen. −Foto: Ammer

Die Corona-Zwangspause nutzen die Museumsmitarbeiterinnen für eine ganz besondere Arbeit: Das größte Museumsdepot Schrobenhausens wird inventarisiert. Ein Streifzug durch Schrobenhausener Geschichte und über den sicherlich aufregendsten Dachboden der Stadt.

 

Die unteren Stufen sind ausgetreten, vielbenutzt. Sie führen zweckmäßig bis ins oberste Stockwerk. Doch dann, wenn es keine Schilder mehr gibt, setzt um die nächste Wendung noch einmal eine erste Stufe an. Der Beginn jener Treppe, die unters Dach führt. Sie birgt ein Versprechen, es duftet nach Holz und Historie.

 

Ein Kind, das sich einen Dachboden ausmalen dürfte, könnte ihn nicht schöner gestalten: In ein Geäst aus alten Dachbalken schmiegen sich Regale und Truhen, verborgene Winkel und alte Möbel, zahlreich bevölkert von den wunderlichsten Dingen. Durch behangene Fenster sickert Licht in die Augen von Schaufensterpuppen, verläuft sich hinter rostigen Friedhofskreuzen, verfängt sich im Staub von Jahrzehnten. Inmitten dieser wundersamen Schatztruhe in den Schatten unter dem Dach schwimmt eine Insel aus Licht. Vier Frauen stehen um einen weißen Tisch, auf dem ausgebreitet Zahlen neben Gegenständen liegen. Die vier säubern, sie vermessen, sie diskutieren, sie fotografieren. Und was sie in Händen halten, ist die Geschichte der Stadt.

 

"Museumsarbeit besteht nicht nur aus Museum und Führungen, es ist auch Hintergrundarbeit", erklärt Kulturamtsleiterin Claudia Freitag-Mair und löst sich mit einem Schritt vom Tisch. In der Hand hält sie eine Heiligenfigur, eine Muttergottes womöglich im abblätternden Gewand, das Kind auf dem Arm. Nur, dass ihr der Kopf fehlt, er ist sicher eingewickelt in ein Stück Folie, bereit von den Frauen erfasst zu werden. Sie alle sind Museumsmitarbeiterinnen - und die Arbeit, die sie hier, im größten der drei Museumsdepots der Stadt übernehmen, ist aus der Not geboren, wie Claudia Freitag-Mair sagt. Wenn nicht sogar aus zwei Nöten: Die eine ist, dass die Corona-Beschränkungen die Öffnungszeiten der Museen beeinträchtigen. Die Mitarbeiterinnen würden ein Stundenminus machen - oder es gäbe Kurzarbeit. Die zweite Not ist die, dass es zwar ein Inventar für die Depots gibt, aber dieses besteht aus minimalistischen Ziffern, ohne Fotos. Nur bislang habe man einfach keine Kapazitäten gehabt, um die Bestände durchzufotografieren, wie die Chefin weiß. Nun gibt es eine Lösung für beide Probleme - und damit diesen vom Licht der Studioleuchten gefluteten Arbeitsplatz im Herzen des interessantesten Dachbodens der Stadt.

 

Wo er sich genau befindet, soll auf Wunsch der Kulturamtsleiterin nicht verraten werden. Es sind nicht nur Werte, die hier oben schlummern, es ist vor allem Geschichte - und diese soll nicht in falsche Hände geraten. "Ich weiß nicht, ob 10000 Objekte reichen", sagt Claudia Freitag-Mair und lässt den Blick schweifen. Über alte Schreibmaschinen und Schwerter, Kisten voller Bilder und verstaubte Uhren. Neben dem Kopf eines Stiers, der womöglich einst ein Wirtshaus in Sandizell zierte, lehnen zwei Grabplatten. Die eine von Anton Bitzl, "bürgerlicher Bierbrauer von hier", geboren im Mai 1799. Die anderen von Mariana und Willibald Frisch, "23 Jahre Bürgermeister hier", gestorben im Mai 1843. Am auffälligsten sind sicherlich die Schneiderpuppen aus der Biedermeierzeit mit ihren echten Glasaugen, die jeden Winkel des weitläufigen Bodens unter dem Gebälk im Blick zu haben scheinen. Gleich neben ihnen steht ein Hostieneisen, Claudia Freitag-Mair klappt es auf, vom Prinzip ein wenig wie ein großes Waffeleisen prägte es einst christliche Symbole in dünne Schichten von Teig.

