Pfaffenhofen
Raubtier-Kapitalismus ade

Wirtschaft soll sozialer werden - Startschuss für eine Pfaffenhofener Regionalgruppe der "Gemeinwohl-Ökonomie"

13.09.2019 | Stand 02.12.2020, 13:04 Uhr
Der Pfaffenhofener GfG-Stadtrat Manfred "Mensch" Mayer (Bildmitte, rechts) traf sich mit einem Dutzend Interessenten, um in Pfaffenhofen eine Regionalgruppe der "Gemeinwohl-Ökonomie" zu gründen. −Foto: Herchenbach

Pfaffenhofen (ahh) "Viele Leute klopfen uns auf die Schulter und sagen: Toll, was ihr da macht. Aber das war's dann", klagte Manfred "Mensch" Mayer. Jetzt sollen aus den Schulterklopfern Aktive werden, die nichts weniger bewirken sollen als einen sozialen Systemwechsel der Wirtschaft. Mit einem guten Dutzend Interessierter hatte sich der Pfaffenhofener GfG-Stadtrat (Gemeinsam für Gemeinwohl) getroffen, um in Pfaffenhofen eine Regional-Gruppe der "Gemeinwohl-Ökonomie" zu gründen.

Der Einladung in das Gasthaus Müllerbräu waren Lokalpolitiker, Geschäftsleute, Selbstständige, aber auch drei Mitarbeiter der Helios-Klinik gefolgt, die psychisch Kranke behandelt. Sie alle sind der Meinung, dass unser jetziges Wirtschaftssystem auf dem Kopf steht, wie es in der Selbstbeschreibung der Gemeinwohl-Bewegung heißt. "Das Geld ist zum Selbstzweck geworden, statt ein Mittel zu sein für das, was wirklich zählt: ein gutes Leben für alle." Statt hemmungsloser persönlicher Bereicherung soll das Wohl der Gesellschaft in den Mittelpunkt rücken, ganz so, wie es im Artikel 151 der bayerischen Verfassung heißt: "Alle wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl." Die Bewegung wurde in den 90er-Jahren gegründet, hat Regionalgruppen in vielen Ländern, allein in Bayern gibt's fast zwei Dutzend. Nun soll eine Pfaffenhofener Gruppe folgen.

Wer sich als Unternehmer der Gemeinwohl-Ökonomie anschließt, der erstellt zwei Bilanzen: die übliche nach Umsatz und Gewinn, und eine nach dem Gemeinwohl. Dazu werden nach einer Matrix, einem Bewertungsschema, Punkte abgefragt, denen sich der Unternehmer verpflichtet fühlt: Wie geht er mit seinen Mitarbeitern um? Achtet er bei seinen Zulieferern auf Nachhaltigkeit? Fördert er ökologisches Verhalten in seiner Firma und bei seinen Kunden? Was trägt er zum Gemeinwesen bei?

Klingt visionär, passt aber gerade in die jetzige Zeit, wo Nachhaltigkeit, Ökologie und Umweltbewusstsein hoch im Kurs stehen. Und utopisch ist die Idee auch nicht. Die Sparda-Bank zum Beispiel erstellt schon seit fast zehn Jahren eine Gemeinwohl-Bilanz, die unternehmerischen Erfolg an seinem Beitrag zum Wohl der Gesellschaft misst - Menschenwürde, Solidarität, soziale Gerechtigkeit.

Das ist auch der Geschäftsfrau Astrid Birkner wichtig, die noch am selben Abend den Aufnahmeantrag unterschrieb. "Mir geht es sehr gut", erklärte sie, und deshalb wolle sie sich für ein faires Wirtschaften einsetzen, Mitarbeiter fair bezahlen, fair einkaufen. Damit nicht genug: Ein wichtiger Punkt der Gemeinwohl-Bewegung ist es, dass jeder Mensch in seiner Einzigartigkeit wahrgenommen und geachtet wird. Und genau aus diesem Grund waren auch die drei Helios-Mitarbeiter gekommen. Ihr Geschäftsführer Albert Fischer brachte es auf den Punkt: "In unserem Wirtschaftssystem fallen immer mehr Leute hinten runter. Unsere Jungs haben keine Chance, es ist deprimierend." Viele hätten keine Ausbildung, seien psychisch erkrankt, und einen Start ins Arbeitsleben mit einer üblichen 40-Stunden-Woche schaffen sie nicht. Für einen Unternehmer, der nur auf Soll und Haben schaut, ist ein solcher Mitarbeiter nur ein Kostenfaktor. Bei der Gemeinwohl-Ökonomie dagegen geht es darum, dass jeder gewinnt, "damit wir", fasste es "Mensch" Mayer zusammen, "unseren Kindern und Enkeln eine lebenswerte Welt hinterlassen".

Mit Judith Neumair hat er den Stein ins Rollen gebracht. Aber um eine aktive Regionalgruppe zu werden, braucht es mindestens drei weitere Mitglieder. Die wollen dann vorpreschen und zum Beispiel die Idee in Schulen vorstellen oder in Gemeinderäten. Warum, fragte sich zum Beispiel ÖDP-Kreisrat Siegfried Ebner, sollten bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen nicht Unternehmen favorisiert werden, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet haben? Mayer schloss sich an: Er kann sich vorstellen, dass solche Firmen steuerlich begünstigt werden, die "nicht auf Kosten der Gemeinschaft wirtschaften". Bei Banken-Rettungen läuft es umgekehrt: Da werden Gewinne privatisiert, Verluste dagegen auf die Allgemeinheit abgewälzt. Ebner: "Wir wollen, dass es allen gutgeht, aber manche wollen das nicht."

Ein Betriebswirt am Tisch ist da optimistischer: "Den jungen Leute heute ist ein sinnvolles Leben wichtiger als Wohlstand." Und deshalb müsse auch bei den Schulen der Schalter umgelegt werden, meint Helios-Mann Fischer: "Da geht's vom ersten Schuljahr an um schneller, höher, weiter." Auch Mayer ist optimistisch: Die Bürger seien es, die die großen Veränderungen anstoßen, wie das Bienen-Volksbegehren gezeigt habe. Immerhin wünschen sich nach einer repräsentativen Umfrage 88 Prozent aller Bürger eine neue Wirtschaftsordnung - Weg vom Raubtierkapitalismus, hin zu mehr sozialem Ausgleich und größerem Schutz der Umwelt.

Die beiden Vorsitzenden von ProWirtschaft, Martin Bornemann und Marianne Voit, versprachen, das Thema noch einmal im Vorstand zu diskutieren; im Februar hatten sie eine Gemeinwohl-Referentin eingeladen, die Resonanz war allerdings eher skeptisch. Jetzt sieht Bornemann deutlich mehr Interesse. Drei bis fünf Prozent seiner 178 Mitglieder könnten sich der Bewegung anschließen, glaubt er. Damit hätte Mayer sein Minimalziel mehr als verdoppelt.