Auf den Spuren der Schrobenhausener Geschichte

15.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:32 Uhr
Ansicht der "Maria-Hilf-Kapelle" in Högenau −Foto: Klaus Englert

"Willst Du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen, denn das Glück ist immer da." Mit diesem Vierzeiler-Gedicht unter dem Titel "Erinnerung" hat Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832) vor über 200 Jahren einen Ratschlag erteilt, den die Menschen im Jahre 2020 mit Blick auf die Corona-Pandemie befolgen müssen: Der Kampf gegen das heimtückische, unsichtbare Virus erfordert ein "Daheimbleiben", Ausflugsfahrten und Urlaubsreisen sind bis auf Weiteres gestrichen. Doch Spazierengehen - im Beisein der Haus- oder Wohnungsmitbewohner und mit dem notwendigen Mindestabstand von 1,5 Metern zu anderen Naturliebhabern - ist im Nahbereich von Schrobenhausen (noch) erlaubt. Und Möglichkeiten gibt es viele. Hier ist eine davon erzählt.

Herrliche Wälder, endlose Feldwege, das Goachat oder die Aresinger Flur laden zum Auftanken, Abschalten und Kennenlernen der näheren Umgebung ein. Einer dieser Spazierwege führt zu zwei bekannten, aber vielen Einwohnern der Stadt dennoch unbekannten Orten auf guten Wegen, garniert mit herrlichen Blicken auf die gesamte Stadt und bereichert durch Kleinode sakraler Kunst: Vom Neuen Friedhof über den Kalvarienberg, den Weiler Högenau - einem Ortsteil von Schrobenhausen - und zurück durch die "kleine Schwester der Hagenau", die Högenau, vorbei an Gut Weil wieder zum Ausgangspunkt.

Je nach Waldroute kommen so rund fünf bis sechs Kilometer zusammen - eine gemächliche Nachmittags-Strecke. Der Start: Die 1953 erfolgte Anlage des Neuen Friedhofs, dessen großer Parkplatz für Fußgänger ideal für die Rundtour liegt, lädt zunächst zu einem Besuch von Gräbern, gerade jetzt in buntem Frühlingskleid, ein.

Dem wachsamen Auge kunstsinniger Menschen entgeht beim Rundgang auch nicht die Vielzahl einfühlsamer Kunstwerke aus der Hand Schrobenhausener Künstler wie Karlheinz Torge mit dem zentralen Kreuz am Ende des Hauptweges oder Richard Gruber mit mehreren Bronze-Gruppen, unter anderem am Grabmal der ungeborenen Kinder.

Am hinteren Ende des Friedhofs angekommen, unterhalb des Nord-Brunnens des Kommunal-Unternehmens, führt die Route nun durch den Hohlweg zum Scheitel des Hügels - und von dort eröffnet sich ein herrlicher Blick auf die gesamte Stadt mit Mühlried im Osten bis nach Steingriff im Westen. Das Gefühl, in einer beschaulich-schönen Gegend wohnen zu dürfen, stellt sich schnell ein.

Nach einigen hundert Metern ist dann das erste Zwischenziel erreicht: Der Kalvarienberg oberhalb des Kreiskrankenhauses! Nur wenige Menschen wissen diesen besonderen Ort zu schätzen, der auf Initiative von Stadtkaplan Michael Fick ab dem Jahre 1844 von einem kahlen Hügel zu einem Andachts-Areal umgewandelt wurde und das seine Bepflanzung unter anderem durch Hauptlehrer Michael Sommer - dem die Stadt auch die einmalige Stadtwallbepflanzung zu verdanken hat, weshalb die Mittelschule seinen Namen trägt - erfahren hat.

Während bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts der Kalvarienberg mit seinen 14 Kreuzweg-Stationen, der Kapelle und dem Kreuz immer wieder Anlaufstelle für religiöse Feiern und Wallfahrten war, versank dieser einmalige Bereich der Stadt danach in einen Dornröschen-Schlaf. Wachgeküsst wurde der Kalvarienberg dann wieder ab dem Jahre 2008, als sich auf Initiative von Norbert Moser, dem späteren Vorsitzenden der Kolpingfamilie Schrobenhausen, eine unglaubliche Welle der ehrenamtlichen Unterstützung, beflügelt durch die Schrobenhausener Zeitung mit Mathias Petry, dem Ziel widmete, Kreuzweg, Kapelle und Kreuz wieder in den Urzustand zu versetzen. Namen wie Architekt Manfred Baierl, Stadtrat Toni Bayerstorfer, Restaurator Stephan Klebel, Steinmetz René Kress oder die Künstler Steffi Laquai oder Christoph Scholter stehen stellvertretend für ein einmaliges Bürgerprojekt! Dieses wurde im Jahre 2013 mit einem einfühlsam-interessanten Büchlein gewürdigt. Auf 83 wunderschön gestalteten Seiten sind unter anderem von Bernhard Rödig die Geschichte des Kalvarienberges, von Sabine Beck nähere Einblicke in die Kreuzwegstationen und die Renovierungsarbeiten, von Steffi Laquai das Design und auch eine unter die Haut gehende Beschreibung eines "Spaziergangs" vom Beginn bis zum Ende des Kreuzweges enthalten. Das Werk, das zum Beispiel im Pfarrbüro St. Jakob erhältlich ist, kann Motivation und Begleitbuch zugleich sein, diesen Teil des Weges am Rande der Stadt zu erleben.

