Pfaffenhofen
Rentner fühlt sich seiner Identität beraubt

Mit Bibel und Jesus-Fans zum Prozess: 67-Jähriger beleidigt Behörden-Mitarbeiter, weil der ihm ein Dokument verweigerte

05.06.2019 | Stand 02.12.2020, 13:48 Uhr

Pfaffenhofen (PK) Großes Kino im Sitzungssaal 109 des Pfaffenhofener Amtsgerichts: Mit der Bibel in der Hand hat ein 67-jähriger Rentner versucht, seinen Einspruch gegen einen Strafbefehl wegen Beleidigung durchzusetzen.

Begleitet wurde er von zwölf Sympathisanten, von denen sich einige ihre Gesinnung als T-Shirt übergestreift hatten: "Ich gehöre zu Jesus Christus", oder "Jesus kommt wieder. Bist du bereit? "

Amtsrichter Konrad Kliegl und Staatsanwältin Julia Eser waren zumindest vorbereitet: Zwei Polizisten mit Handschellen am Gürtel nahmen beim Einmarsch der Gesinnungsgenossen im Zuschauerraum Platz. Im Gegensatz zu den Jesus-Anhängern: Die blieben stehen. "Setzen Sie sich bitte", bat der Richter. Das Dutzend blieb mit stoischer Mine standhaft und fixierte den Richter. "Wenn Sie sich nicht setzen, lasse ich den Saal räumen", drohte Kliegl. Einige hatten sich offensichtlich darauf verständigt, dem Angeklagten dem Wortsinn nach beizustehen. "Ich schmeiße Sie raus, wenn Sie sich nicht sofort setzen", herrschte der Richter die Aufrechten an. Das wirkte. Sie wollten wohl den Angeklagten Wilhelm-Peter S. (Name geändert) nicht im Regen stehen lassen, denn der beharrte darauf: "Ich möchte stehen bleiben! " Das wurde ihm gewährt.

"Sie heißen Wilhelm-Peter S. ? ", fragte Kliegl. Der Angeklagte blieb stumm, blätterte auf Nachfrage ("Ist S. Ihr Geburtsname? ") in dem Stoß Papier, den er neben der Bibel auch noch mitgebracht hatte, fand seine Geburtsurkunde und gab zu Protokoll: "Ich bin der Mensch Wilhelm-Peter. " Und er möchte jetzt eine Erklärung abgeben. Der Sitzungsverlauf sei vorgeschrieben, belehrte ihn Kliegl, und deshalb sei jetzt die Staatsanwältin mit dem Verlesen der Anklage an der Reihe.

Der Rentner hatte einen Strafbefehl in Höhe von 40 Tagessätzen zu je 30 Euro bekommen, weil er einen Mitarbeiter des Landratsamts beleidigt hatte und ihn schriftlich der Volksverletzung, der Verschleierung, der Bereicherung und vor allem des "Identitätsdiebstahls" bezichtigt hatte. Denn trotz Personalausweis, Reisepass, Rentenbescheid und einem fast sieben Jahrzehnte langen Leben im Landkreis, der zweifelsfrei zur Bundesrepublik gehört, fühlt sich der Rentner offensichtlich staatenlos, zumindest ohne staatliche Identität.

Was jedem Migranten gewährt würde, müsse auch ihm zustehen. Deshalb hatte er einen Staatsangehörigkeitsnachweis beantragt, und zwar "in wasserblauer Tinte", versandt in einem Umschlag, "nicht geknickt und gefaltet". Er berief sich auf ein Gesetz aus der Kaiserzeit.

Ob es sich bei dem Angeklagten um einen Reichsbürger handelt, wurde nicht erörtert, auch wenn Richter Kliegl feststellte, dass "Sie diesen Staat ablehnen". Reichsbürger bestreiten die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als legitimen und souveränen Staat, für sie besteht das Deutsche Reich weiter fort.

Weil ihm die Behörde das Dokument verweigerte, schrieb er einen geharnischten Brief an den Mitarbeiter. Der fühlte sich beleidigt und verleumdet und erstattete Anzeige. Was der Rentner nicht ganz nachvollziehen kann: Er habe ihn nicht als Mensch beleidigt, sondern als Sache. Aber als "lebender Mensch" bitte er ihn um Verständnis und um Entschuldigung. Dem Hinweis des Richters, dass der Mitarbeiter keine Sache sei, begegnete der 67-Jährige mit dem Hinweis, dass er sich auf göttliches Recht berufe. "Hier gilt die Strafprozessordnung", kontert Kliegl kühl.

Hinten im Saal meldet sich ein Zuhörer, er möchte was zur Sache sagen. Kliegl lässt ihn abblitzen. "Wen ich als Zeugen vernehme, entscheide ich. " Und außerdem sei das hier kein Wirtshaus. Der Angeklagte, der sich als "geistlich-sittliches Wesen, auch bekannt als Wilhelm-Peter S. " versteht, weist vorsorglich darauf ihn, dass er Teil der göttlichen Schöpfung sei und "kein Produkt der künstlichen Intelligenz", und gemäß dem Zweiten Buch Mose verbiete sich die Behauptung, dass er schwachsinnig sei.

Darüber will Kliegl nicht diskutieren. Hier würde ausschließlich der Straftatbestand der Beleidung verhandelt und nicht göttliches Recht oder sein vermeintlicher Anspruch auf einen Staatsangehörigkeitsnachweis. Da müsse er den Freistaat verklagen. Und im übrigen gebe er ihm den guten Rat, den Einspruch zurückzuziehen. Wilhelm-Peter S. , der immer noch steht, schweigt und nickt. "Sie stimmen also zu, den Einspruch zurückzunehmen", fragt der Richter nach. Ja, er stimmt zu. Die Jesus-Anhänger erheben sich und verlassen wortlos den Saal.