 

Vieles lagert hier oben, das niemals ausgestellt werden wird. "Aber es ist wichtig, es im Bestand zu haben - Museumsbestände sind oft Grundlage für wissenschaftliche Arbeiten", sagt die Kulturamtsleiterin. Eine staubige Angelegenheit ist es dennoch, vieles ruht seit 1989 hier - den Grundstock hat der historische Verein gelegt, der 1974 seine Sammlung an die Stadt übergab. Seither wurde der Bestand weiterentwickelt, manches war im Pflegschloss ausgestellt, anderes wanderte gut verpackt in Kisten - und nun wird das Depot ganz neu auf Vordermann gebracht und inventarisiert. Dass der Schrobenhausener Museumsbestand zu den 30 besten in Bayern gehört, was Heimat- und Stadtmuseen angeht, sagt Claudia Freitag-Mair nicht ohne Stolz. Und sie freut sich, dass die Frauen so viel Spaß an dieser langwierigen Aufgabe gefunden haben, die übers Entstauben und Fotografieren weit hinausgeht, denn bei vielen Objekten müssen sie erst noch die einstmalige Funktion herausfinden.

 

"Was ist das denn?", fragt Elfriede Elsner ihre Mitstreiterinnen Marianne Soier und Patma Mahl und wendet ein rundes, hölzernes Objekt in der weiß behandschuhten Hand. Und sie fügt hinzu: "Ich wünschte, ich wüsste so viel, wie die Experten bei Kunst und Krempel." "Da stand mal das goldene Kreuz drauf und es war ein Glassturz darüber", antwortet Claudia Freitag-Mair. Hinter ihr im trüben Licht eines Dachfensters ruhen ein Christus und drei Hellebarden.

 

Natürlich wäre es schön, alles säuberlich sortiert an einem Ort gelagert zu haben, doch unzufrieden ist die Leiterin mit dem Museumsdepot nicht. Unterm Dach schwanke die Temperatur nicht so arg, was gut ist für die alten Objekte - das älteste, ein Stadtwappen, stammt von 1650 - und natürlich gibt es ein großes Sammlungskonzept: Hier, im größten der drei Räume findet sich Schrobenhausener Historie von Industriegeschichte über Brauchtum, ortstypische Bekleidung, Stücke aus dem Kloster Maria Ward. Sie alle erzählen Geschichten vom Wandel im Laufe der Jahrzehnte. Ein alter Schlitten steht neben Werkzeugen einer Schuhmacher-Werkstatt und der Esszimmereinrichtung eines Jugendstilhauses. "Das wäre toll für eine Sonderausstellung geeignet." Claudia Freitag-Mair ist froh, dass man hier auf so manches zurückgreifen kann. "Auch, wenn immer wieder ein Teil rauskommt, das noch der Klärung bedarf."

Die Museumsmitarbeiterinnen wenden derweil ein etwa mittelfingerlanges Bein in den Händen. "Warten wir mal auf das Zweite", sind sie sich schließlich einig. Manches an ihrer aktuellen Arbeit gleicht einem Puzzlespiel, einem spannenden, geschichtsträchtigen Puzzlespiel, bei dem es keine Vorlage gibt. Eines, bei dem man nicht weiß, wie viele Teile es hat, und wie die Randsteine aussehen. Eines, das eben seine Zeit braucht.

SZ