Doch weiter nun: Durch den Hohlweg Richtung Norden, vorbei an großen Feldern, immer wieder den Blick zurück oder zur Seite auf die langsam verschwindende Stadt gerichtet und nun entlang des Waldsaumes, vorbei an Feldkreuzen sowie Hochständen - und einer kleinen, weißen Gedenksäule, die sich unter einigen großen Bäumen versteckt. Schon lässt man das SSV-Freizeitheim und die Wagenburg des Kindergartens "Wurzelzwerge" links liegen, rechts breitet sich ein großes Spargelfeld, überdeckt mit Tunnelfolien aus - und plötzlich weitet sich der Blick: Der Weiler Högenau, zur Flur Mühlried gehörend und aus einer Handvoll Häusern und landwirtschaftlichen Gebäuden bestehend, begrüßt den Wanderer mit seiner in Front auf dem Nußberg hochaufragenden Kapelle, die eigentlich ein kleines Kirchlein ist. Denn in ihrem Inneren, das man durch eine ornamentierte braune Eichentüre betritt, finden sich Kirchenstühle und ein wunderschöner Altar nebst Heiligenfiguren und Votivbildern aus alter Vorzeit.

Der Weg hinauf zum Eingang ist sorgsam gepflegt und innen wie außen sieht man die schützende und einfühlsame Hand der Familie Tyroller, in deren Eigentum dieses Kleinod steht und die dem Spaziergänger den Zutritt ermöglicht. Und der Besuch lohnt! Die Kapelle wurde im Jahr 1878 von Johann Buchart, dem Besitzer des Hauserbauer-Hofes, aufgrund eines Gelübdes errichtet: Seine Frau und das Neugeborene waren 1876/77 schwer erkrankt, doch beide wurden wieder gesund.

So baute Buchart das Kirchlein 1878 und kaufte dazu den in der Hohenwarter Klosterkirche nicht mehr brauchbaren Altar. Zudem ließ er in Pfaffenhofen ein Maria-Hilf-Bild anfertigen, das bis heute vor dem Altar steht. Seit 1879 wird alljährlich nach Maria Geburt ein Gottesdienst gefeiert. An den Wänden rechts und links des Altares finden sich zahlreiche Votivtafeln, die von der Hilfe der Muttergottes Kunde geben. Auf diese Hilfe setzten und setzen bis heute Menschen, früher jedoch noch in vermehrtem Maße, wie etwa ein Bild zur "Wallfahrt 1957 der Kolpingfamilie" belegt.

In früheren Jahren waren auch oft Schulklassen bei Wandertagen in der Högenau, ebenso wie die Pfadfinder. Dennoch ist die Högenau, die seit vielen Jahrzehnten mit der Familie Tyroller gleichgesetzt wird, in der Stadtgeschichte (noch) eine große Unbekannte: Weder die Heimatforscher Reischl oder Vitzthum haben sich näher mit der Historie dieses heute als Spargel-Mekka bekannten kleinen Ortes zwischen Königslachen, Edelshausen, Linden, Gut Weil und Gaishof nahe der Bahnlinie nach Ingolstadt befasst. Nur auf der seltenen "Landkreiskarte von 1963", herausgegeben vom damaligen Landrat Walter Asam, ist der Weiler zu erkennen - und auf einem Luftbild auf Seite 55 in dem Bildband "Blick auf Schrobenhausen" von W. Proeller und B. Zeitelhack-Göppinger, der Anfang der 80er Jahre erschien.

Ein letzter Blick noch auf die barocke Pracht des Altarbereichs, dann führt der Rundgang wieder hinaus in den gleißenden Sonnenschein und hinein in die Högenau. Schnell umfängt hier die wohltuende Waldluft und der samtgrüne Moosteppich rechts und links des teilweise verwachsenen Weges den Wanderer.

Der Schritt führt wieder zurück, Richtung Süden: Rehe huschen aus dem Hochwald ins Unterholz, Vögel machen sich mit lautem Gezeter bemerkbar - und doch ist es eine wohltuende Ruhe, die hier von dem kühlen Grün des Waldes ausstrahlt. Nach etwa einem Kilometer grüßt dann mit dem zur Leinfelder'schen Forstverwaltung zählenden Gut Weil ein fast schlossähnliches Landgut, das schon viele Feste erlebt hat - und im mittlerweile verwaisten "Eichel-Schwein-Garten" bestes Schweinefleisch unter dem fachmännischen Blick des vor einigen Jahren verstorbenen Gutsherrn Heinrich Hueßmann heranwachsen lies.

Jetzt ist der Ausgangspunkt schon sichtbar, noch einige Meter auf dem staubigen Feldweg, dann ist der Rundweg durch Wald und Feld, aber auch einen Teil der Schrobenhausener Geschichte beendet. Und vielleicht hat man ein wenig dazu gelernt: Weil man nicht in die Ferne schweifte, sondern das Gute im Umfeld der liebens- und lebenswerten Stadt Schrobenhausen entdecken konnte.

SZ